09./10.04.2023 - Halbe Nacht am Erdsilo

Nach all den elenden Versuchen, im eigenen Garten mitten im Dorf irgendwas Astronomisches zu bekleistern, ergab sich nun endlich die erste Möglichkeit, das Auto zu packen und auf irgendeinen Acker zu fahren. Da kann man sich schon mal freuen! Der Mond stand günstig im Skorpion und sollte daher recht spät aufgehen, aber für eine halbe Nacht wollte ich keine Weltreise veranstalten; also scannte ich die nähere Umgebung nach noch unbekannten, potentiellen Plätzen ab. Bahnbrechende Überraschungen in der Himmelsqualität waren nicht zu erwarten, aber das war mir inzwischen wurscht; Hauptsache, möglichst weit weg von jeder Straßenlaterne.
Und so holperte der Berlingo über ein ruppiges Pavé, vorbei an einem großen Erdsilo und strandete um 20:15 Uhr zur besten Sendezeit an jener Feldweg-Kreuzung, die ich mir im Vorfeld ausgespäht hatte. Auf einer schwindelerregenden Höhe von 159m. Totale Ruhe, abgesehen von piependen Feldlerchen. Frische Luft, windstill, trocken; tief am Westhorizont dünsteten ein paar Wolken vor sich hin. Ich ließ mir Zeit mit dem Aufbauen und hatte trotzdem noch extrem viel Wartezeit zu überbrücken, die ich nutzte, um mich an die fremde Umgebung zu gewöhnen. Wichtig für die psychologische Komponente, damit man im Dunklen nicht nur umherschaut und verdächtige Schatten als Axtmörder interpretiert... Aber eigentlich war das Plätzchen ganz nett; gute Rundumsicht mit Wohlfühlfaktor.

Ich saß im Auto rum, Orion und Venus vor der Nase, trank den ersten Becher Kaffee, schaute der Dämmerung beim dämmern zu und dachte noch ein bisschen über den Tag nach. Zwischendurch das ein oder andere Foto. Und den Sucher an der Venus ausgerichtet (kleine, helle, runde Kugel). War das Merkur tief unten am Horizont? Irgendwas hatte ich doch gelesen... Fledermäuse schwirrten lautlos vorbei. Die Feldlerchen verstummten irgendwann; dafür wehte von überall her Hundegebell kilometerweit über den Acker. Bernburgs Lichter am Nordhorizont blinkten und auch das besonders unschöne Könnern war präsent. Als es noch nicht ganz dunkel war, hörte ich ein komisches Bummen, welches sich als Feuerwerk in irgendeinem fernen Dorf entpuppte. Witzig; die Knallgeräusche kamen erst bei mir an, als das Feuerwerk schon vorbei war.

Halles Lichtglocke hatte sich bereits in der Dämmerung vom Himmel abgesetzt - war abzusehen. 21:30 Uhr: Dunkler wirds nicht mehr, also raus und ran ans Teleskop. Der Atlas lag aufgeschlagen im Krebs; erstes Objekt war M 67 mit seiner dreieckigen Gestalt und dem markanten hellen Stern an der Spitze. Eigentliches Ziel lautete dann NGC 2872/4; ein enges Galaxienpärchen in Gestalt von zwei flauschigen Bällchen, das schon in der Übersicht leicht auffällt. Bei 130x wirkt -72 heller und kompakter; 74 dagegen länglicher und mit einem stellaren Kern. Bei 200x kehrte sich der Eindruck etwas um: NGC 2874 erschien mir nun heller; insg. konnte ich mich nicht ganz entscheiden, welche Galaxie nun kräftiger ist. Sie waren aber beide schön voneinander getrennt.

Beim Aufsuchen des nächsten Ziels stolperte ich über den Carbonstern R Leo, der in einem schicken Sternfeld steht und mit seinem tiefen Orange sofort auffällt. Da konnte ich nicht dran vorbeigehen.

Eigentlich wollte ich zu NGC 3016/20, einem weiteren Pärchen, welches allerdings nicht so auffällig war wie jenes zuvor. In der Übersicht unsichtbar; erst bei 130x schälten sich zwei diffuse, formlose Nebel heraus. Ich hatte mir in den Atlas die Notiz "fl.schw." und irgendwas von einer dritten Galaxie eingraviert, insofern war zu abzusehen, dass da keine Leuchttürme auf mich warteten. Die dritte Galaxie (NGC 3024) tauchte ebenfalls unmissverständlich auf; von dem Trio schien sie mir sogar fast am auffälligsten. Hier war wenigstens die strichförmige Gestalt erkennbar.

Ich hatte kürzlich erst Gespräche über komische Geräusche beim Beobachten geführt, und wie sehr einen das mitunter aus dem Konzept bringen kann, wenn sowas erstmal nicht zuzuordnen ist. Das obligatorische komische Geräusch in dieser Nacht kam mal wieder aus Richtung Auto. Ein leises, hohes Zischen. Es begleitete mich eine halbe Stunde lang, ehe ich dann die Thermosflasche verdächtigte, die auf dem Beifahrersitz stand. Ja, heiße Getränke in fast-geschlossenen Behältern machen schon lustige Sachen. Besser zu identifizieren war hingegen die Sirene, die gegen halb 11 aus Richtung Könnern oder Alsleben losbrüllte - der Schall trug sie lautstark zu mir. Bald danach rasten Blaulichter über eine ferne Straße, die dann irgendwann an ihrem Ziel ankamen. Das Seeing erschien mir ungewöhnlich gut. Gradmesser: Sirius, der schon im Horizontdunst eintauchte und keine nennenswerten Regungen zeigte. Auch die anderen hellen Sterne flackerten wenig. Das Fokussieren bei höheren Vergrößerungen machte entsprechend Spaß, weil man tatsächlich ganz nadelfeine Sterne im Okular vorfindet.

NGC 3510, blöd aufzufinden, war in der Übersicht nicht sichtbar, tauchte aber bei 130x neben einem hellen Stern auf. Ein langgezogener, linsenförmiger Schweif, spitz an den Enden zulaufend. Zentrum flächig ohne echte Helligkeitskonzentration. "Krumme Ausläufer" war mein Hinweis im Atlas, aber ich sah da nix Krummes.
Direkt daneben überraschte wiederum
NGC 3486. Eine weitläufige Face-On-Spiralgalaxie, die nicht zu übersehen war. Ein rund-ovaler Bausch mit einem stellaren Kern in der Mitte. Bei längerem indirekten Sehen gewinnt der Nebel enorm an Größe; aufgrund der diffusen, zarten Übergänge war eine konkrete Grenze aber nicht auszumachen. Unruhig wirkendes Inneres, aber nichts Konkretes festzumachen. An ein oder zwei Stellen blinkte etwas Knotiges heraus, was sich in der Nachbetrachtung aber nur als schwacher Doppelstern entpuppte.

Es war 23:00 Uhr und zwei Füchse (einer im Norden, einer im Süden) bellten sich gegenseitig an. Im Osten war ein bisschen zirriges Wolkengeschmiere aufgestiegen, aber nichts Wildes. Ich verkrümelte mich kurz ins Auto, trank ein Becherchen Kaffee und sah neugierig zu, der tiefe Südhorizont immer wieder bunt aufleuchtete. Wetterleuchten, oder was? Wahrscheinlich noch ein Osterfeuerwerk irgendwo.

NGC 5966 war das einzige Objekt auf der To-Do-Liste, das ich mit einem Ausrufezeichen versehen hatte. Das Feld fand ich so hübsch. Im Okular dann, naja. Zwei sehr helle Feldsterne machten das Aufsuchen ganz leicht, und südwestlich davon befand sich die Galaxie. Oval, strukturlos, ein schwacher stellarer Kern. Ich wusste, dass in dem Feld noch weitere Objekte standen, aber wo? Ich machte noch einen Nebeltupfen östlich zwischen den beiden Feldsternen aus (IC 4563); die dritte Galaxie im Bunde, westlich davon, wollte aber nicht mehr durch den Sehnerv.

An der Gruppe rings um IC 4562 blieb ich nicht sehr lange hängen. Die Galaxien, die im Atlas verzeichnet sind, waren zwar sichtbar, aber so richtig Gruppenfeeling kam nicht auf, denn sie waren einfach zu weit voneinander verstreut. Außerdem blieben sie alle strukturlose Ovale. Hat mich nicht gecatcht.
Nicht weit weg das nächste Ziel: Der PN
NGC 6058, die Schildkröte. Hatte ich nicht erst neulich was darüber geschrieben? Das kleine Scheibchen ist bei 130x sehr hell, insb. der Zentralstern ist extrem dominant. Form rund, mit Tendenz ins Ovale. Bei 380x kommt noch genug Licht am Auge an, um eine zarte Schalenstruktur wahrzunehmen, allerdings schwerer, als ich gedacht hatte. Insgesamt erinnerte mich der PN an ein Auge.

Es ging dann zu M 53 und NGC 5053, mit denen ich eigentlich noch was Größeres vorhatte; dazu verlor ich dann aber spontan die Lust und beließ es dabei, mich einfach nur an diesem ungleichen Pärchen zu erfreuen. Ich mag das Duo. M 53, ein brüllend heller Ball, der schon in Aufsuchvergrößerung zig Einzelsterne zeigt und in mehrere Ketten und Arme zergliedert ist. Erinnerte mich spontan an eine Krake. Gehörte der vielleicht sogar zu "Kraken"? Keine Ahnung, hab ich mir nicht gemerkt. Der Nachbar NGC 5053 fällt zwar beim Rumrühren auch noch leicht ins Auge, ist aber gänzlich anderer Gestalt. Flächenschwach, nicht nennenswert heller im Zentrum. Höher vergrößert bröseln etliche schwache Einzelsterne aus dem Haufen heraus, aber eher gleichmäßig verteilt und nicht in der Mitte konzentriert. Toller Kontrast zwischen den beiden Objekten. 
Mit
NGC 4866 rückte ich in die Nähe des Virgo-Haufens. Ein paar Pfeile wiesen dort auf verschiedene Ziele, aber ich war nicht nervenstark genug, um mich in das Getümmel zu stürzen. Also blieb ich am östlichen Rand und schaute mir diese hübsche Edge-On an. Sie präsentierte sich hell und langgestreckt, mit einem hellen Kern und einem ähnlich hellen Vordergrundstern in der Westhälfte, wodurch die Galaxie strukturierter wirkte, als sie eigentlich ist. Schönes Objekt!

Ähnlich auffallend war NGC 4710, ganz in der Nähe. Ebenfalls hell und langgestreckt. Das Zentralgebiet erschien rund gewölbt, während der Rest völlig platt war. Die beiden spitzen Enden liefen noch enorm weit aus und verloren sich irgendwo im Himmelshintergrund. Auch ein schönes Objekt!

Bei mir war ein wenig die Luft raus. Und es wurde allmählich fröstelig. Klamottentechnisch war das nicht die intelligenteste Kombination, aber man muss ja erstmal wieder abhärten. Inzwischen hatte das Datum gewechselt. Es war ruhig, doch irgendwo bellte immer ein aufgeregter, schlafloser Hund in der Ferne. Ich klappte den Atlas zu und wandte mich M 51 zu, die fast genau im Zenit stand und schon lange auf meiner Zeichnen-Liste stand. Irgendwann muss man ja mal damit anfangen. Ewig viel Zeit war eh nicht mehr übrig, also nutzte ich die letzten Minuten für die schöne große Spirale. Mal gucken, wie weit man heute noch kommt. 
Aus der Lichtglocke Halles wölbte sich irgendwann allmählich ein weiterer, glockenförmiger Schein empor, und je höher er wurde, desto mehr schrumpfte die Grenzgröße im Süden. Der Mond sollte bald aufgehen. Für mich ein Zeichen, einzupacken. Mit M 51 wurde ich natürlich nicht mehr fertig, aber die bleibt einem ja noch eine ganze Weile erhalten. Binnen weniger Minuten war das ganze Equipment verzurrt und verstaut, und ich konnte in aller Ruhe zusehen, wie ein rot-pinkes Scheibchen in Zeitlupe über den Südosthorizont kroch. Gab schon schönere Kulissen für einen Mondaufgang, aber naja, besser als gar nix.

Ich saß dann noch ein paar Minuten im Auto, hörte David Gilmour, dachte nach und nach und nach, und ließ die Session mental ausklingen. Hei, war das schön. Eine Wohltat in jeglicher Hinsicht. Den übervollen Kopf freikriegen, Gedanken resetten, einfach genießen. Der Standort am Erdsilo, naja, kann man machen. Schnell erreichbar und ruhig; für kurze Einsätze durchaus brauchbar, aber natürlich nicht optimal. Gegen Einse brach ich dann wieder auf und war nach einer Viertelstunde zurück im hell erleuchteten Dorfe.

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