01.05.2025 - Konzert der Nachtigallen
Mit so einer Nacht habe ich gar nicht gerechnet, da die Zirren-Prognosen für Mitteldeutschland mau aussahen und zurückliegende Nächte auch schon dadurch getrübt worden. Trotzdem: Es ist Neumond und man muss für alles bereit sein. Der erste Wecker um 22:21 Uhr wurde glatt verpennt, aber kurz vor Mitternacht wachte ich von selber auf und warf pflichtgetreu einen ersten Blick von der Terrasse auf den Himmel. Wie zu erwarten war, sah das schlecht aus: Alles eingetrübt und milchig, die Durchsicht war oll. Aber das Seeing wirkte, zumindest mit dem bloßen Auge, ganz vielversprechend. Versuchen kann mans ja, was soll schon passieren... Die Fahrt zum Dorfrand war bei der Transparenz sinnlos, also baute ich das Teleskop auf der Terrasse auf und freute mich über die kurzen Wege zur Kaffeemaschine. Deren Einsatz war bitter nötig, weil knapp 3h Schlaf selbst für mich Bettflüchtigen nicht wirklich viel waren; dementsprechend langsam drehten sich noch die Rädchen im Hirn.
Es war ausgesprochen mild (Pulli, Hose, Badeschlappen reichten zum Wohlfühlen) und windstill. Und es war laut: Die Umgebung scheint von unzähligen nachtaktiven Vögeln bevölkert zu sein. Aus jedem Baum und Busch zwitscherte es hemmungslos. Ich mag das nächtliche Gepiepe, das wirkt irgendwie beruhigend. Um halb 1 war ich startklar und wählte zum Beginn eine Galaxie namens
NGC 5642. Einfach sichtbarer Nebel, rund, mit markantem stellaren Kern im Inneren. Ein Vordergrundstern, heller als der Kern, steht am östlichen Rand. Ansonsten gabs da keine Details zu sehen.

Das Vogelkonzert wurde unterbrochen, denn am Bach wurde es plötzlich richtig laut: Zwei Katzen trafen sich dort und fochten einen epischen Streit miteinander aus, der von entsprechend schrillen, keifenden Geschrei begleitet wurde. Grundgütiger, das klang ungesund, und es lenkte ein bisschen ab von der Suche nach einem engen Galaxienpärchen. IC 4414 + 4414A. Da war ein detaillierter Ausdruck vom DSS nötig, da dieses winzige Gebilde für mich sonst nicht auffindbar gewesen wäre. Nur durch Positionskenntnis ließ sich das Zielgebiet identifizieren und etwas Nebliges orten. Bei 190x zeigte sich ein winziges Knäuel, sehr schwach; die Nachbarsterne irritierten mich. Höhere Vergrößerungen boten einen besseren und deutlich... ähm... deutlicheren Blick: Ein diffuser Blob, der sich gut von den Feldsternen nebenan isolierte. Zunächst rundlich, homogene Helligkeitsverteilung; nach längerem Hinsehen wich der Blob von seiner Rundform ab und schien in West-Richtung etwas länglicher verzogen; der hellste Bereich war zudem definitiv nicht mittig. Nachträgliche Auswertung: IC 4414A ist der hellste Bereich im Ost-Teil und IC 4414 der spitze Ausläufer nach Westen. Es war zwar grenzwertig und alles andere als einfach, aber dieses Duo im Ansatz auseinanderbröseln zu können, überraschte mich bei dem Dorfhimmel dann doch sehr.

In der Atlas-Karte wies ein Pfeil auf
ε Bootis. Da ich mir nicht aus lauter Langeweile irgendwelche Doppelsterne raussuche, mutmaßte ich, dass ich mir bei der Recherche (wann auch immer die war) mal was bei gedacht haben musste. Und so schwenkte das Teleskop auf diesen hellen Doppelstern, der nach hoher Vergrößerung schrie. Fazit: Nett! Der Abstand von 2,8" zwischen beiden Komponenten war reichlich eng, aber deutlich getrennt. Dezenter Farbkontrast: A (2,5mag) leuchtete gelblich und B (5mag) bläulich-weiß; das alles verziert von scharfen, langen Spikes.
Es wurde ein wenig frischer, aber nicht kühl genug, um die Schlappen gegen was Robusteres tauschen zu wollen. Zirren sind fies: Man sieht sie nachts nicht direkt, aber sie verschmieren den ganzen Himmel. Wenn man Glück hat, lassen sie irgendwo ein Loch übrig, aber wo? Aus dem Grund war die Milchstraße nicht zu sehen, was bei der letzten Nacht zu dieser Uhrzeit gar kein Problem war. Naja.
Es ging zu dem weitläufigen Duo
NGC 5789 und 5798, welches ich mit dem Hinweis auf Vordergrundsterne an beiden Galaxien versehen hatte. Zunächst fiel mir aber nebem dem Aufsuchstern eine Sternformation auf, die mich stark an Picot 1 ("Napoleons Hut" bei Arktur) erinnerte. Die Ähnlichkeiten waren frappierend. Im Atlas war das Label zu NGC 5789 kräftiger gezeichnet als das der anderen, aber es war das Gegenteil der Fall: Während die 5789 bei 123x kaum zu sehen war, sprang die 5798 sofort als kräftiger, rund-ovaler Bausch ins Auge, weswegen ich mich ihr zuerst widmete. Jede Minute, die ich in die Beobachtung investierte, lohnte sich: Das Objekt stellte sich als eine riesige Überraschung heraus und zählt fortan zu meinen all-time-Favourites. Ein hellerer Feldstern (13mag) lag östlich außerhalb der Galaxie und ein weiterer, schwächerer (14,7mag) zeigte sich am westlichen Rand. Neben dem letztgenannten setzte sich dann noch einer ab, der wiederum schwächer war und mit 15,6mag keineswegs mehr "ins Auge fiel", aber trotzdem da war. Soviel erstmal zur stellaren Nachbarschaft... Zitat aus dem Buch: "in der W-Spitze beim VSt klumpts irgendwie rum". Übersetzt heißt das: Am westlichen Ende der Galaxie, gleich neben dem "helleren" Vordergrundstern, setzte sich wiederholt ein knotenartiges Etwas ab. Zum Schluss, als ich meine Zeichnung fast schon beendet hatte, identifizierte ich noch eine Helligkeitszone, die dem östlichen Rand folgte und sich dort dezent vom Rest des Galaxienkörpers abhob. ... Poah, was für verrücktes Ding, diese NGC 5798.

Die benachbarte
NGC 5789 kackte dagegen ziemlich ab. Wie schon erwähnt war sie schwächer und diffuser, verschwamm öfter im Hintergrund. Rund, homogene Helligkeit, weich auslaufend, keine Details. Weil das unmittelbare Umfeld sehr sternarm war, fielen sowohl Orientierung als auch Fokussierung bei hoher Vergrößerung schwer; die Galaxie nach dem Okularwechsel wiederzufinden glich einem Glücksspiel.
Um halb 2 nahm ich Kaffee Nr. 2 mit hinaus und hüllte mich nun doch in eine Daunenjacke. Die Transparenz schien etwas besser zu werden - zogen die Zirren allmählich ab? Die Milchstraße wurde sichtbar, was aber auch daran liegen mochte, dass sie immer höher stieg. Das machte mehr Laune, als ich anfangs erwartet hatte - der Spaßfaktor auf der "Astro-Terrasse" hält sich normalerweise eher in relativ engen Grenzen.
Überdurchschnittlich gutes Seeing verleitet mich gerne zu einem Versuch an
44 Bootis. Aber: Keine Chance! Das Bild bot viele ruhige Momente, war aber doch nicht stabil genug, um auch nur an Details zu denken. Der Stern verzog sich länglich in alle Richtungen, ohne Tendenz. Zitat: "Wabbel".
In irgendeiner der letzten Nächte hatte ich mich schon mal an
NGC 5860 versucht, brachte die Beobachtung aber nicht erfolgreich zuende. Das Objekt stellt eigentlich ein Konglomerat aus zwei einzelnen Galaxien dar, die miteinander interagieren; bei Wikipedia steht "Kontakt und Durchdringung". Klingt ernst. NGC 5860 präsentierte sich bei 123x als auffällig, aber auch nicht allzu hell. Rund und mit einem Sternchen anbei. Bei 190x ergab sich eine tropfenförmige Gestalt. Die größere der beiden Galaxie war als solche gut zu erkennen; sie stellte den großen Knubbel im südlichen Teil dar und besaß ein helleres, abgesetztes Zentralgebiet. Das zweite Objekt war bedeutend schwieriger und zeigte sich zunächst nur in Form der diffusen "Tropfenspitze", die nach Norden zeigte. Beide Teile waren nicht isoliert voneinander, sondern miteinander verbunden, aber mit entsprechendem Hintergrundwissen konnte man sich vorstellen, dass es zwei Objekte sein sollen. Während der Zeichnung ergab sich aber das Bild von zwei isolierten Helligkeitspeaks: Im Süden die "Hauptgalaxie" und die Begleiterin als sehr schwacher Ball, der nur sporadisch und grenzwertig herausblinkte - aber eben reproduzierbar. Beide Knäule bleiben vom nebligen Glow eingehüllt. Das Ganze erinnerte mich an eine Mini-Mini-Mini-Version von M 51. Zitat aus dem Buch: "das Bild im Oku ist absurd gut".

Der kurze Zentralsterntest an M 57 fiel weniger klar aus, als ich bei der Abbildung erwartet hatte; er kam zwar immer wieder aus seinem dunklen Loch raus, blieb aber blass. Nicht so gut wie beim letzten Terrassen-Einsatz Ende März, aber naja, ich hänge das mal nicht so hoch. Eine Art "Auftragsbeobachtung" war dann die Zeichnung von ε Lyrae. Bei 370x standen beide Doppelsterne schön miteinander im Gesichtsfeld und leuchteten fröhlich vor sich hin. Alle vier Komponenten strahlten in einem hellen, blau-weißen Farbton und ähnelten sich im Hinblick auf ihre Helligkeiten. Die unterschiedlichen Ausrichtungen waren interessant - ein "liegender" und ein "stehender" Doppelstern. Während der südliche der beiden zwar eng, aber auch in luftverschmierten Momenten eine deutliche und klare Trennung zeigte, war es bei dem nördlichen nicht ganz so easy. In sehr unruhigen Momenten berührten die Ränder der verschwommenen Sternscheibchen einander.

Mit dem Hinweis "Dorf" hatte ich das Objektlabel zu NGC 6185 versehen. Bei 123x offenbarte sich ein ovaler Nebel südlich eines Vordergrundsternchens. Zitat bei 370-fach: "naja, mäßig spannend", denn es gab keine Details zu sehen. Das Zentrum schien nur wenig heller als der Rest, kein Kern, kein nix. "Sterngeist", notierte ich.

Blick auf die Uhr: 02:20 Uhr. Noch immer piepte es von überall her, v.a. aus unserer großen Fichte und aus der austreibenden Esche am Nachbargrundstück. Allmählich nervte das nächtliche Konzert dann doch ein wenig. Der allzeit unterlegte, dauerbeschallende Hintergrund-Ton der Autobahn machte es nicht besser. Die Milchstraße blieb weiterhin blass, setzte sich mit steigender Höhe aber immer besser ab.
Dann ging es zu
NGC 6372, weil mich der Hinweis "Sternumfeld" lockte. Die Galaxie befindet sich bei einem markanten Sternmuster und stellt dessen rund-kompakte Ergänzung dar. Deutlich zu sehen, aber blass. Notiz aus dem Buch: "9er: nix Neues, blass+rund, das Oku gefällt mir nicht mehr". Bei 370x kam auch noch die zweite Galaxie,
NGC 6371, in knapp drei Bogenminuten Abstand nordwestlich dazustieß - die war allerdings nur ein schwacher, nicht durchgängig haltbarer Tupfen.

Es folgte
UGC 11035. Dank einem markanten Umfeld bzw. einem Sternenmuster, welches mich an einen Kinder-Flugdrachen erinnerte, ließ sich die Position leicht finden, doch die Beobachtung war schwierig. Ich sah etwas... und das erschien auch tatsächlich irgendwie länglich... aber extrem schwach und nur sporadisch auftauchend. Bei einer eigentlich hohen Helligkeit von 14,3mag kam diese große Schwierigkeit für mich etwas unerwartet. Ich belasse das Objekt, welches ich für mich "Fledermaus" nenne, im Ordner für bessere Bedingungen.
Eine weitere "Auftragsbeobachtung" war der Schwenk auf einen Mehrfachsystem namens
OΣ 356, der sich nördlich von Vega aufhält. Die Sichtbarkeit der benachbarten Galaxie NGC 6663 war nicht gegeben, was mich aber auch überrascht hätte, doch das Sternentrio war durchaus hübsch anzusehen. Es stand da in einem formschönen Dreieck. Komponente A in gelblicher Farbe, B (nordwestlich) wirkte schmutzig rot-grau und C (nördlich) blieb farblos. Die Helligkeitsstufen (7,3 - 9,2 - 10,9 mag) ließen sich deutlich unterscheiden. Das Mehrfachsystem OΣ 356 ist eigentlich gar keins - die drei Komponenten stehen nur optisch so nah beieinander -, was allerdings nichts daran ändert, dass es ein wirklich nettes Beobachtungsziel ist und mir ganz gut gefiel.


Es ging allmählich auf 04:00 Uhr zu; bald müssten die ersten Vorboten der Dämmerung wahrnehmbar sein. Je kälter es wurde, desto feuchter wurde die Umgebung und alles wurde klamm. Ein letzter Blick auf den höher gestiegenen M 57 zeigte nun einen deutlich sichereren Zentralstern - natürlich umgeben von diesem formschönen Nebeloval. Unerwartet tolle Nacht! Es kam überraschend, dass die Zirren abwanderten und der Himmel derart aufgemacht hatte... Letzte Bemerkung aus dem Buch: "ich gehe rein, genug geschrieben".