24.12.2022 - Der Weihnachtsplanet

Ich hatte es ja irgendwie schon geahnt, als ich Kachelmanns Temperaturkurve für die Heiligabend-Nacht sah: Es sollte verdächtig kalt werden, was bei der derzeitigen mildgestimmten Witterung nur eines bedeuten konnte - klarer Himmel. Irgendwelche Vorbereitungen habe ich aber nicht getroffen, weil das tatsächliche Wetter tagsüber richtig mies und regnerisch war, und umso blöder steht man dann da, wenn man nach dem Heiligabend-Programm zuhause aus dem Auto aussteigt und unter einem blankgeputzten Abendhimmel steht. Ja uuups.


Nach Erledigung diverser obligatorischer Pflichten, die länger andauerten als mir lieb war, konnte ich 21:15 Uhr in den Garten stürmen. Mit im Gepäck: 0,4l leckerer Instant-Kaffee. Man weiß ja nie, wie lange man da draußen versackt. Das Gelände war von dem vielen Regen völlig aufgequollen und schlammig, sodass ich meinen üblichen Standort nicht beziehen konnte; stattdessen baute ich neben der Schaukel auf. Hier sind mehrere Laternen direkt zu sehen, aber die große Sitzfläche war ein bequemer Ablageort, der alles wieder entschädigte. Ich hatte schließlich im Grunde genommen auch nur ein einziges, unbedingtes Ziel, was mit Deep Sky nix zu tun hat: Den Mars. In den letzten Tagen hatte ich mich mal wieder vermehrt mit Planetenkunde und Raumfahrt auseinandergesetzt, was damals in meiner Anfangszeit (als Teenager, lang ists her!) mein Hauptinteressensgebiet war und mich an der Astronomie fesselte. Und so dachte ich mir... Mensch, den Mars müsste man sich auch mal wieder angucken!


Der rote Planet strahlte im Stier auffällig vor sich hin, während Jupiter schon wieder stramm Richtung Horizont wanderte. Die Handgriffe am Dobson hatten sich längst eingespielt, sodass die Bude schnell aufgebaut war. Das einzige Problem, das ich noch nicht angegangen hatte, war die fehlende Trittleiter. Meine Hoffnung, vielleicht noch 20cm zu wachsen, hatte sich nicht erfüllt, also ging ich mal wieder auf die Suche nach einem stabilen Podest. Diesmal waren es zwei Ziegelsteine, die ich als Erhöhung auf den Boden legte, um bequem an den OAZ zu kommen. Die Bedingungen: 5°C, leichter Wind, leichte Bewölkung, Seeing mies, relativ "dunkel", hohe Luftfeuchtigkeit. Ohne Malheur oder Unfall geht es natürlich nicht vonstatten: Diesmal war es das Fläschchen Kaffee, das durch den umkippenden Atlas mitgerissen wurde, auf den Rasen fiel und komplett auslief. Einen halben Becher hatte ich mir vorher schon eingeschenkt, aber an dem Rest dürfen sich nun die Blumen erfreuen. Naja, schade drum.


Erstes Objekt war natürlich unser kleiner roter Nachbarplanet. Der Mars zeigte schon bei 138x Strukturen, die bei dem Seeing aber nicht unbedingt einfach zu erkennen waren. Die Planetenkugel wurde von der unruhigen Luft verzerrt und zerrissen; sie waberte und tanzte. Auch im 4,7er-Oku wurde es kaum besser. In den kurzen, guten Momenten war eine große, Y- oder X-förmige Struktur erkennbar, die sich über die gesamte Scheibe zog, und einer der Pole (?) wirkte etwas heller als sein Gegenstück. Aber die Details verschmierten sofort wieder, kaum, dass sie mal deutlich sichtbar waren. Eine Skizze fertigte ich trotzdem an. Und auch wenn die Beschreibung hier nüchtern klingt: Beim Anblick des Mars im Teleskop kriege ich immer großes Herzklopfen und werde ganz aufgeregt, genau wie damals als Teenager. Ich mag den Planeten einfach und denke jedes Mal daran zurück, wie mein 14-jähriges, teleskoploses Ich im Sommer 2005 nachts aus dem Dachfenster heraushing, um diesen hellen roten Lichtpunkt zu sehen, der im Osten aufging. Damals stand er auch im Stier, daneben die Plejaden.

Ich bin kein Planetenzeichner, aber natürlich immer stets bemüht… Naja, war mal ein Versuch. Bin mir nicht sicher, aber das könnte die Region rings um Syrtis Major sein und oben, die hellere Region, Hellas Planitia. Hört sich jedenfalls gut an.


Und dann stand ich wieder da und wusste mangels Vorbereitung nicht, was als nächstes angepeilt werden könnte. Da eh gerade ein Wolkenpaket durchzog, blätterte ich in der Stier-Auriga-Region herum und suchte nach irgendeinem Klebepfeil, das nicht gerade auf ein Objekt verwies, das für Alpenhimmel prädestiniert war (und das sind leider die meisten). Als die Wolken zerbröselten, schwenkte ich zu Kohoutek 2-1, der angeblich deckungsgleich mit dem Sternhaufen Skiff 6 sein soll, sagt zumindest die Karte. Die Zielregion war fix eingestellt, [OIII]-Filter reingehauen, gucken. Nix. Weder Nebel, noch Sternhaufen. Im Atlas stand die Notiz eingekritzelt, dass der "PN" recht groß sein soll. Hmm. Irgendwann setzte sich an der betreffenden Stelle tatsächlich ein diffuser, sehr schwacher Schimmer ab, den ich aber nicht weiter definieren konnte. Vielleicht rundlich geformt, vielleicht aber auch nicht. Aber trotzdem irgendwie eindeutig vorhanden. Ein Sternhaufen oder -muster war weit und breit nicht zu erkennen. Sehr störend war das Streulicht, was immer wieder am Auge vorbei auf die Okularlinsen fiel und blöde Reflexe verursachte. Ich holte mir einen Fußsack aus der Holzhütte, den ich mir über den Kopf schmiss, um das Licht abzuschirmen. Half ganz gut.

Die Suche nach NGC 1985, einem "hell" dargestellten Reflektionsnebel, verlief erfolglos, aber ich wusste auch nicht, was mich erwarten sollte. Egal. Einer der Ziegelsteine, auf denen ich stand, war inzwischen zerbrochen. Interessant. Nebel machen bei einer Grenzgröße von vielleicht 5,3mag oder so keinen Sinn, also wählte ich Sternhaufen aus, die mich spontan im Atlas anlachten. Dolidze 16 sollte sich an einem Doppelstern befinden. Naja. Selbst bei niedriger Vergrößerung von 56x war kein offensichtlicher Haufen oder Asterismus zu erkennen - groß, lose, bäh. Da war der Doppelstern noch das schönste an dem Anblick. Eigentlich sogar ganz nett, beide Komponenten in einem kalten Weißblau. Ich schwenkte schnell weiter. Und wenn ich mir im Nachgang den DSS-Auszug zu Do 16 angucke, fühle ich mich darin bestätigt, bei dem Objekt absolut nix verpasst zu haben.


Teutsch 89 hingegen war wesentlich dankbarer. Das Häuflein fiel sofort ins Auge, was v.a. an dem hellen Sternpaar (8,6 und 9,7 mag) lag, das sich im Zentrum des Gebildes befindet und von wenigen schwächeren Mitgliedern umsprenkelt wird. Markant ist die Form eines spitzen Dreiecks, oder eines kosmischen "A"... A wie Anne, gefällt mir! An der Spitze des A bog sich noch eine schwächere Sternkette weg. Ansonsten präsentierte sich Teutsch 89 als eher arm und wenig konzentriert. Das Ganze liegt am Nordrand der großen Nebelregion von IC 410, um die ich mich nicht weiter kümmerte.


Blätter, blätter. Wer hier irgendein ausgeklügeltes System bei der Vorgehensweise oder Objektauswahl erwartet, den muss ich enttäuschen. Ich kam zu dem Schluss, dass Sternhaufen ohne Vorbereitung auch nicht so das Wahre sind. Aber am Fuße des Perseus, da war noch ein Pfeil - und der zeigte auf einen winzig kleinen PN namens IC 351. Na, das sind doch die idealen Objekte für Beobachter mit mauen Bedingungen! Der Starhop zu dem Winzling ging schnell und er war bereits in der Übersicht zu sehen, allerdings nicht von normalen Sternen zu unterscheiden. Bei moderater Vergrößerung zeigte sich das Objekt zumindest verwaschen, und bei 380x blickte ich auf eine ovale Scheibe. Gut und scharf abgegrenzt, aber ohne Helligkeitsnuancen, und einen Zentralstern sah ich auch nicht. Aber direkt daneben blinzelte müde ein benachbarter Feldstern hervor, der, wenn ich das hier richtig lese, eine Helligkeit von 14,8mag hat.

Jawoll, so gefällt mir das! Nicht weit weg war noch so ein Ding eingetragen... IC 2003. Zwar ohne Pfeilmarkierung, aber ich kannte den wohl noch nicht, also schwenkte ich rüber und suchte nach dem nächsten Krümel. Der PN stand in einem sternreicheren Umfeld, entlarvte sich aber schnell als Scheibchen und schien mir geringfügig größer als der Vorgänger. Und noch schärfer abgegrenzt. Ansonsten hell, klein und rund. Vielleicht ein bisschen grünlich. Kein Zentralstern, aber ebenfalls ein Feldsternchen direkt daneben (13,2mag). Nach längerer Beobachtung schien mir die Südkante des PN heller als die gegenüberliegende Seite und es wirkte, als würde sich dort ein Knoten verstecken, oder zumindest irgendwas, was sich in Form eines stellaren Helligkeitspeaks äußert. Genau fassen konnte ich diesen Eindruck allerdings nicht. Vor Ort wusste ich nichts von dem Ringcharakter des PN; die Mitte erschien mir nicht dunkler, sodass ich auch nicht von selber drauf kam.

Aus Richtung Norden nahm ich schon seit geraumer Zeit hereinwanderte Zirren wahr, die inzwischen große Teile des Himmels eingenommen hatten. Die Temperatur war auf 0°C gefallen. Füße etwas kalt. Der Orion und Stier waren noch frei; ich schwenkte auf M 42, den ich schon ewig nicht mehr im Okular hatte. Schön wie immer, aber im Scheine der Dorflaternen eher zart und blass. Naja.


Den Abend schloss ich so ab, wie ich ihn begonnen hatte: Mit dem Mars. Leider hatte sich das Seeing nicht gebessert - im Gegenteil, die Kugel verschmierte öfter und stärker denn je. Zwar war eine Bewegung der großen, dunklen Oberflächenstrukturen schon bemerkbar, denn das X war kein X mehr, aber was das X nun geworden ist, konnte ich schon nicht mehr beschreiben. Naja, egal, es war mir trotzdem eine große Freude.


Blick auf die Uhr: 23:15 Uhr. Das freie Fenster im Orion schloss sich zusehends und in der Nachbarstadt hörte ich den fernen Klang der Feuerwehrsirene. Mein persönliches Signal zum Abbau, der zum Glück ohne nennenswerte Malheure oder andere Vorkommnisse vonstattenging. Fazit des Beobachtungsabends: Kachelmann hatte mal wieder Recht und ich muss mein Programm endlich wieder etwas sorgfältiger zusammenstellen!

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