30./31.08.2016 – Eine Nacht, die sich gewaschen hat

Es war eine dieser elementaren Fragen, die man sich an einem so schönen Dienstag Ende August zwangsläufig stellt: Fläming oder Harz? Oder vielleicht doch „Simpsons“ gucken? Auf die neue Stimme von Homer war ich genauso gespannt wie der Rest der Nation, ganz klar. Aber mit Blick aufs Wetter fielen mir doch deutlich bessere Alternativen ein.


Beide Standorte hätten Vor- und Nachteile. Letzten Endes aber waren die „Nicht-Höhe“ des Flämings und die Nähe zu Magdeburg/Berlin so abturnend, dass ich mich für das Gebirge entschied, auch wenn das bedeutete, logistische Hürden und zeitliche Engpässe meistern zu müssen. Abfahrt war nämlich aus Schönebeck, und in Bernburg lagen noch so nützliche Dinge wie gute Okulare, Atlas, Stift und Papier rum, ohne die ich ein bisschen doof aus der Wäsche geschaut hätte. Also noch ‘nen Zwischenstopp in der Mozartstraße eingeschoben, auch wenn Bernburg selbst in dieser kurzen Zeit mal wieder seinem Image als intelligenteste Stadt der Republik voll und ganz gerecht wurde. Entzückende Leute.


Ziemlich spät erst konnte ich dort flücht-… ähh starten, und als es auf die B6n ging, war die Sonne längst weg und der Erdschatten im Osten hoch aufragend. Eine unglaubliche Götterdämmerung war zu bewundern; intensivste Farbabstufungen in allen Nuancen, von purpurrot zu blaßblau. Ebenfalls hoch ragte der Brocken auf, als eine fette schwarze Pyramide am Horizont mit den scharf umrissenen Konturen der Bauten oben drauf. Wenn der jetzt, aus der Ferne, so klar schon da rumsteht, wird das bestimmt ‘ne gute Transparenz geben. Leider war es schon zu dunkel, um noch Schnappschüsse unterwegs zu machen. Und dabei hatte ich doch am Vormittag extra noch die Frontscheibe von den Fliegenresten befreit… Als ich an meinem Plätzchen ankam, war das Thermometer auf 9°C gefallen – geringfügig kühler als in den Nächten bisher. 21:15 zeigte die Uhr und entsprechend finster war die Welt ringsum bereits.



Ich stieg aus dem Wagen, und das erste, was ich in der Stille hörte, war wieder dieses ferne Geblöke. A Hiersch. Jetzt, im Spätsommer, legen die richtig los mit ihrer Brunft. Es klang, als hätte jemand ganz doll Bauchschmerzen und stöhnt vor lauter Aua verzweifelt vor sich hin. Ich war fasziniert und eingeschüchtert zugleich, obwohl es dafür keinerlei Anlass gab. Aber so ein brünftiger großer Hirsch, der mit seinem Geweih den starken Max markiert – vor dem kann man schonmal Respekt haben. Ich fand es echt crazy und irreal, die Tiere rufen zu hören – völlig neue Welt für mich. Wahrscheinlich stehen die oben auf der Wolfswarte bzw. dem Bruchberg rum. Das ist die Anhöhe, die sich direkt nördlich von meinem Beobachtungsplatz anschließt, also quasi „hinterm Wald“. Und in ausreichender Entfernung, aber bei meiner Schreckhaftigkeit will ich nicht wissen, wie ich reagiere, wenn sich da plötzlich mal einer nebenan ins Wäldchen verirrt und losbrüllt. Und wenn die noch anfangen, sich zu keilen, bin ich aber weg da.

Der zeitliche Verzug wurde mit angemessen schnellem Aufbau kompensiert. Vor lauter Schreck vergaß ich beinah, Fotos zu schießen. Ich machte mir auch keine Hoffnungen, diese Nacht wieder bequem in kurzen Hosen und T-Shirt bleiben zu können; stattdessen wurden die warmen Sachen bemüht, inkl. Handschuhe für die empfindlichen Pfötchen. Sicher ist sicher. Es war zum Glück vollkommen windstill, doch der Blick mit dem freien Auge zu den hellen Sternen verhieß zunächst schlechtes Seeing. Die letzten Minuten der Restdämmerung verbrachte ich im Auto sitzend, ordnete meine unübersichtliche Zettelwirtschaft, blätterte im Atlas und lauschte dem faszinierenden Hirschgejammer.

Durch Normans neustem Bericht angeregt hatte ich NGC 6504 auf dem Zettel, an der Grenze zwischen Herkules und Leier. Eine auffällige Galaxie – auffällig länglich. Sie lag in O-W-Richtung und besaß ein helles, rundes, „bauschiges“ Zentralgebiet, von dem aus die Enden sehr spitz und dünn nach außen ausliefen. Wie mit dem Lineal gezogen.

Ich lief lauten Schrittes einmal um das Auto herum und hörte Geräusche aus Richtung des Hotels. Alarmbereitschaft. Bis ich realisierte, dass es das hallende Echo meines eigenen Getrampels war, und ich musste grinsen. Jeder macht sich seine Sorgen selber. Die Bedingungen waren augenscheinlich schlechter als in den Sessions zuvor. Eingangs der Nacht lag die Grenzgröße nicht höher als 6,6 mag und St. Andreasberg leuchtete etwas kräftiger als gewohnt. Lag Feuchte in der Luft?

 

Die Hirsche legten eine Pause ein, und ich machte mal wieder einen Auffrischungskurs zum Thema „Finde den Kepheus!“ Keine Ahnung, warum, aber ich kann es mir einfach nicht merken, wie dieses dämliche, nikolaushausartige Fünfeck ausgerichtet ist. Jedes verdammte Mal stehe ich verwirrt mit dem Karkoschka in der Hand und suche das Muster. Es ist ein Elend. Okay, irgendwann war Kepheus erfolgreich identifiziert und sogar das gewünschte Objekt eingestellt: NGC 7139, ein hübscher PN, der gut auf den [OIII]-Filter reagiert. Er zeigte sich als runder Nebel mit überraschend verwaschenen Konturen, war nach N und S nicht sehr markant abgegrenzt. Kein Zentralstern, doch dafür befand sich direkt südöstlich ein Feldstern in allerbester Randlage; ohne Filter blinkten zudem noch zwei weitere Sternchen innerhalb der Scheibe heraus. Das Innere des PN war dunkel und eingebaut von zwei helleren Schalen in der Ost- und Westhälfte, die an ihren Rändern jeweils kräftiger gezeichnet waren. Tolles Objekt!

Der Himmel war „plötzlich“ besser geworden und deutlich dunkler als noch eine halbe Stunde zuvor. Wurde irgendwo das Licht abgedreht, oder was ist hier los? Die Glocke von Andreasberg schien tatsächlich flacher zu sein und war wieder größtenteils von der Waldkante verschluckt. Hoch oben zerschnitt die helle, breite Milchstraße den Himmel wie eine Autobahn die Landschaft. Ha, jetzt burnts wieder! Auch das Seeing wurde wesentlich gnädiger.

Ich gönnte mir mal wieder den Luxus, mit einem DSS-Ausdruck aufs Feld zu ziehen. Ach nein, halt, es waren sogar zwei! Die waren auch nötig bei dem, was ich vorhatte. Ein aktuell diskutiertes Objekt ist der kürzlich entdeckte Kugelsternhaufen Laevens 3 im Delfin. Der Tenor der Amis macht durchaus Hoffnung, dass man sich mit Öffnungen ab 16“ daran mal versuchen könnte. Da das Objekt nicht in Ronalds Atlas drin ist (SKANDAL!!!!1!11), musste ich die Koordinaten erstmal eintragen und dann den Ausdruck zuordnen. Die Gegend war recht leicht auszumachen und der Abgleich ging problemlos. Aber allein schon das Finden dieser markanten dreieckigen Sternkette, die den KS umschloss, gestaltete sich als unerwartet schwer. Auf dem DSS sieht das alles wieder so hell aus, Menno. Naja, irgendwann war das Muster identifiziert und nun hielt ich Ausschau nach irgendwas Nebulösem... Resultat nach langer Beobachtung: An betreffender Stelle blitzten immer nur sehr kurz, aber wiederholt zwei nahezu stellare, verwaschene Klumpen heraus, die von einem diffusen Hauch eingehüllt waren. Sehr grenzwertig, extrem schwach, ein übles Ding. Aber sicher. Ich musste kurz Luftholen, ging ein paar Schritte umher und machte mich dann an die Skizze, während derer sich der Eindruck manifestierte.

Seltsam ist nur, dass Beobachter mit größeren Öffnungen überwiegend von einem einfachen „Glow“ berichten, ohne Auflösung in Einzelsterne. Okay, die habe ich auch nicht gesehen, aber eben diese beiden Klumpen. Die waren dermaßen unmissverständlich (wenn sie mal herausblinkten), dass es mich wundert, dass davon bislang nirgendwo die Rede war.


Keine Ahnung, wie lange ich mit dem Käse zugebracht hatte; als ich wieder aufblickte, waren die Lichter an der Kreuzung jedenfalls aus. Mitternacht ist also durch. Die ganze Nation wusste nun, wie Homer Simpsons neue Stimme klang, nur Fräulein Ebeling nicht. Ich pilgerte für einen Erholungsmoment zur Kamera, die hinter dem Kofferraum stand. Hier war die Akustik anders als direkt neben dem Wagen, der nach Westen hin sowohl eine optische, als auch klangliche Barriere darstellte. Von dort hörte ich nun lautes Rascheln und Kramen, das vom Müllcontainer kam. Alarm. Mit der Lampe leuchtete ich in die Richtung, und weil ich nichts erkennen konnte, schritt ich mutig und mit lautem, aggressiven Gestapfe los. Was auch immer da abging, es soll bitte aufhören. Plötzlich guckten mich zwei erschrockene, weiß-gelbe Augen vom Containerdeckel an, die sogar in Deckung zu gehen schienen, aber das Geraschel dauerte an. Ich stürmte weiter tollkühn und kämpferisch auf den Müll zu. Jetzt oder nie. Ich stelle mich meinem Schicksal. Aug in Aug mit dem Feind. Dem Subjekt wurde meine Performance langsam wohl zu gruselig – die leuchtenden Pünktchen verschwanden plötzlich und ein dunkler Schatten huschte aus dem Lichtkegel. Ein Waschbär! Na. Okay, geht in Ordnung. Nun weiß ich Bescheid, wir kennen uns. Waschbär im Müllcontainer, ois kla.

Der Schwenk in den Delfin war nur eine Unterbrechung von meiner Kepheus-Kampagne, denn da hatte ich noch ein paar Sachen vorgemerkt. Wieder suchte ich mir einen Ast, bis endlich NGC 7129 im Okular auftauchte. So ein dämliches Sternbild. Lost in Kepheus. Aber das Objekt fetzte – coole Landschaft! Die Sterne im Vordergrund – das soll ein Haufen sein? – waren sehr markant und hell und umgeben von einer Nebelhülle. Diese dröselte sich bei höherer Vergrößerung auf und machte einen „knäueligen“ Eindruck. Um zwei der Sterne legte sich jeweils ein Knäuel, die beide durch einen dunklen Eingriff voneinander getrennt  waren. Nördlich davon gab es zwei weitere, auffällige Klumpen. Das ganze Gebilde war von einer Nebelhülle… ähh… eingehüllt. Nach längerem Sehen schälten sich nördlich und östlich zwei weitere schwache Flecken heraus, die sich hofartig um jeweils einen Stern legten. Übrigens: Der benachbarte Sternhaufen NGC 7142 ist auch einen Blick wert, wenn man schon mal da in der Gegend ist!

Die Hirsche legten nochmal kurz los und ich kämpfte mich zu My Cephei, Herschels Granatstern, durch. Okay, das war nun keine allzu große Kunst. Dort in der Nähe wartete der Nebel GM 3-13 auf meinen hohen Besuch. Ich sah eine recht schwache Aufhellung ohne klare Kontur. Mir schien er ein wenig länglich, wobei der hellste Part nicht zentral stand. Nicht übermäßig spannend, das Ding.


Es raschelte und knisterte. Der tierische Kollege war wieder da und wühlte eifrig und hochengagiert in der überquellenden Mülltonne. Klar, logo, ich hatte ihn vorhin ja so unelegant unterbrochen. Tüten wurden zerrupft, Pappkartons auseinandergenommen und irgendwelche Glasscherben fielen rieselnd auf den Boden. Kratzende Krallen an der Innenwand. Notiz auf dem Zettel: „Blöder Waschbär“. Mir war das ein bisschen unheimlich, aber ich ließ ihn machen, solange er nicht in meine Richtung läuft. Hier ist mein Claim, da drüber ist seiner. Aber was genau er in dem Container derart anziehend fand, dass er den Inhalt so leidenschaftlich durchwühlte und auseinandernahm, wollte ich nicht wissen. Ich musste wieder an den Typen denken, der letzte Woche diesen riesigen Müllsack entsorgt hat, mit welchem fragwürdigen Inhalt auch immer.


Eine Auftragsarbeit musste noch erledigt werden, die der Herr Görlitz mir auferlegt hatte, und ich wusste, ohne die Gruppe um NGC 70 brauche ich erst gar nicht nach Hause fahren. Also schwenkte ich zu Alpha And, in dessen Nähe die Typen rumhingen. Der Komplex war schon in der Übersicht erkennbar und in dieser Vergrößerung fast am reizvollsten. Die Einzelgalaxien ließen sich dabei kaum voneinander separieren, doch bildeten sie dadurch einen riesigen, schwachen Objektteppich, der durch Sternchen und Kerne granuliert wirkte. Cool! Das Auseinanderklamüsern der einzelnen Galaxien bei höherer Vergrößerung war dann sogar überraschend anspruchsvoll. Auf Normans Zeichnung sah das so leicht aus.

Ich verbrachte eine lange Zeit mit dem Knäuel, bis es zu meiner (und hoffentlich Normans) Zufriedenheit aufs Papier gebannt war. Es war fast 02:00 Uhr. Schon seit einer halben Ewigkeit ist kein Auto mehr vorbeigefahren und außer den Okular-Geräuschen war es totenstill. Ohne auch nur eine schwache Windbrise hörte sich die Luft beinahe schon dumpf an. So langsam wurde ich echt müde und auch wenn noch bis 05:00 Uhr nutzbare Dunkelheit vor mir läge – nicht mehr lang, dann ist Sense. Sonst finde ich den Heimweg nicht mehr. Außerdem muss ich früh raus.


Also gut, ein Objekt darf es noch sein. Auf der Andromeda-Karte wies ein Pfeil auf NGC 108. Eine interessante Galaxie, deren Charakter erst im Laufe der Zeit wirklich schön und einprägsam rauskam. Insgesamt kreisförmig und mit recht klaren Abgrenzungen. Mittig setzte sich ein Balken ab, in dessen Mitte wiederum ein helles, rundliches Zentralgebiet steckte.

Rausschmeißenderweise schaute ich mir noch den Haufen NGC 7686 in der Cassiopeia an und anschließend auf die Uhr: Halb 3. Zeit zum sich-Verkrümeln. Ich baute mein Zeug ab und schob alles in den Wagen hinein. Schon länger war ich etwas am Zittern, machte aber waschbärbedingte Nervosität dafür verantwortlich, oder irgendwie sowas. Mit Blick auf die Temperatur (7°C) und auf meine doch recht dünnen Klamotten erklärte sich dieses Phänomen aber schnell. Mir war einfach nur kalt – wer hätte das gedacht.


Also rollerte ich nach getaner Arbeit wieder die menschenleeren Straßen entlang. Aber diverses Wild an Waldrand und Bankett erinnerten daran, dass man, mitten im Nationalpark, doch nicht so ganz allein ist. Die beiden Sender von Torfhaus waren allgegenwärtig; irgendwo blitzten die roten Lampen immer mal durch die Bäume hindurch. Das Örtchen selber war dann wieder herzallerliebst illuminiert, für wen auch immer. Keine Sekunde zu früh reiste ich ab, denn ich war verdammt müde und musste am Steuer kämpfen, insbesondere, als es wieder auf die schnurgerade B6n ging, die an Langeweile kaum zu überbieten war. Zudem lullte mich die Wärme ein. Als ich in BBG eintraf, war dann das einzige, das rot durch die Bäume blitzte, die Leuchten des hässlichen Zementwerkes. Welcome home.

 


El Berichto von AKE

Bernburg, 01.09.2016

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