23./24.02.2014 - Anas platyrhynchos: Die Nacht der tausend Enten



Was für ein wunderbar sonniger Sonntag, der mit guten Wetterprognosen für den Abend ausklingen sollte. Auch wenn am nächsten Tag schon wieder der böse Montag dräut, war die Beobachtungsabstinenz einfach viel zu lang, um diese Gelegenheit ungenutzt zu lassen. Am Nachmittag schon konnte ich nicht widerstehen, als ich meinen Fernglas-Sonnenfilter ausbuddelte und ihn für fotografische Absichten zweckentfremdete. Hey, da ist ja 'ne schöne große Fleckengruppe unterwegs...

Was die Beobachtungsnächte am Stammplatz immer zu etwas Besonderem macht, ist die friedliche Zeit der Dämmerung. Wenn man nicht gerade monströse Kameraanlagen hochzimmern muss und vergeblich nach alten Stativlöchern sucht, hat man alle Zeit der Welt, aufzubauen, Fotos zu machen, alles zurechtzulegen und sich umzuziehen, ehe es dunkel wird. So auch diesmal, als wir gegen 18:20 Uhr einflogen und feststellten, dass Thomas bereits da war. Im Westen stand eine tiefe Schicht von Schleierwolken, die aber harmlos war und nicht weiter störte; der Rest des Himmels war frei und klar. Es ging ein wenig Wind, der sich bald legte. Die Temperaturen waren mit 6°C zunächst noch angenehm, doch da der Wetterbericht für den Osten der Republik Frost ansagte, hieß es gleich nach der Ankunft, sich die dicken Klamottenschichten überzuwerfen.

„Ach, Sch...“, fluchte ich, als ich feststellte, dass sich die Kopflampe nicht im Rucksack befand. Naja, es geht auch ohne. Schlimmer war, dass ich keine Mütze hatte (Uwe konnte mir eine leihen) und Thomas war ohne warme Stiefel gefahren; ebenso wie Martin, der erst um 19:00 Uhr eintrudelte. Wir konnten ein tolles Konzert der heimischen Enten genießen, die rings umher, aus allen Richtungen, lautstark schnatterten und sich lange nicht beruhigten. Beim Ausrichten des Suchers wurde mir eins bewusst: Der Hauptspiegel ist eine thermische Katastrophe. Aber egal, das Ding ist schnell ausgekühlt. Mir konnte so leicht nichts die gute Laune verderben.

Ich blätterte durch die Atlasseiten auf der Suche nach einem Objekt, was in der Restdämmerung schon gehen könnte, und stieß auf eine nette „3-in-1“-Konstellation im Stier. NGC 1746, 1750 und 1758 sind tatsächlich drei „Haufen auf einen Haufen“. 1746 macht die Gesamtgröße aus und beinhaltet am südlichen Rand den zweitgrößten 1750, und in der Nordosthälfte den kleinen 1758. Dieser hebt sich sehr einfach aus dem Mischmasch heraus, während die Trennung der größeren Haufen voneinander schwerer fiel, da sie sich als eher lose präsentierten. Es versammelten sich viele Sterne auf der Fläche, alle durch verschiedenste Ketten und Muster miteinander vernetzt... Genau das richtige für den Einstieg, um warmzuwerden.

Beim Okularwechsel fiel mir etwas in den Augenwinkeln auf. Da, im Westen – die Milchstraße?! Nee, kann nicht sein. Es war die helle Pyramide des Zodiakallichtes, die in den Widder und Stier hineinragte. Immer wieder ein Erlebnis, dieser Anblick. Die Sommermilchstraße tauchte in den Norden ein; der Schwanz vom Schwan schrammte oberhalb des Dorfes entlang. Selbst in diesen geringen Höhen waren noch die Strukturen zu sehen, wenn man die Laternen mit der Hand verdeckte.

Ich begab mich nun in den Fuhrmann und nahm eine weitere neue exotische Abkürzung aufs Korn. Kp 12, Koposov 12. Ein Haufen. Was auch sonst. In einer hellen Dreierkette befindlich, war er bei niedriger Vergrößerung nicht aufzulösen und erschien als flächiger Nebel. Dies änderte sich; im 9mm-Okular zeigte sich Kp 12 als eine schwungvoll gekrümmte Kette aus lauter gleichhellen und dicht aneinander gereihten Sternen.

In der Nähe befand sich ein weiteres Schmankerl aus der Reihe „seltsame Haufen“. Koposov 10 war in der Übersicht ein extrem winziges Ding; eher vergleichbar mit einem unscharfen Stern. Ich wechselte gleich auf 200x und war begeistert, in was sich das Kerlchen verwandelt hatte. Ein kleiner, kugelförmiger Ball aus wenigen, dicht gedrängten Mitgliedern. Ein winziges Trapez im Haufen war noch am auffälligsten. Mich erinnerte der Anblick an Fotos schwacher Kugelsternhaufen. Mein absolutes Highlight des Abends, auch wenn später noch ein paar Leckerlis kommen sollten. Uwe blickte, auf meine Entzückungsrufe hin, durchs Okular und konnte meine Begeisterung mal wieder nicht teilen.

Mit Kronberger 1 folgte eine unspektakuläre Sterngruppe, die nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden soll. Recht arm an Mitgliedern, 7 an der Zahl, und leicht gebogene Gesamtform. Kein echter Haufencharakter vorhanden; es wirkte wie eine zufällige Formation. Der hellste Stern befand sich an der Nordspitze.


Ein Nebel-Label, gleich daneben, erregte meine Aufmerksamkeit. NGC 1931. Bei 129x war ein auffälliger Komplex zu erkennen, der oval geformt war und im Zentrum ein paar Einzelsterne aufwies. Es handelte sich dabei um den innenliegenden Haufen Stock 9, der bei höherer Vergrößerung aufgelöst war und nun den Anblick klar dominierte. Der umgebende Nebelschleier lief sanft in den Hintergrund aus und schien nach Osten hin etwas wulstiger.

Ich legte eine Zäsur ein und hielt das SQM-L in die dunkle Ecke vom Kleinen Wagen. Piep, piep, piep, piep – im Durchschnitt 21,3 mag/arcsec². Uwe, der sich selbstlos bereiterklärt hatte, den schönen Koposov 10 aufzunehmen, begann nun, zu lamentieren. „Das ist aber nicht so der Hingucker“, sagte er mit Blick aufs Kameradisplay. „Hey, der ist toll! Mach hier meinen Haufen nicht so runter! Erst gebe ich dir die besten Geheimtipps, und dann beschwerst du dich auch noch.“


Das nächste Objekt war schnell gefundenes Fressen. Gleich südlich von Capella ist der Haufen Patchick 3 zu finden – leicht, aber der helle Stern störte und irritierte den Anblick. Bei 129x war die Gruppe aufgelöst, wenngleich sie sich als eher langweilig und mittelmäßig konzentriert herausstellte. Lauter gleichschwache Mitglieder. Die Gesamtform erinnerte mich an einen Kutter, der unaufhörlich gen Westen schippert. Irgendwie nett. Während der Zeichnung war das Zuschlagen einer Autotür zu vernehmen, gefolgt von einem fluchenden Martin: „Jawoll. Jawoll. Jawoll!!“

Uwe rief uns zur Kaffeepause zusammen, und irgendwo fiel das Stichwort „M 82“. M 82! Ahh, ich hatte M 82 und die Supernova noch überhaupt nicht gesehen! Alle Welt hat schon, nur ich nicht. „Hilfe, ich hink' hinterher...“ Auf den Scheiben des PKW hatte sich inzwischen ein dünner Belag gebildet, aber aufgrund der recht trockenen Luft hatte sich das Beschlagen lang hinausgezögert. 2°C, und es setzte ganz leicht ein, zu gefrieren. Aber nur ganz leicht.


Nach dem warmen Kaffee, 21:10 Uhr, schritt ich munter zur Tat und verbrachte entsetzlich lange damit, diese dumme M 82 zu finden. Ja, das ist mal wieder superpeinlich. Die Supernova zeigte sich unmissverständlich als heller, scharfer Lichtpunkt innerhalb der Kernzone, aber der Rest der Galaxie war natürlich ein wesentlich ästhetischerer Aspekt. Verschiedene dunkle Schläuche und Einbuchtungen hatten an M 82 ihr nagendes Werk vollbracht, sodass sie regelrecht angefressen, zerrissen und zerfetzt dreinschaute. Diese Dunkelkomplexe auseinanderzuklamüsern, dauerte eine Weile, aber Spaß hats gemacht.

Das SQM-L gab nun eine gesunde 21,4 aus, während in Hobeck die Hunde aufbegehrten und ich ständig über ein holziges Kraut stolperte, das im Aktionskreis meines Dobson dahinsiechte. Auch wenn sie mich jetzt nicht wahnsinnig interessierte, schwenkte ich auf die Nachbarin M 81. Beim indirekten Betrachten fiel mir eine blasse, chronisch verschwindende Aufhellung auf, die sich oberhalb eines Sternduos, westlich der Galaxie befand. Das wird doch wohl nicht...? Ich bat Martin um seine Expertise, der kurzerhand eine Detailkarte vorweisen konnte. Ja, die Position war richtig. Zurück am Teleskop bestätigte sich die Sichtung, wenngleich sehr schwer und nicht dauerhaft haltbar. Holmberg IX! Es handelte sich um einen diffusen, schweren, konturlosen Nebelhauch, der sich nördlich bei dem Sternpaar aufhielt und ordnungsgemäß immer wieder an der richtigen Stelle aufblinkte. Toll! Ich schmeiß' mich weg.

Meine Motivation war befeuert ob dieser „Sensation“ und in der Hydra, südlich vom Löwen, glomm ein heller Bolide auf. Es war 22:15 Uhr und muckelige 1°C, als Thomas sich verabschiedete und wieder aufbrach. Er konnte heute erstmals seine neue Kamera testen und freute sich über die hohen ISO-Zahlen, die nun ohne starkes Rauschen möglich waren. Im Osten, genau links von unseren Lieblingsbäumen, stand nun die Nördliche Krone – ein schöner Anblick. Überhaupt der ganze Nachthimmel. Dunkel, klar, knallige Wintermilchstraße... Uah, das hat mir so gefehlt.


Der Bolide gab die nächste Zielrichtung an und ich peilte in die Wasserschlange. Ein hochinteressantes Galaxienduo fand sich in Arp 202, die von NGC 2719 und 2719A gebildet wird. Bei niedriger Vergrößerung nicht auszumachen, doch bei 200x ein auffälliges Objekt. Es war problemlos eine Zweiteilung („Klumpenbildung“) auszumachen. Der längliche, SO-NW-gekippte Hauptbarren mit einem Achsenverhältnis von 1:3 schien am Nordende etwas spitzer zulaufend. Auf der westlichen Seite, dicht am Südende der Galaxie, befand sich eine kleine, schwache Begleiterin, die sich als runde Aufhellung präsentierte. Klasse!

Mutig wie ich war, hatte ich mir eine Hickson-Gruppe herausgesucht und wollte mich daran versuchen. Es sollte HCG 37 werden, die sich im Sternbild Krebs aufhielt und nördlich eines auffälligen Sternduos stand. Markantestes Mitglied war NGC 2783, die sich wiederum aufsplittet in 2783 A und B. Bei 200x war die 13,5 mag helle A als „Platzhirsch“ nicht zu übersehen; oval gestaltet und ohne Struktur. 2783 B, wesentlich schwächer, tauchte in nördlicher Verlängerung der beiden Feldsterne als fade Galaxie in Kantenlage auf und zeigte senkrecht an der hellen Nachbarin vorbei. Der Rest von Hickson 37 war nicht zu erkennen; es fehlten zwei schwache PGC-Nebelchen.

Ein hohes, sirrendes Geräusch näherte sich uns, als ich in der Beifahrertür stand und den Atlas studierte. Wir wunderten uns. Es war eine nachtaktive Ente, die nur wenige Meter über uns hinwegflog und gen Süden verschwand. Am Südosthorizont war schon lange ein Planet aufgegangen, von dem wir überlegten, welcher es war. Martin war für Mars, ich hielt ihn für Saturn. „Hundertprozentig ist das Saturn. Mars kommt erst später.“ - „Guck doch mal nach!“ Ich schritt zum Teleskop und neigte es hinab. „Es werden noch Wetten angenommen... Uaaaah!!“ Katastrophe. Beim Hinunterziehen hielt ich plötzlich das an zwei Punkten herausrutschende Gestänge in der Hand. Ich musste es eingangs der Nacht wohl zu lasch festgemacht haben. Uwe und Martin eilten auf mein Gefluche und Gezeter panisch herbei, halfen mir beim Wiedereinbauen und nutzten ihre Männerkraft, um die Schnellspanner bombenfest zu sichern. „Jetzt ist die Justage im Ar... Naja, egal, für den Planeten wird’s noch reichen.“ Ich schwenkte wieder hinab und hatte das Teil im Okular. Große Preisfrage – hats Ringe oder hats keine Ringe? Das Seeing dort war derart grottenschlecht, dass sich der helle Punkt verformte und langzog. „Ha! Saturn!“ Ein kurzbrennweitigeres Okular brachte jedoch Ernüchterung. Keine Ringe, nur so eine olle orangene Kugel. Tja, Wette verloren!


Nach einer Neujustage und einer schnellen SQM-Messung (21,34) ging es weiter im Programm. Auf dem Notizzettel stand, mit einem „!“ versehen, Hickson 40 auf dem Plan. Auf dem POSS-Aufnahmen ein hochinteressantes Teil, dessen Mitglieder ineinander verschachtelt waren; im Dobson eine nette Herausforderung. Bei noch niedrigeren Vergrößerungen zeigte sich ein einziger, schwacher, zusammenhängender Nebelschleier, der sich ab 200x in seine Einzelteile auflöste. Die Segmente waren unterschiedlicher Natur; am auffälligsten erschien ein ovaler, kompakter Ball in der Westhälfte der Gruppe. Drei kleine Galaxienkerne waren einigermaßen gut erkennbar; eine schwache Lichtnadel gesellte sich im Laufe der Beobachtung auch noch hinzu. Die faszinierende Konstellation, die man auf den Fotos sieht, konnte ich freilich nicht nachvollziehen, aber dieses enge Aufeinanderhocken der Nebelchen war dennoch ein schöner Anblick. Erinnerte mich an die Straßenbahnlinie 6 in Magdeburg zur Rush-Hour.

Auf Atlaskarte Nr. 60 war mir am Nachmittag ein Haufen aufgefallen, der mir vom Namen her sofort sympathisch war: Herschel 1. Bei 56x zeigte sich eine gut erkennbare, große Sterngruppe mit hellen Mitgliedern, die jedoch nicht sonderlich konzentriert war und eher lose daherkam. Die meisten Sterne waren in einer geschlossenen Kette angeordnet, die ein „D“ formten. An der Spitze des Bogens befanden sich die hellsten Mitglieder – diese Stelle könnte man durchaus als Herz des Haufens bezeichnen.

Das nächste Objekt ließ mich die gute Kinderstube vergessen, weil das Aufsuchen lang dauerte. Irgendwo in Lynx befindlich, wo keine helleren Sterne die Richtung weisen konnten. Diese Gegenden meide ich ganz bewusst wie der Teufel das Weihwasser. Ein leergefegtes Areal. Willkommen am Ar... der Welt. Ich hangelte mich irgendwie zum PN Jones-Emberson 1, der ohne Filter nicht zu sehen war. Mit dem OIII tauchte dann leicht eine Aufhellung auf und es zeigten sich zwei längliche Hälften, die durch das dunkle Innere voneinander getrennt waren. Die nördliche Hälfte war schwächer und diffuser, während die andere Hälfte breiter schien und eine hellere Stelle im Nebelgebiet aufwies.


Bis 00:30 Uhr machte ich ein Päuschen, lief umher, schwatzte und analysierte mit den beiden Anderen die mögliche Position des Gegenscheins, der sich als ovale Aufhellung östlich von Regulus befand. Sehr schwach, aber doch eindeutig. Abgesehen von Tiergeräuschen (Enten) aus Richtung des Hobecker Forstes im Südosten, die Martin bemerkenswert fand, herrschte eine göttliche Ruhe auf dem Acker. Schade, dass die Nacht nicht mehr lange andauern sollte, da ich am Morgen früh aufstehen musste; abgesehen davon sorgte sich Uwe über den leeren Akku seiner Ricoh.

Die nächste Suchaktion, wieder in der Giraffe, verlief ins Leere. Der Starhop zu NGC 2403 war noch erfolgreich, doch davon ausgehend irrte ich in der Pampa umher und blieb erfolglos. Aber bevor ich die wertvolle Restzeit mit Nichtfinden verschwendete, begann ich stattdessen, ein paar der netten Messier-Galaxien in UMa abzugrasen, was einen guten Ausklang aus der Nacht darstellte. Notizen machte ich dazu nicht.


Gegen 01:00 Uhr war es dann soweit, dass das Einpacken anstand. Die Bedingungen waren weiterhin fabelhaft, obschon die Zirrenbank im Westen nun hochkroch und erste Striemen sichtbar durch den Orion ziehen ließ. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Schade, schade, ich hätte liebend gern durchgezogen, denn ich fühlte mich pudelwohl auf dem Acker und genoss die frische Luft. Trotz -1°C und Füßen noch in den Turnschuhen kam es mir nicht kalt vor, zudem auch die geringe Luftfeuchte ihren Beitrag dazu leistete. Eine dünne Eisschicht lag auf der Windschutzscheibe, die rasch abtaute. Das Gras glitzerte. Martin konnte noch ein wenig länger bleiben und die Nacht nutzen, während die Schönebeck-Connection leider Abschied nehmen musste. Hoffentlich nicht zu lange, sonst... krieg' ich 'ne Macke.




Ein Beobachtungsbericht von AKE

Schönebeck, 24.02.2014

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