03./04.10.2013 - Berlingo-Lee

Noch schlimmer als am Mittwoch tobte am Feiertag der stürmische Wind durch die Börde und ließ der Sonne leider keine Chance, die Luft ein bisschen aufzuwärmen. Sie schien nämlich den ganzen Tag an einem tiefblauen Himmel. Ich hatte mich im Haus verkrochen und bereitete die Objektplanung vor, denn irgendwie zeigten sich Erkältungssymptome, die mir nicht geheuer waren.



Die Prognosen gaben auch diesmal wieder grünes Licht und wir entschieden uns natürlich für den Feldeinsatz. Vielleicht wird es ja heute ein bisschen ruhiger! Tatsächlich ließ der Herbststurm, der am Nachmittag umging, zum Sonnenuntergang ein wenig nach, war aber dennoch kräftig, und – ich kann es schonmal vorwegnehmen – blieb uns bis zum frühen Morgen erhalten. Jaja, der Herbst. Bei der Anfahrt sahen wir einen dicken Bündel Schleierwolken am Westhimmel, der uns Sorgen bereitete, doch je mehr wir uns in östliche Richtung vorarbeiteten, desto unbegründeter waren sie. Das Zeug löste sich auf und vermehrte sich nicht. Da wir diesmal früher gestartet waren, kamen wir logischerweise auch früher in Hobeck an und konnten in aller Seelenruhe die Lage erkunden.

Es war windig. Sehr windig. Fast noch stärker als am Abend zuvor. Ich entschloss, direkt hinterm Auto aufzubauen, das mir als Abschirmung diente. „Im Windschatten des Berlingo“, nannte es Uwe treffend, der sich wieder auf der anderen Seite platzierte. Noch 9°C, die sich allerdings kälter anfühlten. Die Dämmerung nahm ihren üblichen Lauf, es wurde dunkler, es wurde wolkenloser. Irgendwann stieß auch der Rest der Truppe dazu und ein jeder rätselte, wo er am günstigsten aufbauen sollte. Thomas parkte gleich ganz am Ende des Feldweges, weil er dort besser die Plejaden aufnehmen konnte. Uwe bereute seine erste Standortwahl und stellte, mit Martins Hilfe, den Deltagraphen hinter den Wagen. Der Berlingo bewies mal wieder absolut seine Tauglichkeit als Astro-Auto, denn durch die Höhe bot er viel Windschutz.

So. Gut eingepackt, gegen die Kälte gewappnet, alles zurechtgelegt… Ich schloss die Hintertüren und versiegelte somit den „Windschirm“. Leider schoss die Luft auch übers Dach, wo sie den Hut wieder voll traf, und somit zitterte das Teleskop ebenfalls. Naja, hätte ja klappen können, aber machen wir das Beste draus. Ich ging ein bisschen umher, vertrieb mir die Zeit. Martin, der gerade dabei war, sein Stativ in den Boden zu versenken, fluchte wie ein Rohrspatz: „Ey, das ist schon wieder so’n Tag. Da biste ma früher draußen, da haste Kaffee mit, und dann… Wind!! Und wo ist jetzt das dritte Loch?! Oh, Mann!“ Bald schon war die Milchstraße zu sehen und ich bezog so langsam Stellung. Uwe fragte mich, wie das Seeing war, und ich schaute auf. „Hmm… Geht. ... Reicht dir das als Antwort?“


Ich hätte gut und gerne fünf Hände brauchen können, um den widerspenstigen Atlas festzuhalten, dessen Seiten wild umherflatterten. Die Reise ging mal wieder in den Schwan, wo ich mir einen Haufen mit dem wohlklingenden Namen „Loiano 1“ herausgesucht hatte. Ein sehr großes Objekt mit sechs dominant hellen Sternen, die zusammen einen flachen Hut formten, der in O-W-Richtung lag. Trotzdem war er, ob des reichen Umfeldes, eher unscheinbar und lose. Für das Gesichtsfeld des 14-mm-Okulars fast schon zu groß. Entlang der „Hauptachse“ des Hutes zog sich ein Band aus schwächeren Haufenmitgliedern.

Obwohl ich die Zeichnungen hinterher stets mit dem DSS-Bild abgleiche, kann ich die Sternpositionen nicht miteinander in Einklang bringen. Entweder war ich an der falschen Stelle unterwegs, was ich nicht glaube, oder ich habe beim Skizzieren einfach Murks gemacht.


Wegen des Windes scheiterte ich mal wieder an zwei weiteren Objekten, doch diesmal ließ ich mir die Laune nicht verderben, sondern schraubte stattdessen einfach die Erwartungen runter. 21:20 Uhr; Martins Flüche wegen eines störenden Flugzeugs drangen an unsere Ohren, und 3 Meter hinter mir leuchtete Uwes Kameradisplay. Er sorgte sich um die Zirren, die nach wie vor im Westen umherwanderten, und weise sprach ich: „Guck doch einfach nicht hin.“ Ich fühlte mich wie in den Juli-Nächten, als es die Mücken waren, die das Nervenkostüm strapazierten. Irgendwann ignoriert man es einfach, oder versucht es zumindest…


Endlich ein Erfolg: Abell 78, ein PN im östlichen Schwan. Mit OIII-Filter ein schwaches, aber problemloses Objekt, das mittig zwischen zwei hellen Feldsternen positioniert war und einen schwächeren (Zentral-?)Stern umgab. Es wirkte wie ein Ring, der nach außen hin aber stark diffus auslief, und die Grenzen konnte ich nicht ausmachen. Auch drei Herrschaften warfen einen Blick durchs Okular und stellten fest: „Das ist ja wirklich furchtbar mit dem Wind.“


Kurz darauf hörte ich, wie das Wort „Kaffee“ fiel, und löste mich vom Okular. „Machen wir’n Kranz?“, wollte ich wissen. Daraufhin wurde eine kollektive Pause einberufen. „Kaffeeee!“, rief Uwe, schenkte ein, und so versammelten wir uns am großen Wagen, dessen Kofferraum zum Picknicktisch umfunktioniert wurde. Lagebesprechung. Thomas bereitete sich schon wieder auf die Heimreise vor und Martin referierte über seine weißen Moonboots. Das SQM-L spuckte im Durchschnitt 21,24 mag/arcsec² aus, was für diesen Standort eher dürftig ist, aber so war es eben nun mal. Spielt auch keine Rolle, ich hatte jedenfalls meinen Spaß, und mit einer zweiten Tasse heißen Kaffees kehrte ich nach 20 Minuten ans Okular zurück.

Das Herbstviereck stand nun so hoch am Himmel, dass es oberhalb der offenen Beifahrertür war, und somit für den Sechzehnzöller erreichbar. Keine anderthalb Grad südlich von Alpha And befindet sich das Galaxienpärchen NGC 1 und 2 – die ersten Einträge im NGC, der Anfang allen Übels. Es war bei der stetigen Wackelei ein Krampf, die Teile zu finden, und in der Richtung war der Himmel irgendwie seltsam hell. Egal. Im Okular tauchten zwei rundliche Nebel auf: Ein schwächerer im Süden (NGC 2), diffus begrenzt, und ein dominanterer nördlich (folglich NGC 1) mit hellem Zentralgebiet. Ansonsten waren keine Details zu erkennen. Kein überragender Anblick.

Da Martin in den letzten Tagen mehrfach von der schönen Spiralgalaxie NGC 90 sprach, hielt sie Einzug in meinen Beobachtungsplan. NGC 90 (oder Arp 65, zusammen mit NGC 93) war Teil einer netten Galaxiengruppe rings um das hellste Mitglied, NGC 80, mit 13,2 mag. Der Blick auf eine Detailkarte zeigt sehr viele schwächere Nebelchen ringsum verzeichnet, und es hätte Spaß gemacht, diese Gruppe im Ötztal zu sezieren, doch in Hobeck blieb nicht mehr viel von der Peripherie übrig. Martin und ich analysierten den Anblick. Numero 80 tauchte als dominantester Nebel auf, blieb jedoch ein detailloser runder Ball. 4‘ nordöstlich fiel eine markante, spitzdreieckige Sterngruppe auf, an der sich mit NGC 83 eine weitere Galaxie befand. Von dort, noch einmal 5‘ in den Osten abgehend, befand sich die begehrte Arp 65. Die westlich stehende NGC 90 kam schwächer daher, und von den stark geschwungenen Spiralarmen war natürlich nichts zu erkennen. Bei besseren Bedingungen müsste ich es nochmal versuchen. NGC 93, die Arp-Partnerin, hingegen war heller, aber ebenso strukturlos und leicht oval. Ein weiteres Gruppenmitglied, NGC 79, erhaschte ich zum Schluss auch noch. Etwas weit ab vom Schuss, ca. 9‘ nordwestlich von NGC 83 entfernt; ein sehr schwacher Hauch.

Ich übte mich nachfolgend wieder im Müßiggang und quatschte mit Uwe. Er bemerkte, dass überall „irgendwas rumhängt“, doch wir mussten feststellen, dass das Seeing erste Sahne war. Aldebaran, der noch recht tief am Osthorizont rumhing, zeigte sich ohne viel Funkelei. Super! Toll! Wirklich phänomenal!! Aber was hat man davon, wenn die blöde Gerätschaft schwingt wie eine angezupfte Gitarrensaite? Martin und ich jammerten, doch der Wind wollte einfach nicht nachlassen. Irgendwas ist halt immer.


Was solls! Ich war munter und froh und hatte noch ein paar schöne Sachen im Gepäck, die trotzdem funktionieren könnten. Zum Beispiel ein Offener Haufen mit der Bezeichnung „Ren 18“. Ich wünschte, ich würde wissen, wofür „Ren“ steht. Keine Ahnung. Falls das jemand liest, der Ahnung hat, darf sich gern melden und mir die Erleuchtung bringen. [Mittlerweile weiß ich es: Renou!] Ren 18 war jedenfalls gut zu finden und kein unattraktives Objekt. Recht groß, viele unterschiedlich helle Sterne, aber doch recht unscheinbar. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich die Form als „Dreieck“ oder „Raute“ definieren wollte. Das hellste Haufenmitglied stand jedenfalls an der Westspitze. Bei 129x zeigte sich der Haufen wunderbar aufgelöst. Augenscheinlich war nun eine stark gekrümmte, U-förmige Kette, die von 2 (bzw. 3) helleren Sternen zum Dreieck (bzw. Raute) ergänzt wurde. Ich schätzte die Gesamtzahl auf etwa 25 Mitglieder.

Meine Nase lief mir gerade davon („Ich dreh - noch - durch!“) und der Himmel wurde etwas schlechter, was auch das SQM bestätigte: 21,17. Das ist ja fürchterbar. Wieder Versammlung an der Essensausgabe. Der Kofferraum sah aus wie ein Schlachtfeld; überall Tassen, Thermoskannen, Verpackungen, Keks- und Waffelkrümel und neuerdings auch eine RitterSport-Box. Martin labte sich an einer Stulle und Uwe sprach von seiner Encke-Aufnahme.


Nach kurzer Erholungspause wandte ich mich wieder den ernsten Dingen des Lebens zu und stellte Collinder 21 ein, der im is-Atlas mit dem Spitznamen „Putter Cluster“ versehen ist. Eine nette Überraschung, die mich da im Okular anstrahlte: Ein heller, auffälliger Ring aus Sternen, der wie das „Pacman“-Monster geformt war. Sogar ein Auge, simuliert durch das hellste Haufenmitglied, besaß es. Ich schätzte die Anzahl auf etwa 15 Mitglieder, die bei 129x am schönsten aufgelöst waren:

Die Vergrößerung, mit Ach und Krach, geht noch bis 130-fach.

Um 23:45 Uhr erschien am Osthorizont ein gedimmtes Lichtlein. „Jupiter geht auf.“ – „Hallooo, Jupi!“ – „Jupi-Ya-Yeah, Schweinebacke.“ Durch einen heftigen Windstoß kam mir mein Beobachtungsbuch entgegengeflogen und ich rannte ein wenig, um wieder warm zu werden.


Warum in meiner so sorgfältig ausgearbeiteten DSH-Liste die Juchert-Sternhaufen nicht drin sind, versteh ich zwar selber nicht, aber dafür sind im Interstellarum-Atlas einige verzeichnet. Juchert 20 im Perseus, zum Bleistift. Die Zielregion stand gerade so knapp überm Autodach… Recht unscheinbar und bestehend aus wenigen, schwachen Sternen (ca. 10 Stück), aber ein Haufencharakter war bei 200x ganz gut zu erkennen. Auffällig war ein Doppelstern am Südrand.

Ich nahm es heute nicht allzu ernst mit der Beobachtung und lungerte beim Schanktisch herum. Der Wind ließ mich frösteln, obwohl es noch angenehme 6°C waren. Nach wie vor stürmische Luftbewegungen, die nun mehr aus Südrichtung kamen. Uwe nahm dies zum Anlass, seine Ausrüstung erneut umzuparken und stand nun dicht am Kofferraum, im Lee des Berlingos. Mir ging ein Lied von Bob Seger durch den Kopf. Die Bedingungen hatten sich wieder verbessert (SQM: 21,24) und die Wintermilchstraße zeigte sich als helles Band, das durch den Zenit lief und sich im Orion verlor.


Der Dobson zielte nach wie vor in den Perseus und ich hielt auf den Offenen Haufen Berkeley 11. Bei 129x fielen etliche schwache Sterne auf, die eine eckige, rechtwinklige Kurve beschrieben. Kann man auch als „Bumerang“ bezeichnen. Aber ob die westliche Kette der Kurve, mit dem hellen Stern am Ende, überhaupt zum Haufen gehört, weiß ich nicht. Obwohl einzelne helle Mitglieder heraussprangen, war der übrige Rest nicht aufzulösen oder blieb verschleiert.

Das nächste Ziel nannte sich Berkeley 67. Zitat: „Was für ein Haufen!“ Ich sah eine diffuse, grieslige Wolke in runder Gestalt, grenzwertig, und nur aus schwachen Sternen bestehend. Der Haufen fiel dem teleskopischen Schüttelfrost natürlich ganz gravierend zum Opfer. Mir fiel ein passender Reim ein: „Ein feines Detail schält sich grad heraus, dann tobt der Wind – und es ist aus. Da hat die Nuance gar keine Chance.“ Bei 200x kam Berk 67 zwar gut zum Vorschein und unter Normbedingungen wäre es ein Leichtes, die vielen winzigen Pünktchen auseinanderzuklamüsern, aber… es war alles ein Brei. Der Haufen war dreieckig geformt und schien aus vielen Einzelsternen zu bestehen.

Es war 01:45 Uhr. Nein, produktiv war ich heute wirklich nicht und hatte nun einen akuten Anfall von Müdigkeit. Ich saß auf der Kante zum Kofferraum und gähnte. Martin kam, erklärte, dass er was zum Verbrennen brauchte und nahm sich einen RitterSport-Würfel. Uwe wollte wissen, ob ich auch was zum Verbrennen brauchte. „Nein danke, ich bin schon verbrannt.“ Auf meinem Nonstop-Wach-Konto standen schon 20 Stunden. Müüüüde. Voll der Durchhänger. Nachdem ich die Kaffeekanne geleert hatte, nahm ich nochmal Anlauf.


Teutsch 19! In der Übersichtsvergrößerung fiel er schon ins Auge, bestand aber aus überwiegend gleichschwachen Sternen ohne „Highlight“. Sie formten grob ein spitzes Dreieck, das mich an einen Gleitdrachen erinnerte, und mehrere Grüppchen machten den Haufen doch noch ganz ansehnlich. Es waren gut 25 Mitglieder, recht lose, ohne merkliche Konzentration zum Zentrum.

Dummerweise kann ich auch diesmal nicht meine Zeichnung mit dem DSS-Bild in Einklang bringen. War meine Fehlerquote denn so hoch? Meine Güte!


Zugegeben: Bei mir war der Ofen aus. Der Wind dröhnte und zehrte an den Kräften, und mir fiel das Konzentrieren unheimlich schwer. Mir reichts. Ich verschanzte mich im Auto und ruhte auf dem Beifahrersitz, wo ich gleich in eine Traumwelt abglitt. Ich weiß nicht mehr, worum es ging, aber irgendwann arbeiteten sich komische, „schiebende“ Geräusche in den Traum ein, die mir vertraut waren. Aufgewacht und auf die Uhr geguckt: 03:00 Uhr. Ich drehte mich um und sah, dass Uwe abbaute und gerade die Gewichte seiner Gegengewichtsstange löste und hinabrutschen ließ. Ich stieg aus, war noch völlig im Dusel und räumte meine Sachen ebenfalls zusammen. Ja, der Himmel war sehr gut und die Wintermilchstraße kam nun so prächtig heraus, dass es eigentlich wirklich ein Frevel war, ausgerechnet jetzt abzuhauen. Wenn nur wenigstens der bescheuerte Wind nachgelassen hätte. Aber nein. Das hat er nicht.

Und sooooo war bald alles in Sack und Tüten. Alles abgeleuchtet, nix vergessen? – Nein! Also, ab nach Hause. Super-Martin harrte noch länger aus und konnte die guten Bedingungen hoffentlich noch voll ausschöpfen.

Aber auch wenn das nicht die „Über-Nacht“ war, die man sich natürlich immer erhofft, bleibt sie gerade wegen der widrigen Umstände, der guten Gesellschaft und vieler lustiger Momente noch lange im Gedächnis.

 

 

Ein Beobachtungsbericht von AKE

Magdeburg, 04.10.2013

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