13./14.10.2023 - Die schönste Nacht des Jahres

Abfahrt Donnerstag 10:00 Uhr. Neun Stunden unterwegs, mit 80 km/h über die Autobahn. Ankunft irgendwo südlich von Regensburg zur Übernachtung. Wetter: Oll. Egal. Freitag weitergefahren, Ziel Berchtesgaden und Königssee zur Nachmittagsunterhaltung. In der prallen Sonne fast noch zu warm – für Mitte Oktober ungewöhnlich, aber besser als kalter Regen. Wetterprognose: Perfekt. Eventuell leichte Zirren. Ziel für den Abend: Das Rossfeld. Sterne gucken.


Mangels Sommerurlaub haben wir die Ferienzeit einfach in den Oktober geschoben. Es ging dieses Jahr nicht anders, alles irgendwie sehr ungünstig, aber der Herbst kann ja auch sehr schön sein und aus astronomischer Perspektive verspricht dieser Zeitraum auch gute Bedingungen. Da uns aber nur eine knappe Woche für das Reisevergnügen zur Verfügung stand, konnten wir kein Weltabenteuer vollführen, sondern mussten halbwegs in der Nähe bleiben. Ich plädierte stark für Österreich. Meine geliebten Alpen. Wenn ein oder zwei Astro-Nächte irgendwo im Tal dabei herausspringen würden, wäre ich schon mega happy. Dass es sogar ein Ausflug zum Rossfeld werden sollte, hätte ich nie zu träumen gewagt – besser geht es doch nicht. Eine Nacht am Rossfeld… Boah. Rossfeld!

Je länger der Freitag fortschritt, desto nervöser wurde ich. Gegen 18 Uhr suchten wir dann die nördliche Auffahrt der Ringstraße auf. Ich kannte bisher nur die südliche, aber die fiel wegen der starken Steigungen (20 – 24%) aus. Unser Reisevehikel war nämlich ein altes Wohnmobil, welches irgendwann Anfang der 80er das Licht der Welt erblickt hatte und dementsprechend bereits in die Jahre gekommen war. Die olle Möhre tut sich immer sehr schwer, wenn es mit 88PS seine 3,5to Eigengewicht ein paar Höhenmeter hinaufwuchten muss. Während der Berlingo sonst schwungvoll und geräuschlos um die Kurven gleitet, dröhnte der Hymer-Motor am oberen Anschlag und ächzte sich mit 10km/h bis zur Mautstelle vor. Vergünstigtes Ticket für 7 Euro. Weiter bis oben, höher. Immer weiter. Meine Augen klebten am Fenster, ich scannte die Aussicht, allmählich kam mir das alles immer vertrauter vor. Berge, so viele Berge! Der Hohe Göll, der Ausblick ins österreichische Salzach-Tal, ich erkannte alles wieder. Die Straße mit dem Holzgeländer auf dem Plateau. Wie ein tanzendes Erdmännchen wirbelte ich auf dem Sitz herum… von links nach rechts, von oben nach unten… und hielt Ausschau. „Da, gleich rechts! Da, da, DAAA!“ Eine große gepflasterte Fläche. Der Parkplatz. Anker werfen. Das Wohnmobil fand sein Ziel, der überhitzte Motor erstarb, unsere Ohren fanden Ruhe.

Die Sonne war gerade untergegangen und zauberte ein buntes Wolkenspiel am blassblauen Abendhimmel. Es war, wie prognostiziert, noch zirrig, aber im Westen war die untere Wolkenkante schon abzusehen und es versprach, bald völlig klar zu sein. Dutzende Grillen zirpten im hohen Gras. Wir liefen ein bisschen umher, machten Fotos. Mir fiel auf, dass die Nadelbäume neben dem Parkplatz derart hoch gewachsen waren, dass man gar keinen Blick auf das darunterliegende Salzburg mehr hatte. Oder hatte ich das falsch in Erinnerung? Egal, schlecht war das in Hinsicht auf Streulicht jedenfalls nicht. Auf dem langen Parkstreifen, der sich nach Süden erstreckt, stand in einiger Entfernung ein weißer Transporter, der wohl auch über Nacht bleiben wollte. Stimmen wehten herüber, Türen schlugen zu, andere Autos donnerten vorbei. Ein dämmriger Schleier legte sich über die Bergwelt. Krähen flatterten zwischen den Baumkronen umher.

Wir machten in Ruhe Abendessen… Naja, nein, Ruhe hatte ich nicht, sondern war aufgeregt bis Anschlag und voller Vorfreude. Die Tomatensuppe wärmte mich durch. Zum Glück war es aber auch gar nicht so kalt draußen. Ein PKW hatte sich inzwischen neben uns gestellt und jemand baute mit Rotlicht ein Stativ mit Teleskop auf… Verdächtig. Vermutlich der Planetenfotograf, der hier in der Ecke wohnt. Zusammen mit meiner Tochter stellte ich den Dobson neben dem Wohnmobil auf, wovon sie seit einer Stunde pausenlos quatschte. Die war fast noch hibbeliger als ich und ich musste sie bremsen, weil sie den ganzen Inhalt des Astro-Korbes herauszottelte und schon drauf und dran war, sämtliche Okulare zu zerlegen. Das Teleskop hatte sich durch die ruppige, ruckelige Fahrt jedoch beinah selber zerlegt; diverse Schrauben am Hut waren gelockert, die ich erstmal alle einzeln nachziehen musste. Unangenehm. Während ich mit Befestigungsmaßnahmen beschäftigt war, zeigte meine gesprächsfreudige Tochter nach oben… Vega, Deneb, Atair! Zeigte auf den Osthorizont: Saturn! Zeigte nach Westen: Arktur! Und ratterte dann die Spektralklassen herunter. Ich platzte beinahe vor Stolz. Mein Kind, meine Gene! Leider musste die müde Nachwuchs-Astronomin dann aber auch ins Bettchen. Die Einschlafbegleitung übernahm mein Mann, während ich dann um 20:15 Uhr das Reisegefährt verlassen und ans Teleskop schreiten konnte.

Hach, Rossfeld. Hier hingen viele Erinnerungen dran. Es war natürlich nicht so, wie man es von früher kannte… Allein, ohne lustige Gesellschaft. Ohne Schnee. Aber es liegt ja immer an einem selber, was man draus macht; welche neuen Erinnerungen man an diesem Platz hinzufügt. Einen Moment lang stand ich nur neben dem Teleskop, ließ die milde, klare Bergluft durch die Lungen gleiten, wägte die Zirrenlage ab und ließ Hirn und Puls zur Ruhe kommen. Objektplanung hatte ich im Vorfeld untypischerweise nicht betrieben. Die letzten Wochen zuvor zählten zu den chaotischsten Wochen meines Lebens, sodass ich für so'n Quatsch schlichtweg keine Nerven hatte. Im Atlas waren aber zig Sachen markiert; da wird doch bitteschön was zum Angucken zu finden sein… Es war windstill. Ein lauter, grollender Knall ertönte von irgendwo. Ungewohnt, die Sommermilchstraße zu sehen, die im Massiv des Hohen Göll mündete. Diese Kulisse kannte ich sonst nur aus der Wintersaison. Selbst in der letzten Restdämmerung machte der Himmel einen bedeutend besseren Eindruck als alles, was ich in den letzten Monaten zu sehen bekommen hatte.

Erstes Objekt war einer der vielen schwachen Sternhaufen in der Sommermilchstraße: Berkeley 45. Während ich das Zielgebiet aufsuchte, leuchtete es im Vorderteil des Wohnmobils weiß auf… Ah, der Gatte hatte sich nach vorn geschlichen und wollte wohl bald aussteigen, aber so ganz ohne Licht wirds schwierig. Ich schirmte das Okular mit der Hand ab. Berkeley 45. Bei 138x eine winzige, schwache Gruppe, die sich länglich an einem „helleren“ Stern nach Südosten abstreckte und erst auf dem zweiten Blick richtig zu erkennen war. Schien reich zu sein. Trotz höherer Vergrößerung nicht ganz auflösbar. An einer Stelle im südlichen Teil schien sich das Grüppchen etwas mehr zu konzentrieren.


Während ich mit der Beobachtung kämpfte, war mein Mann ausgestiegen und leuchtete schüchtern mit seinem Handy herum. Ich erbarmte mich und drückte ihm eine rote Kopflampe in die Hand. Selbstverständlich gab es dann eine kurze Sightseeing-Tour durch ein paar Highlights der Sommermilchstraße – wenn man mal unter so einem schönen Himmel steht, muss man auch zeigen, was so ein Teleskop alles leisten kann. M 71, M 27, Cirrusnebel, M 57 und – naturgemäß am eindrucksvollsten – der Saturn. Die Begeisterung für den Nebelkram hielt sich vermutlich in Grenzen, aber nicht so schlimm; mit der beringten Planetenkugel können Nicht-Astros einfach am meisten was anfangen, was ich auch absolut nachvollziehen kann. Der Saturn ist ja auch einfach schön.


Danach war ich dann wirklich alleine – vom Fotografen abgesehen – und konnte mich voll und ganz auf mein nicht vorhandenes, eng durchgetaktetes Beobachtungsprogramm konzentrieren. Was mir beim HTT verwehrt blieb, war die Sichtung von Palomar 10. Der Kugelsternhaufen sieht aufm ROTEN DSS so freundlich und harmlos aus, ist es allerdings nicht… Die blauen Platten hingegen deuten an, wo das Problem liegt: So rötlich, wie der Haufen ist, wird er stark von der Milchstraße abgeschwächt. Au Backe. Es brauchte also Rossfeld-Bedingungen, um den Kollegen zumindest zu erahnen; es blieb allerdings nur bei einer sehr diffusen, runden Wolke. Alles sehr vage, sehr diffus. Unangenehmes Objekt.

Es ging ein leichter Windhauch, der aber bald wieder abflaute; ich hatte zuvor was von „Sturm“ und „Windschutz“ gelesen, aber da war nichts von zu merken. Allenfalls das ferne Rauschen von Bäumen deutete darauf hin, dass es an exponierteren Lagen etwas wilder zuging. Bisschen planlos blätterte ich durch den Atlas und stellte fest, dass die Region im Steinbock und Wassermann zu den weniger besuchten Ecken gehörte… Da gabs noch was zum Gucken. Die Aquarius Dwarf war markiert. Bevor ich mich aber damit befassen wollte, gönnte ich dem Auge einen schönen, dicht bepackten M 72. Wirkte wie plattgedrückt, kastenförmig. Einige Einzelsterne, auch im Zentrum; bei 200x fiel mir eine Art Dunkelzone auf, die einen Teil im Osten vom Rest abtrennte. Gefiel mir so gut, dass ich zum Skizzenblock griff. Nettes kleines Kullerchen, nicht zu viele Sterne, leichtes und dankbares Zeichenobjekt.

Danach der Schwenk zum erwähnten Aquarius Dwarf; einer der vielen heißen Anwärter auf den begehrten Titel „beschissenstes Objekt der Nacht“ – und die hatte gerade mal erst begonnen. Boah, sauschwer. Ich bildete mir eine extrem vage und grenzwertige Aufhellung ein, die drei- oder viermal an derselben Stelle auftauchte, aber nicht dauerhaft zu halten war. Aussagen bzgl. Form oder anderer Merkmale konnte ich erst recht nicht treffen. Örghs. Zu meiner nicht gerade geringen Überraschung stimmt die Position der Skizze tatsächlich mit der Realität überein. Dieses schwache Scheißding!

Um 22:00 Uhr ertönte irgendwo aus dem Tal unten der Kirchengong, dessen Geräusch bis auf 1.500m hinaufgetragen wurde. An dem weißen Transporter, der auf dem Parkstreifen stand, war ein bisschen Betrieb; eine Männerstimme brummte herüber und Türen knallten. Der Fotograf auf der anderen Seite des Hymers gab so gut wie keine Laute von sich; manchmal hörte ich lediglich ein paar Schritte oder irgendwas Technisches. Mich zog es zu einem Doppelstern im Steinbock, der mich auf der Karte angrinste: Struve 323. Bei 56x ganz hübsch; orange und vielleicht… irgendwie blutrot wirkend. Leider schlug bei 200x das jäh schlechter gewordene Seeing zu: Die flauschigen, ballartigen Sterne ließen sich plötzlich nicht mehr scharfstellen. Ist nicht das erste Mal, dass sowas vorkam… Irgendein lokales Phänomen oder so. Trotzdem unschön und im ersten Moment irritierend.


Irgendwo da unten befand sich auch Palomar 12. Klar, immer her mit den schwachen Dingern… Der KS war ganz gut zum Aufsuchen wegen der Nähe zu einem markanten, kleinen Sterndreieck. Bei 138x ein diffuser, runder, indirekt sichtbarer Nebelball ohne Details. Bei 200x wirkte die Fläche undefinierbar gemottelt. Ein Einzelstern tauchte sicher am Nordwest-Rand auf, ein zweiter ein Stück daneben und ein dritter blinkte scheu am Südostrand heraus; alle anderen wollten gerne, schafften es aber nicht so richtig, so mein Eindruck. Der KS gab schon was her… Aber ganz greifbar waren diese Strukturen leider nicht. Trotzdem: Cool!

Inzwischen war der Sommerhimmel nach Westen abgezogen und die sternarmen Gebiete des Herbstes dominierten die Südrichtung. Jupiter leuchtete im Osten so hell wie die Venus im Flachland; er blendete regelrecht und ich ermahnte mich, nicht immer direkt hinzugucken. NGC 7218 war mit einem Pfeil markiert: Ein heller Nebel, ziemlich homogen, oval-länglich. Zwei Feldsterne flankierten die Galaxie im Osten. Bei 200x: Wulstiges, breites Zentralgebiet mit spitzer zulaufenden Enden. Naja, nicht so der Burner. Warum hab ich’s trotzdem gezeichnet? … Keine Ahnung…

22:45 Uhr: Zeit für Kaffee. Das ist der unbestreitbare Vorteil am Wohnmobil: Man kann sich mal fix ein Heißgetränk zubereiten. Gasherd anschmeißen, Granulat in die Tasse und fünf Minuten warten, bis das Wasser siedet. Trotz unvermeidbaren Geklappers wurde niemand wach und ich schlich mich mit meiner gekochten, schwarzgüldenen Brühe wieder nach draußen, um zum nächsten Objekt überzugehen. Das Duo NGC 125/128, mit einem Ausrufezeichen im Atlas versehen… Zurecht. Tolle Kombi! Beide Galaxien hell und leicht zu sehen. NGC 125 kleiner, kompakt-rundlicher mit einem hellen, stellaren Kerngebiet. NGC 128 etwas interessanter wegen der scharfen Konturen. Größer und langgezogen. Das Zentrum wird von einem breiten, rechteckigen Torso gebildet, von dem die Galaxie sehr spitz in die Enden (N und S) ausläuft. Mega cool. Auch das Umfeld mit den Feldsternen und schwächeren Begleitgalaxien, in dem das Duo eingebettet ist, gefiel mir.

Der Kaffee wirkte – ich war regelrecht aufgedreht und aufgewärmt bis in die Zehenspitzen. Schöner Himmel! Seeing mau, aber naja, man kann nicht alles haben. Die Lichtglocke von Salzburg versteckte sich gut hinter den hohen Nadelbäumen neben dem Parkplatz. Mir fiel die Gruppe HCG 7 ins Auge… Dank NGC 192 ziemlich auffällig und in der Übersicht ein helles Knäuel. Höhere Vergrößerungen lösten das Gebilde weiträumig auf; drei weitere NGC-Galaxien unterschiedlichster Gestalten ließen sich separieren. Alle irgendwie ovale Blobs, aber verschiedener Ausrichtungen und Helligkeiten. Nette Hickson-Gruppe.

Langweilig fand ich das Duo NGC 114 und 118. Bei 138x eher blass. 118 heller, runder, homogener Tupfen, während 114 etwas kompakter blieb. Und weil das so abschreckend war, musste ich mir mal kurz die Beine vertreten, ging ein bisschen umher und machte Fotos von der Szenerie. Im Osten streckte schon der Orion seine Arme über den Horizont. Beteigeuze sah so aus wie immer… Schade. Nächstes Objekt war NGC 428. Schon in der Übersicht einfach zu sehen, zwischen zwei hellen Feldsternen. 138x: Ovale Grundform, diffuse Grenzen, sieht komisch aus… Bei 200x deuteten sich sachte Nuancen an. Schwierig. Aber spannend. 

NGC 450: Ein runder, diffuser, zarter Bausch. Bei 200x ein ähnlicher Eindruck. Homogen und nach außen fließend; zum Zentrum hin nur geringfügig heller. Naja. Eine zweite Galaxie, was ich mir als Notiz in den Atlas gemeißelt hatte, sah ich da auch nirgends. Blick auf den DSS: Ja, da ist was; das Duo sieht auch ganz spannend aus… Aber leider nicht im 16er.


Diese Futzeldinger waren ja ganz nett, aber zur Abwechslung wollte ich mir mal eine RICHTIGE Galaxie angucken – eine, die derzeit in aller Munde ist. M 33. Die mag ich. Extra hierfür nahm ich mein selten benutztes 26er-Okular hervor, wo der ausladende Nebel perfekt hereinpasste. Zitat aus dem Notizbuch: „!IST DIE SCHÖN!“ Mir blieb der Atem weg. Wow, einfach nur der Hammer. So eine fantastische M 33 habe ich noch nie gesehen. Die Spiralarme, Knoten, Verdichtungen etc. zeigten sich wie ausgestanzt innerhalb der gigantisch großen, diffusen Nebelfläche. Ich war allein schon beim bloßen Überfliegen der zahlreichen Strukturen überfordert. Unglaublich, wunderschön, majestätisch. Ich ließ mir Zeit; ließ das Auge über die Spiralarme gleiten, verfolgte den Drehsinn, zählte die HII-Regionen und wurde nicht fertig. Überall entdeckte ich etwas Neues. Poah. Das muss man eigentlich zeichnen… dachte ich mir so, nahm den Skizzenblock zur Hand, schrieb „M 33“ drüber und wusste nicht, wo man da anfangen soll. So völlig spontan, völlig ohne Vorbereitung. Wo nur… Wo?? Und wie? Und vor allem: Wie lange? Dann strich ich es wieder durch und packte alles beiseite. Näää, das muss ich ein anderes Mal machen. Das bedarf einer genaueren Vorbereitung. Am besten mit Vordruck. Bei Sternfeldern bleibe ich meist gelassen, aber dieses riesige Feld und die darin innewohnenden nebulösen Strukturen… Das überforderte mich.

Eins stand fest: Egal, was ich mir in der Nacht noch angucken will… Das alles würde gegen M 33 gnadenlos abkacken. Aber daran darf sich die nachfolgende Objektauswahl eh nicht messen lassen. Ich schwenkte auf die Galaxiengruppe rings um NGC 978… Ein helles, auffälliges Trio. Da endeten meine Notizen und da begann die Skizze.

Dann noch der Schwenk auf das benachbarte Duo NGC 973 und IC 1815. Das war im Atlas schon abgestrichen, d.h. eigentlich schon beobachtet oder sogar gezeichnet, allerdings klebte auch noch ein Pfeil dran. Hää? Na egal, einfach zeichnen, im schlimmsten Fall hat man das Ding halt zweimal im digitalen Ordner.

Ich hörte es im Wohnwagen kurz knuckern… Meine Tochter meldete sich zu Wort. Ich schlich hinein, setzte mich zwei Minuten daneben und konnte dann auch schon wieder hinausgehen. Bisschen neidisch war ich… Unter ihren Decken war es so kuschlig warm… Ein bisschen Wärme konnte ich gut gebrauchen, also nahm ich die Beine in die Hand und rannte mal wieder ein Stück die Straße nach Norden entlang. Der Fotograf muss wahrscheinlich gedacht haben, ich wär ein bisschen bescheuert. Läge er ja noch nicht mal ganz falsch. Ich rannte ein Stück, machte Fotos (die nix geworden sind) und rannte dann wieder zurück. Die Blutzirkulation in den unteren Gliedmaßen funktionierte wieder – anders gesagt, die Mauken waren wieder warm und ich konnte weitermachen.

Nächstes Objekt: Eine weitere Galaxie, IC 200. Bei 138x ein diffuser Bausch, rundlich. Im Zentrum blitzte was Stellares heraus. Bei 200x wurde dieser Eindruck nochmal deutlicher, wenngleich der stellare Kern nicht sonderlich kräftig war. Mir schien eine Balkenstruktur von Nord nach Süd verlaufend angedeutet; dieser Bereich wirkte zumindest auffallend breiter.


Dann ging es in Richtung Stier… Hier nahm die Dichte an Reflexionsnebeln zu und mit vdB 16 hatte ich mir einen davon markiert. Reflexionsnebel, van den Bergh, ja, da war ja mal was… Zeit wird’s, das, was ich den Leuten mal groß angepriesen hatte, selber mal wieder in die Tat umzusetzen. Und vdB 16 war gar nicht so schwer wie befürchtet. Man konnte mal wieder schön vergleichen zwischen zwei ähnlich hellen Feldsternen; an dem südlichen war der leichte Halo nach Westen hin auffallend ausgebuchtet – an dieser Stelle setzte sich der Reflexionsnebel zart ab. Zart, ja, und somit nicht unbedingt ein Showpiece… aber eindeutig.

Reflexionsnebel im Stier, da war doch auch noch was. Mein letzter Versuch an Hind’s blödem Nebel fand an genau dieser Stelle statt, vor fast sieben Jahren. Da darf man nochmal einen neuen Versuch wagen. Kann doch nicht so schwer sein, dieses blöde Mistding. T Tauri war eingestellt. Die Gegend kannte ich noch gut. Und dann hieß es wieder… warten… gucken… geduldig sein… durchatmen… gucken… warten… Kiefer entspannen… warten… Geduld… Geduld… Geduld… Ich hasse Geduld, ich bin das genaue Gegenteil von geduldig. Das muss alles schnell gehen, zackzack, ich habe keine Zeit. Aber Hind ist ein elender Widerporst, der verweigert sich. Irgendwann hatte ich wieder die Nase voll. Wollte mich schon entnervt abwenden. Und dann war da ein Hauch. Wie ein bogenförmiges Stück Schlauch. Ein Schlauch-Hauch. Mir blieb das Herz stehen. Nein! Warten… Geduldig sein… Ich hasse Geduld… Gucken… Konzentration… Warte… Warte, da! Plötzlich flimmerte für eine halbe Sekunde wieder diese neblige Banane auf. Wieder hüpfte mein Herz. Ach herrje. Ach herrje! Panik. Wenn nicht der Fotograf 20 Meter neben mir gestanden hätte, wäre ich erstmal dezent ausgeflippt. Nichtsdestotrotz: Diese flüchtige Begegnung zwischen mir und NGC 1555 macht die vielen fehlgeschlagenen Versuche der letzten Jahre um nichts besser. Das ist und bleibt mein offizieller Erzfeind.

Anschließend ging ich wieder ins Wohnmobil, um eine zweite Tasse Kaffee zu kochen. Inzwischen war es 01:30 Uhr. Mit dem wärmenden Gebräu in der Hand latschte ich ein bisschen umher, machte Fotos und ließ mir den leicht auffrischenden Wind um die Ohren wehen. Wie herrlich. So ein toller Beobachtungsplatz. Der Hohe Göll mit seinem auffallend hellen Gestein ragte bedrohlich im Süden auf; die Tannen wogen sacht in der kühlen Brise. Blick zurück zum Parkplatz: Das rote Licht des Fotografen wanderte geschäftig zwischen Auto und Teleskop umher.

NGC 660 war kein unbekanntes Objekt – die Gestalt mit dem Polarring ist in dieser deutlichen Form quasi einmalig und deswegen war es an der Zeit, sich mit der Beobachtung mal detaillierter auseinanderzusetzen. Ich war super gespannt, was mich unter diesen Bedingungen erwarten würde. Sofort brüllte mich die Galaxie bei 56x im Okular an. Bei 138x länglich und nach Westen hin wie abgeschnitten wirkend. Okay, das geht schon mal in die richtige Richtung… Dann 200x: Das „X“ sah ich zwar nicht, aber ein „V“. Es war wie ein dunkler Keil, der von Norden her in den hellen Galaxienkörper hereinragte und die Westhälfte abrupt abschnitt. Im Süden war der Nebel deutlich breiter. Schwer zu beschreiben… Je länger ich mir das Ding anschaute, desto schärfer, desto deutlicher wurde der Keil; außerdem kamen diffuse Ausläufer nach Nordwesten und auch einer nach Süden hinzu. Boah… Hammer Teil.

Beim Scrollen durch den Atlas fiel mir der Doppelstern Str 155 auf. Zwei gleichhelle Sterne, die bei 56x locker getrennt waren, in einer ähnlich weißgelben Farbe leuchteten und in einem hübschen Umfeld positioniert waren. Naja, netter Happen für zwischendurch. Nächstes Ziel war der Asterismus oder Offene Haufen NGC 305. Warum wollte ich den sehen? Das war ein kleines, kompaktes Grüppchen. Aufgelöst, fünf oder sechs Sterne unterschiedlicher Helligkeiten wie ein Wimpel angeordnet. Naja.

NGC 514, die nächste Galaxie. Es zeigte sich bei 138x ein diffuser rund-ovaler Geist westlich neben dem 9,4mag hellen Feldstern, der keine Details offenbarte. Das Zentralgebiet nur wenig heller… Nicht so spannend.


Kurzes Innehalten um 02:14 Uhr. Mann ey, die Zeit rannte schon wieder. Ich hatte mir eine Deadline auf um Dreie gesetzt. Problem war ja, dass wir am nächsten Tag noch Programm hatten, das Kind standardmäßig um Sieben aufwacht und ich eine gewisse Mindestzeit an Schlaf brauchte, um in dieser Konstellation einigermaßen zu funktionieren. Als Mutti hat man ja keine andere Wahl, man muss online sein, ob man will oder nicht. Vier Stunden Schlaf, das klang brauchbar. Aber echt schade um diesen wunderschönen Himmel. Je mehr die Wintersternbilder nach oben rückten, desto eindrucksvoller wurde der Anblick. Die Transparenz war in der zweiten Nachthälfte jedenfalls deutlich besser als in der ersten, was vielleicht mit den anfangs verbliebenen letzten Zirrenschleiern zu tun haben könnte. Jupiter strahlte sich immer noch einen ab und blendete meine Augen. Bloß das Seeing… nicht so der Hit.

Es folgte mit IC 195 ein galaktisches Duo, welches auch als Arp 290 katalogisiert ist. Der nordöstliche der beiden Nebelblobs schien deutlich heller und größer, oval-länglich und mit hellem Zentralgebiet und stellarem Kern. Der kleinere Partner südwestlich davon war kompakt, aber ebenfalls mit markant-kräftigem Kernbereich.

Ein weiteres Duo wartete mit NGC 871/877 auf einen Besuch. Beide Galaxien waren sofort im Okular zu sehen; 877 dabei oval und um ein vielfaches heller und größer. Voll das schöne Duo. Oder besser gesagt Trio; die wesentlich scheuere NGC 876 unmittelbar westlich von 877 schälte sich zaghaft auch noch aus dem Hintergrund heraus. Zusammen mit den beiden nahestehenden Feldsternen formieren sich alle Beteiligten wie eine flache Box.

Die Zeit schritt unaufhörlich fort. 02:40 Uhr. Müdigkeit war noch nicht zu verspüren, aber die erwähnte Problematik bzgl. Tagesprogramm saß mir im Nacken. Ich rannte ein bisschen umher, belüftete das Hirn, wärmte die Füße und ging mit Schwung ans nächste Objekt: Der Kugelsternhaufen Whiting 1. Ohne genauen DSS-Ausdruck hat man keine Chance, denn der winzige Krümel war hyperschwach und stand in einer derart sternleeren Gegend, dass ich kaum einen guten Anhaltspunkt für die Beobachtung fand. Den unmittelbaren Nachbarstern – ich glaube, es war der südliche mit 15,4mag – konnte ich mit dem Ausdruck gut identifizieren; er war für einige Sekunden haltbar. Und direkt daneben, nördlich, schimmerte noch viel seltener etwas Diffuses, Geisterhaftes aus dem finsteren Hintergrund hervor. Sehr schwach, aber immer an derselben Stelle. Keine Strukturen, Details o.ä. – aber trotzdem, kaum zu glauben, dieser kleine Kugelhaufenkrümel.

Meine Deadline von 03:00 Uhr war erreicht. Hmm. Schade. Aber ein paar Minuten zum Ausklingen und Runterkommen kann man sich ja noch gönnen, bei dem schönen Himmel. Etwas überrascht stellte ich fest, wie hoch der Hase schon über dem Horizont stand. Nach den vielen bunten Sternen, die ich mir im Sommer reingezogen hatte, war das die ideale Gelegenheit, sich den König der Carbonsterne anzugucken: R Lep. Ähhh… Naja. Vielleicht habe ich ihn in einer blöden Phase erwischt, aber so beeindruckend fand ich ihn nicht, egal bei welcher Vergrößerung. Ich hatte immer den Vergleich mit U Cyg im Hinterkopf, der mich wesentlich mehr vom Hocker haute, als R Lep. Nicht so „wow“ wie gedacht. Klar, ein roter Stern, aber halt nur rot und nicht... ROOOT.


Finales Objekt… Ach komm, tu’s einfach. M 42. Zitat aus dem Buch: „boah Scheiße!“ Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass die Leute Recht haben könnten, wenn sie alle so in M 42 vernarrt sind. Der IST auch einfach nur schön. Ich flog in das zerfaserte Zentralgebiet rein; die Hell-Dunkel-Strukturen standen wie gestanzt im Okular und ich konnte mich minutenlang nicht sattsehen an diesem herrlichen verwurstelten Anblick. Ohne Nebelfilter am schönsten. Wow!

Damit wars das. Ich machte noch letzte Stimmungsaufnahmen mit dem Handy, während noch immer die Grillen zirpten, und baute möglichst leise meinen Kram ab, um dann alles, so weit wie es ging, schon im Wohnmobil zu verstauen. Halb Vier. Naja. Bevor ich selber im Bettchen verschwand, ließ ich einen letzten Moment lang die Szenerie auf mich wirken. Wer weiß, wann ich das nächste Mal die Gelegenheit habe, so einen schönen Nachthimmel in den Alpen zu sehen… Vermutlich die nächsten drei, vier Jahre wieder nicht. Die Österreichreise sollte in den kommenden Tagen auch leider keine weitere Möglichkeit zur Beobachtung mehr anbieten; Astro und Familienurlaub kollidieren an manchen Stellen dann doch zu sehr.


Schnell schlief ich ein und wachte, knapp 3,5h später, gegen Sieben wieder auf. Es war hell im Auto. Ich wagte einen Blick durch die Vorhänge: Die Morgendämmerung war schon weit fortgeschritten, ein lückiger Wolkenteppich zog über den Himmel und nebenan klapperte der Fotograf, der gerade seine Gerätschaft abbaute und im Wagen verstaute. Der hatte also durchgezogen, der Glückliche. Meine Tochter regte sich auch schon – wie erwartet – und weil ich selber sofort wieder von 0 auf 100 war, schnappte ich mir das Handy, um Fotos von der Morgenszene zu machen, die sich gerade ausgesprochen bildgewaltig im Osten aufbaute.

Die Wolken verfärbten sich pink und goldrot, brannten sich kontrastreich in den babyblauen Hintergrund ein; am Horizont leuchtete ein flammender Streifen und deutete auf den baldigen Sonnenaufgang. Was für ein Anblick, ich war völlig platt und fühlte mich eher wie in einem grafisch ansprechenden Videospiel und nicht wie in der Realität. Mein Mann kam heraus, Kind auf dem Arm, und zu dritt verfolgten wir dieses Schauspiel, diese zauberhafte, unwirkliche Malerei, die uns die Natur gerade auf die himmlische Leinwand projizierte. Bald waren die ersten Bergspitzen vom frischen Sonnenschein beschienen; gebannt schauten wir zu dem verheißungsvollen Glutstreifen, in Erwartung an die aufgehende Sonne… Jeden Moment, gleich, jeden Moment… Orangegrell flammte ihr Licht hinter den fernen Bergen auf. Erst nur ein schmaler Streifen, und dann schob sich schnell der Rest der gleißenden Scheibe über den Bergkamm. Tauchte die ganze Umgebung in ein goldwarmes Licht – eine völlig surreale Verfärbung; als hätte man im EBV-Programm einen ultrakrassen Filter drübergelegt und die Sättigung auf Anschlag hochgedreht. Irre. Jegliche Müdigkeit war weggeblasen. Töchterchen in ihrem Schlafanzug quietschte und klatschte vor Begeisterung. Krähen flatterten vorbei. Die Insassen des weißen Transporters am südlichen Parkstreifen hatten es sich auf ihrem Dach gemütlich gemacht und verfolgten ihrerseits diese unglaubliche Szenerie.


Wie schön. Einfach nur überwältigend und kaum in Worte zu fassen.

Als dieses Schauspiel allmählich verblasste und die Farben des normalen Tageslichts dominierten, verkrümelten wir uns wieder in das warme Wohnmobil. Meine Füße waren eiskalt und ich noch völlig durchgefroren. Es war in der Nacht zwar konstant „mild“ geblieben, aber über viele Stunden hinweg kühlte ich dann doch irgendwann gnadenlos aus. Ab unter die Decke. Frühstück machen. Der frischen, jungen Morgensonne beim Scheinen zusehen. Bilder sichten. Draußen waren schon wieder die ersten Touristen unterwegs, die mit dem PKW anhielten und Fotos der grandiosen Aussicht schossen, das Beste allerdings längst verpasst hatten.


Alsbald sollten wir wieder weiterfahren mit Ziel am Wolfgangsee. Die maroden Bremsen des Wohnmobils hatten zum Glück durchgehalten und uns wohlbehalten unten am Fuße der Mautstraße ankommen lassen… Wie schnell so ein schweres Gefährt an Fahrt aufnehmen kann, realisiert man vor allem dann ganz besonders, wenn die Bremsen nach 3x Betätigung im steilen Gefälle schon anfangen, übelerregend zu stinken. Unangenehm... Aber es ging ja alles gut aus. Sonst hätte ich diesen Roman hier ja nie tippen können.

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