19./20.02.2015 - Nix für schwache Nerven

Nach der vergangenen Nacht war ich komplett im Eimer. Es gingen am Nachmittag nur vier Stunden Schlaf her, die für die nächste Session auf dem Rossfeld reichen mussten. Oh je, oh je. Mein Astro-Auge tat weh, das Gesicht war durch die Kälte knallrot, die Nase rau (und ebenfalls rot), und ich sah absolut sch... aus. Was solls, nachts erkennt mich eh niemand. Der erste Blick aus dem Fenster machte zunächst wenig Hoffnung, da der Himmel von Zirren und großflächigen Kondensstreifen übersät war. Laut Wettervorhersage sollte sich das Zeug aber auflösen und wir blieben frohen Mutes. Vor dem Rauffahren hatte der liebe Gott aber noch das Tanken gesetzt, und an der Tankstelle organisierte ich vier Becher mit billigem Automaten-Kaffee, der in die Thermoskanne gefüllt wurde. Ohne Kaffee geht’s eben nicht.

18:00 Uhr waren wir wieder oben. Eine gewisse Routine hatte sich eingestellt. Unbeeindruckt von dem Zirrus-Geschmiere bauten wir unsere Teleskope auf und zogen die warmen Sachen an, die bei 0°C rasch vonnöten waren. Salzburg war diesmal völlig frei von Dunst und Nebel und die Sicht ging ungetrübt und klar auf die Lichter der Stadt. Wieder komplett windstill – ein Umstand, den Norman stets besonders betont, denn seine Erfahrungen bei Bergstandorten waren meistens etwas anders. Er freute sich außerdem darüber, dass seine Justage mit den improvisierten Verbesserungen in Form von Unterlegscheiben bei der FS-Halterung gut funktionierte. Ich selber hatte es nicht eilig und ging den Abend ganz relaxed an; aß die leckeren Bio-Brötchen vom Penny-Bäcker auf und trank den Tankstellen-Kaffee. Heiliges Kanonenrohr! Der schmeckte so unsagbar schlecht, dass mir die Worte fehlten, er tat aber trotzdem seinen Dienst; war warm und einige Koffein-Atome fanden ihren Weg in meine Blutbahnen. Die Dösigkeit wich der Vorfreude und dem Tatendrang. Auf der Straße war es erstaunlich ruhig; noch konnten wir die Einsamkeit genießen... Noch.

19:30 Uhr: Go! Erstes Objekt zum Einstieg sollte NGC 2301 sein, ein wunderschöner Offener Haufen im Einhorn und einer meiner absoluten Lieblinge. Die so markante lange Kette mit dem orangenen Stern in der Mitte, mitsamt aller anderen Mitglieder ringsumher – toll, toll. Norman fand ebenfalls positive Worte darüber. Ich wollte eigentlich zeichnen, entschied mich aber für das einfache Genießen – das kann man auch ein anderes Mal machen.


Noch waren die dünnen Zirrusschichten unterwegs und das Seeing blieb eher schlecht. Norman machte mich auf den drohenden Venusuntergang aufmerksam, die knapp über der fernen Bergkante schwebte. Als sie eintauchte, ging ihr Licht nicht jäh aus („Lichtschalter“), sondern verblasste kontinuierlich („Dimmer“).


In der Wasserschlange hatte ich noch eine Rechnung mit Hickson 30 offen, die ich, aus lauter Dusseligkeit, im letzten Jahr übersehen hatte. Diesmal lief es besser. Von dem Quartett ließen sich drei Galaxien erkennen (allesamt kleine PGC-Krümelchen), von welchen die Hellste einen länglichen Balken zeigte.

Dann nahm die Tragödie ihren Lauf. Ein Wohnwagenfahrer kam des Weges, doch anstatt an uns vorbeizurauschen, parkte er rückwärts neben uns ein. Das kann doch jetzt nicht wahr sein??! Ein Mann stieg aus, begrüßte uns mit einem „Servus!“ und erkundigte sich, was wir da aufgebaut hatten. Er erklärte, dass er „hier immer stehe“, und versprach, dass kein Licht aus seinem Gefährt dringen würde. Meine Begeisterung hielt sich trotzdem in Grenzen. Ich wollte meine Ruhe haben, doch die blieb mir verwehrt: Innerhalb der nächsten 20 Minuten parkten zwei weitere Autos an den Stellplätzen der Straße und kleckerten achtlos mit ihrem Licht herum. Einer verschwand schnell wieder, doch zwei Fotografen blieben eine ganze Weile. Man sah stets das Licht ihres Kameradisplays umherwandern. Meine Laune ging in den Keller. Ich hasse Menschen. Als auch noch stinkender Zigarettenrauch und die Aftershave-Wolke des spazierenden Wohnwagenfahrers herüberwehte, musste ich mir auf die Zunge beißen. Außerdem fuhren immer wieder andere Autos an uns vorbei, sodass ich bei der Beobachtung ständig aus dem Rhythmus gerissen wurde. Ey, da kriegst'n Vogel! Die ganze Situation ging mir mächtig auf die Ketten und hoffte, dass nach Schließung der Skianlage wieder Ruhe einkehren würde. Zitat aus dem Buch: „Ich dreh bald durch!“ Außerdem war der Tankstellen-Kaffee alle, aber um den war's echt nicht schade.

So musste ich Hickson 31 zweimal einstellen, da ein regelrechter Autokorso mich zum Verstecken in den Kofferraum trieb. Haut doch einfach alle ab! Drei Nebelflecke tauchten auf, wobei der südliche, runde, kompakte Ball (IC 399) nicht zur Gruppe gehörte. Bleiben also nur noch zwei. Der östliche Nebel wirkte irgendwie bauchig, was den Grund hat, dass hier zwei der Galaxien einander eng berühren, aber nicht getrennt zu sehen waren.

Im Hasen stand die Sichtung von NGC 1888/9 (Arp 123) aus. Auf den ersten Blick eine linsenförmige, helle, klar abgegrenzte Galaxie in NW-SO-Ausrichtung. Bei höherer Vergrößerung löste sich, etwa an der Mitte des nördlichen Randes, der kleine, rundliche Nachbar ab. Weitere Einzelheiten gab diese Arp nicht preis, war aber trotzdem echt nett.

Ich brauchte dringend Wärme. Bei der lästigen Gesellschaft hatte ich mich bisher nicht getraut, meine Sprints zu durchzuführen, aber jetzt war mir alles egal. Ich rannte wie der Teufel. Und wie ich rannte! Wieder im Lager eingeflogen, waren die Hände und Füße wieder zu gebrauchen. Um 21:00 Uhr hatten sich die Zirren verabschiedet und hinterließen einen blankgeputzten, guten Himmel. Norman kniete auf seiner Iso-Matte und blickte in den Atlas, was so aussah, als würde er gen Mekka beten. Der Wohnwagen-Typ hatte sich in sein Gefährt zurückgezogen und blieb tatsächlich ruhig.


Ein Offener Haufen im Hasen war NGC 2017, der sich zwar sternarm (8 Mitglieder), dafür aber sehr auffällig präsentierte. Die Sterne waren recht hell und der nördlichste von ihnen zeigte eine tieforangene Färbung. Sehr hübsch!

Im Großen Hund stellte ich Tombaugh 1 ein. Dieser reiche Haufen zeigte bei 130x sehr viele Mitglieder, die überwiegend schwacher Natur waren und sich über die Fläche gleichmäßig verteilten. Dadurch wirkte er, obwohl er aufgelöst war, wie von einem Nebelschleier überzogen. Geformt wie ein Dreieck mit Spitze nach Norden, in dessen Mitte das hellste Mitglied stand. Netter Haufen, wie feiner Staub. Zwei sehr helle Feldsterne im Süden dominierten das Gesichtsfeld.


Ich versuchte mich am berühmten Red Rectangle, doch das Seeing war leider zu schlecht und das Objekt nicht vom Hof des betreffenden Sternes zu separieren. Die Temperatur war mittlerweile (21:45 Uhr) auf -3°C gesunken, durch die Windstille und Trockenheit war es aber wieder einigermaßen angenehm. Außerdem schickten sich die Foto-Typen an, wegzufahren – na endlich.


Nicht sehr imposant war vdB 80 im Einhorn. Diese kleine Gruppe stand zwar isoliert im Umfeld und stach aufgrund der hellen Mitglieder sofort heraus, doch die insgesamt fünf Sterne, die eine langgezogene Raute formten, machten ansonsten nichts her. Trotzdem irgendwie witzig.

Nachfolgend verplemperte ich etliche Zeit mit der Suche nach zwei Objekten, die ich aber nicht zu sehen vermochte. Im Westen stieg wieder irgendein Geschmiere empor. Wie ich erwartet (gehofft) hatte, war Ruhe eingekehrt und im Laufe der Nacht sollte uns kein ungebetenes Auto mehr stören.


In der Wasserschlange wartete der PN NGC 2610 auf meinen Besuch. Der Bursche präsentierte sich als runde Scheibe und saß direkt an einem Feldsternchen an. Zeigte kaum Reaktion auf [OIII]-Filtereinsatz. Mir erschien der Rand, an dem sich das Sternchen befand, geringfügig heller als der Rest des PN, doch wahrscheinlich war dies eine optische Irritation, die durch diesen „Störkörper“ hervorgerufen wurde. Ansonsten keine weiteren Details; diese ließ das Seeing allerdings auch nicht zu.

Es war 22:45 Uhr und der Himmel hatte sich massiv verschlechtert: Die aufkommenden Zirrus-Felder hatten sich großflächig verteilt und ließen nur wenige größere Lücken offen. Meine geplanten Objekte in Hya mussten vorerst auf der To-Do-Liste versauern. Ich nutzte diese Zwangspause, um innezuhalten, ein wenig umherzugehen und stand am Geländer gelehnt, mit Blick auf die kleinen Orte im Osten. Norman war in der vergangenen Zeit auffallend ruhig, fragte mich nach meiner Rückkehr aber nach meinem Nebelfilter. Hört hört! Der Filterhasser bittet um [OIII]-Unterstützung! Man fasst es nicht. Es herrschte wieder eine erschreckende Stille. Naja, nicht ganz: Aus dem Wohnwagen drang ein leises Schnarchen.


Die Galaxien und Nebel waren also vorerst nicht machbar, doch da oben stand ja noch etwas, dem die Zirren nichts ausmachten: Der Jupiter. Warum nicht mal Planetengucken? Warum nicht mal Planetenzeichnen? Was Besseres konnte ich eh nicht unternehmen. Und, ich muss es zugeben: Das hat sogar total Spaß gemacht. Auf die Momente guten Seeings zu warten und in dieser kurzen Zeit die Details zu erfassen, die der Planet darbot. Sah toll aus, wie der GRF am Rande als Blickfang fungierte. Mit meinem allerersten ernsthaften Planetenzeichnungsversuch war ich ganz zufrieden... Auch wenn die Abplattung nicht stimmte. Perfekt isses nich. Egal. Man soll sich ja immer noch ein bisschen Luft nach oben lassen, nech?

Ich war derart gebannt von Jupiter, dass ich in der Zeit vergessen hatte, mal hochzuschauen und die Lage zu checken. Um 23:45 Uhr waren die Wolken wieder zum Großteil abgezogen. Prima! Aber anstatt mein Programm wieder aufzunehmen, blieb ich im Löwenkopf und schwenkte auf NGC 2903. Eigentlich mein erklärtes Hass-Objekt, aber nach dieser Nacht muss ich diese Meinung revidieren (den Titel hat stattdessen nun M 27 inne). „Sch... die Wand an!!“ Starkes Objekt. Und wesentlich dankbarer und pflegeleichter als M 109 in der Nacht zuvor. Der lange Balken, in dessen Mitte das helle, rundliche Zentrum stand, zog sich quer durch die ovale, diffus auslaufende Galaxie. Nördlich des Zentrums war ein Spiralarm sichtbar, der sich wie ein breiter Halbmond hell absetzte, aber keine Verbindung zur Mitte besaß. Im Südteil lösten sich zwei dünnere Arme heraus. Der eine stellte die Fortsetzung des Balkens dar; der andere, schwächere war wie ein krummer, isolierter Sprenkel. Der „Balken-Arm“ setzte sich sehr schwach, aber deutlich entlang der Ostkante fort und mündete im bereits beschriebenen nördlichen Arm. Ich war völlig von den Socken. Eins der Highlights auf dem Rossfeld... Wenn nicht sogar DAS Highlight. Eine Reihenfolge der Beobachtungsobjekte aufzustellen, fällt mir verdammt schwer.

Norman beklagte eine gewisse Kühle, weswegen ich ihn daraufhin herumrennen hörte. Die Wolken waren gegen halb 1 komplett abgezogen – ein klarer, schöner, dunkler Frühlingshimmel spannte sich über unseren Köpfen hinweg. Ich blätterte im Atlas umher, suchte nach Klebepfeilen, die mich auf potentielle Ziele hinweisen...


… und fand eines in der Giraffe, das schon sooo lange auf der Liste stand: Die „Integrale“ UGC 3697. Es war zwar nicht sehr intelligent, sich gen Norden zu orientieren, wo die Lichtglocke Salzburgs lauert, aber die Galaxie, mitsamt der benachbarten kugelrunden UGC 3714, waren dennoch problemlos erkennbar. Der dünne, O-W-liegende Streak war auf dem ersten Blick nur eine schnurgerade Linie, wies nach längerem Schauen eine leichte Krümmung des Ostendes auf. Am anderen Ende hob sich, abgesetzt vom Rest der Galaxie, ein abgeknickter, schwacher Sprenkel ab.

Eine wunderbare Hickson-Gruppe ist HCG 68 in den Jagdhunden. Viele Details ließen sich den Mitgliedern nicht entlocken, doch die flächige NGC 5350 wirkte mit Ansätzen von Balken+Spiralarmen dezent strukturiert. Seltsamerweise ist mir das fünfte Mitglied (NGC 5358) durch die Lappen gegangen.

Meine Finger waren hinterher wieder empfindlich kalt. Also nahm ich die Beine in die Hand und rannte zehn Minuten lang, um den Wärmetransport anzuregen. Funktionierte super! Salzburg unten im Tal wirkte durch seine unzähligen Lichter wie glitzernder Goldstaub, was ja an sich ganz hübsch aussah, aber die große helle Lichtglocke darüber war unverzeihlich. Und das Seeing war übel. Aber dafür konnte Salzburg ja nichts.


Im Bärenhüter befindet sich eine Gruppe aus drei Galaxien, die sich attraktiv nördlich eines hellen Sternes auf einer geraden Kette aufreihte. NGC 5804 war die östlichste und zugleich spannendste der Drei, denn sie zeigte einen ausgeprägten, hellen Balken. NGC 5797 in der Mitte war uninteressant, und NGC 5794 ließ sich erstaunlich schwer fassen.

Um 02:00 Uhr saß ich im Kofferraum und blätterte im Atlas. In der Virgo erspähte ich „Wild's Triplett“ und wollte Norman fragen, ob er das nicht neulich beobachtet hatte. Doch dazu kam es nicht, denn mich überfiel unvermittelt die Müdigkeit. Als hätte man mir mit 'nem Hammer eins über'n Schädel gezogen, dämmerte ich weg und erging mich in hanebüchenen traumartigen Visionen über Heuschrecken und anderem, an das ich mich nicht mehr erinnern konnte. Und so vergingen zehn Minuten, die ich im Halbschlaf verbrachte, den Atlas noch auf dem Schoß und Lampe in der Hand. So einen schnellen Einbruch hab ich ja auch noch nie erlebt. Als ich wieder zu mir kam, fröstelte ich. Zusammen unternahmen der essende Norman und ich einen längeren Spaziergang und beschlossen, nicht mehr allzu lange hierzubleiben. Außerdem setzte sich eine hauchdünne Zirrusschicht im Süden ab, was der Wettervorhersage nach zu erwarten war. Unerwartet dagegen kam ein Wind auf, der allmählich stärker wurde.


02:40 Uhr waren wieder große Teile des Himmels dünn verschleiert. „Ich habe gesündigt! ... Ich habe mir M 13 angeguckt“, gestand Norman. Wir überlegten uns noch einen Rausschmeißer, um der Nacht einen würdigen Abschluss zu verleihen. Die Entscheidung fiel auf M 51. Ja, was soll ich sagen? Der abgedroschene Spruch trifft es immer noch am besten: „Wie auf einem guten Schwarz-Weiß-Foto.“ So eine schöne Whirlpool habe ich wohl noch nie gesehen. In der Tat, ein mehr als würdiger Schlusspunkt! „Die Spiralarme sind in Ansätzen zu erahnen“, sagte ich grinsend zu Norman.


Gegen 03:00 Uhr packten wir unser Zeug zusammen und machten uns startklar. Ich freute mich auf den wohlverdienten Schlaf und die Erholung von den drei anstrengenden Nächten. So produktiv und intensiv habe ich noch niemals beobachtet und gezeichnet. Wurde durch diese Akribie aber auch mit unglaublich tollen, nachhaltigen Eindrücken belohnt – M 109 und NGC 2903 sind da natürlich als erstes zu nennen. Andere Highlights standen dem aber auch in nichts nach. Allein schon „die Mäuse“! Hubbles Veränderlicher! NGC 3239! Frosty Leo! Sogar Jupiter! Ja! Ich gebe es zu: Jupiter war der Hammer!


Und so verließen wir nach einer weiteren Dreiviertelstunde des Einpackens das Rossfeld und ließen unseren schlafenden Wohnwagen-Kumpel allein zurück. Hoffentlich haben wir nicht zu viel Krach veranstaltet, sodass er eine angenehme Nachtruhe hatte. Uns hingegen stand sie nun endlich bevor.


Heieiei – was für Nächte! In vielen Punkten fühlten wir uns an die schöne kanarische Insel erinnert. Einfach ein Traum in Sachen Deepsky. Das Timing war ebenfalls perfekt. Genau die kommende Nacht sollten Zirren die Herrschaft über das Berchtesgadener Land und die bayerischen Alpen generell übernehmen. Von den drei Nächten dieser einen Woche werden wir noch lange zehren. Noch ein Dank in eigener Sache - Wie unschwer zu erkennen, hat Anne hier die ganze Arbeit mit dem Bericht gehabt – unfassbar unermüdlich an Stift und Okular und dann noch am Berichtetippen – Danke Anne!

Ein Beobachtungsbericht von AKE

München, 21.02.2015

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