14./15.08.2012 - Kekse, Ethos und Riesenteleskope - Eine Alpennacht mit


Suchtgefahr



Für die erste Beobachtungsnacht in den Ötztaler Alpen waren die Wetteraussichten zunächst nicht eindeutig. Tagsüber viel Sonne, aber auch einige Wolken, was bis in die frühen Abendstunden auch so blieb. Nachdem unsere erste Gletschertour wegen dichten Wolken und sogar Regen ins Wasser fiel, hofften wir, dass wir nun mehr Glück hatten. Nicht zuletzt, weil sich mit Uwe Glahn auch prominenter Besuch angekündigt hatte.



Gegen 20:00 Uhr brausten drei Autos von Zwieselstein los und ackerten sich die Gletscherstraße hoch. Am Rettenbach türmten sich ein paar dicke Wolken auf und wir befürchteten, dass wir uns verspekuliert hätten. Im ersten Gang kroch der Ford die steilen Wege hinauf, bis wir das „neue“ Plateau erreichten. Ein weißer Pick-Up fuhr vom Trafohäuschen hinunter, an uns vorbei und eine dunkle Gestalt wandelte auf uns zu: Uwe Glahn, der ein Stück weiter oben bereits aufgebaut hatte. Der berühmte 27-Zöller stand schon parat, als es anfing zu tröpfeln. Regen auf dem Tiefenbach – eine Premiere für mich! Wir beschlossen, uns ebenfalls dort oben zu platzieren. Thomas brachte uns zum Lachen: „Warum das denn? Hier regnets doch!“ Ich holte den Regenschirm aus dem Auto… Zu sechst standen wir ein bisschen blöd da. Aus dem Westen kletterten Wolkenpakte über den Berghang, zogen hinunter und die Luftfeuchtigkeit war hoch. Na, warten wir es ab…


Ein paar Lücken taten sich auf, schlossen sich aber rasch wieder. Mit Astro-Schokolade und Keksen verfolgten wir dieses Hin und Her, quatschten, stellten zögernd irgendwelche Geräte auf. Der Heising’sche Vierzehnzöller war aufgebaut (mit Hilfe vom Meister persönlich) und wartete auf seinen alpinen Ersteinsatz unter meiner Regie. Uwe W. war damit beschäftigt, die teilweise gruslige Szene, wie ein Scheinwerfer hinterm Hang den Nebel illuminiert, zu fotografieren. Es dauerte jedoch nicht einmal bis 23:00 Uhr, als plötzlich der überwiegende Teil des Himmels völlig frei war, sodass die Jagd beginnen konnte. Es war windstill und mit 9°C recht angenehm. Ich wurde noch einmal mit Frust-Schokolade versorgt (Suchtgefahr) und peilte in den Schützen, der schon unterzugehen drohte.

NGC 6624, ein Kugelsternhaufen. Ich hatte ihn schon einmal beobachtet, aber die Markierung aus dem Atlas noch nicht entfernt, weshalb ich ihn nochmal ansteuerte. Selten dämlich. In der Übersicht eine unübersehbare, runde Kugel mit hellem Zentralbereich, allerdings nicht aufzulösen. Die Vergrößerung auf 61-fach war kaum besser; die Ränder erschienen grieslig.


Dann war nichts mehr zu sehen, denn Wolken schoben sich davor. Wie ärgerlich! Martin und Thomas hatten die Hoffnung verloren, dass sich das Wetter wieder besserte, weswegen sie den Gletscher verließen. Irgendein Opfer muss ja gebracht werden… Ich musste also eine unfreiwillige Pause einlegen, bis sich der Schütze wieder zeigte.


Schwenk auf NGC 6629. Ich musste schon genau hinsehen, um den kleinen Planetarischen Nebel in dem dichten Sternenfeld zu identifizieren. Im 26er nur schwer als Scheibchen auszumachen; er zeigte sich nahezu stellar, aber ich war mir sicher und befand die Sichtung für eindeutig. Als ich das 15er einsetzte, kam die nächste Unterbrechung in Form einer Wolke. Wir schimpften.


Dort, wo sich Lücken auftaten, sah man öfters Perseiden vorbeijagen. Das Maximum war noch nicht lang her und ein paar dicke, helle Nachzügler sausten vorbei. Mein Papier war schon klamm und wellte sich so lustig. Uwe W. schien mit dem Aufbau seines Deltagraphen zu kämpfen und Uwe G. rannte ständig zwischen Teleskop und Auto hin und her. Zudem lieh er mir drei seiner Okulare aus, u.a. ein 17er-Ethos, und warnte vor der Suchtgefahr. Ich blätterte im Atlas und suchte auf der H-400-Liste nach Objekten und glich diese Recherche mit der aktuellen Himmelssituation ab. Der Große Wagen war frei, also ging es mal wieder auf Galaxienjagd. Wie es halt immer so kommt.


In einer sternarmen Gegend rührte ich mit diesem unsäglichen Sucher (Rater) herum, bis ich endlich auf die gesuchte NGC 5631 stieß. Im 32er präsentierte sich eine eher flaue, aber eindeutige Galaxie. Als ich das Okular wechseln wollte, tat sich unerwartet das nächste Problem auf: Ich bekam es nicht mehr heraus! Oh nein. Ich zog, wackelte, drehte an der Feststellschraube, aber es saß bombenfest. Was soll das?! Panisch bat ich Uwe W. um Hilfe, der die Verkantung doch lösen konnte. Nun konnte ich erstmals durch eins dieser berühmten Ethos-Okulare sehen… Ja wow, ein Riesen-Gesichtsfeld! Ich war begeistert und erstaunt, dass der Unterschied zu meinen „Billig-Teilen“ doch so frappierend ist. Da werden wohl noch einige Investitionen fällig… NGC 5631 besaß ein helles Zentrum mit einem Nukleus und war oval-rundlich geformt, wobei dies nicht eindeutig auszumachen war. Der umgebende Halo nur schwach. Anschließend folgte der Wechsel auf das geliehene 10er-Pentax. Ich sah ein längliches, N-S-ausgerichtetes Zentrum, das in einen rundlichen Halo eingebettet lag und einen zarten stellaren Kern beinhaltete. Details waren nicht erkennbar, zumal dünne Schleierwolken in der Zielregion unterwegs waren.


Mein nächstes Ziel lautete NGC 5585, ebenfalls in Ursa Major und direkt nebenan. Bei 94x sah ich einen Wattebausch, der größer, aber auch verwaschener als die Nachbargalaxie daherkam. Die Grenzen waren sehr diffus und zart auslaufend. Das Zentrum war nur geringfügig heller als der Rest der ovalen Galaxie mit einem Achsenverhältnis von 1:1,5. Es zeigte sich ein Vordergrundstern am Nordwestrand. Nach längerer Betrachtung blitzte kurz die Zentralregion hervor.

Gegen 01:00 Uhr machte ich ein kleines Kaffeekränzchen und gab mir die volle Dröhnung. In meiner Jackentasche hatte ich Uwe Glahns Schokolade gebunkert und brach mir immer wieder Stücken ab, während der Himmel sich inzwischen von seiner famosen Seite zeigte. Zur Grenzgrößenbestimmung war ich zu faul. Von dem exponierten Platz ergab sich ein neuer Blick auf einen hohen, steilen Sandberg im Osten, hinter dem die Ekliptik langführte. Die Plejaden stiegen direkt dahinter auf – ein super Anblick! Ich war nun putzmunter und stürzte mich in das nächste Abenteuer.


Mein nächstes H-400-Ziel befand sich bei M101, die ich zum Aufsuchen missbrauchte. Ich blieb allerdings ein Weilchen dort kleben, denn der Anblick von dieser Riesin im 17er Ethos zog mir die Schuhe aus. Der absolute Hammer. Ein abgedroschener Spruch: „Sieht aus wie auf Fotos.“ Ich ersparte mir Beschreibungen, denn das hätte mich überfordert; es waren zu viele Details.


Mit diesen Standard-Sachen gebe ich mich ja allerdings auch nicht so gern ab und mein Ziel war eigentlich ein anderes: NGC 5474. Im Riesenfeld des Ethos wirkte sie wie ein ferner Sprenkel von M101 und überraschte mich ob ihrer Größe und Helligkeit. Die Übergänge jedoch waren recht diffus. Die Galaxie war rund mit einer ovalen Anhauchung. Der Zentralbereich war nicht besonders markant, und der zarte Kern stand nicht genau in der Mitte. Zitat: „Wattebäuschlein.“ Dann der Wechsel auf das 10er Pentax. Es zeigte sich ein Punkt in der Osthälfte der Galaxie. Vordergrundstern oder dezentraler Kern? Der hellste Teil von NGC 5474 war leicht dreieckig geformt, von wo aus der diffuse Halo in den Westen übergeht.


Ebenfalls bei M101, genau gegenüber, findet man NGC 5473. Im 17er war sie auffällig in einer kleinen Sternkette liegend, aber vergleichsweise klein. Rund und gut vom Hintergrund abgegrenzt. Das markante Zentrum beinhaltete einen hellen punktförmigen Kern und war umgeben von einem großen runden Halo. Bei 160-fach erkannte ich eine Aufhellung (Lichtknoten? – nein, ein Stern) in der Osthälfte. Bei direktem Sehen verschmolz der ansonsten helle Kern mit dem Zentrum. Uwe Glahn drehte eine kurze Runde, brachte das letzte Stück Schokolade vorbei und warf einen Blick durch den 14-Zöller.


Bei NGC 5322 tat ich mich mal wieder etwas schwerer, denn mit diesem saudämlichen Sucher werde ich einfach nicht warm. Der Anblick durch mein 32er war im Vergleich zum brillanten Ethos enttäuschend und fade. „Suchtgefahr“… Die Galaxie präsentierte sich überraschend einfach und hell und länglich-linsenförmig. Wechsel aufs 17er: Knaller! Die Ausrichtung war etwa Ost-West. Am Nordrand befand sich eine Aufhellung oder ein Vordergrundstern. Das helle Zentrum überstrahlte fast die eher schwachen Ausläufer, die nur bei indirektem Sehen erkennbar waren. Dabei erschienen die Enden sehr spitz. Im 10er zeigte sich auch vorm Ostende ein Vordergrundsternchen, das sich tropfenförmig mit der Galaxienspitze verband. Die Gesamtform glich einem offenen Auge mit einem linsenförmigen Zentrum.


Das Spontanprogramm in Ursa Major war abgearbeitet und nun gönnte ich mir ein Standardobjekt. Der Cirrusnebel mit OIII bot sich idealerweise an. Wenn man schon mal ein Ethos bei der Hand hat… Wow!! Ich war begeistert. Der Sturmvogel wie ein langer scharfer Dolch; die Hexenhand zerrissen und zerfasert. Ebenso schön präsentierte sich M 57. Ein knallig blaugrünes Leuchtfeuer; fast schon blendend. Unglaublich.


Die Uhr sprach 02:25. Super Bedingungen inzwischen! Der schöne klare Alpenhimmel… Im Osten war Jupiter aufgegangen und zierte die Hyaden, und weiterhin sausten Perseiden übers Firmament. Es war nicht besonders kalt. Von fern tönte der Gletscherbach, dessen Rauschen man eigentlich meist überhörte. Uwe W. nahm den aktuellen Kometen im Cepheus auf und Uwe G. holte sich sein 7er Pentax zurück. Außerdem machten Nussstangen und warme Kaffeetassen die Runde. Suchtgefahr…


Es folgte der berühmte Kniefall vorm Teleskop, als ich tief in die Südgegend schwenkte. Zielregion Cetus. NGC 584 war im 17er zusammen mit NGC 596 im Gesichtsfeld zu sehen. Rund, nur leicht oval, mit einem flächigen Zentrum und ohne Details. Auch der Wechsel aufs 10er änderte daran nichts. Die Nachbarin, NGC 596, zeigte sich so ähnlich. Ebenso rund und unspektakulär. Das Zentrum war eher flau und enthielt einen stellaren Kern. Für sich allein betrachtet nicht lohnenswert.


NGC 615 war die letzte Galaxie dieser kleinen Dreiergruppe und erschien bei 94-fach länglich-oval und diffus auslaufend mit einem Achsenverhältnis von etwa 1:2. Das Interieur war nahezu einheitlicher Helligkeit, weshalb der stellare Kern problemlos heraussprang. Die Galaxie wirkte abgerundet und weich. Der Anblick im 10er war eher schlechter. Der Kern wirkte wie eine Insel in dem N-S-ausgerichteten Nebel.


Ohne es beabsichtigt zu haben, beendete ich damit mein Programm, weil Uwe W. mit einem Kaffeebecher und Nussstangen ankam und wir zusammen zum Riesen-Dobson gingen. Ich war zwar neugierig auf den Blick durch ein solches Gerät, hatte mich aber bis dahin nicht getraut zu fragen und hielt mich zurück. Aber Uwe zeigte gerne ein paar der Glanzlichter. Vor allem der Cirrusnebel war eine Wucht und nicht zu beschreiben. Suchtgefahr! Ebenso M27, den ich eigentlich nicht leiden mag, und M37 im Fuhrmann. Nicht zu vergessen die visuelle Sichtung des schwachen Kometen C/2010 S1 (LINEAR) im Cepheus, der allerdings nicht viel hergab. Es zogen ein paar Wolken auf, und der Versuch, einen reichen Haufen im Schwan anzuvisieren, misslang, weil die Zielregion dicht war und nicht mehr freigegeben wurde. Blöd. Im Osten war die Venus mittlerweile aufgegangen und strahlte in hellem Glanze. Damit stahl sie Jupiter die Schau, der bis dahin den Himmel dominierte. Komplettiert wurde diese schöne Morgenkonstellation durch einen herrlichen Mondaufgang: Mit der aschgrau beleuchteten Seite voran erschien er am Hang und zog die beiden hellen, spitzen Sichelhörner hinterher, bis die ganze Kugel über der dunklen Bergkulisse schwebte. Da der Mond nun aufgegangen war, durfte man offiziell Planeten beobachten, wie mir gelehrt wurde. Jupiter war riesig im 27-Zöller; zum Greifen nah und wie im Fernsehbildschirm. Feine Wolkenverwirbelungen und viele farbig abgestufte Bänder, wie man sie von diesen tollen Planetenaufnahmen kennt. Dazu zwei Monde im Gesichtsfeld.


Gegen 05:00 Uhr starteten wir den Abbau zu den Klängen von Pink Floyds „Brain Damage“ (offizielles Abbau-Lied), da sowohl Dämmerung, als auch Bewölkung schon zu stark waren. Schade, denn der Merkur war ja auch noch am Morgenhimmel unterwegs. Mit 7°C war die Temperatur nicht besonders niedrig und für Gletscherverhältnisse erlebten wir eine angenehm milde Nacht.

 


Beobachtungsbericht von AKE

Zwieselstein, 17.08.2012

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