20./21.07.2009 - Nächtliche Hüttngaudi

Die erste Beobachtungsnacht in diesem Alpenjahr sollte auf der Lenzenalm stattfinden. Dies ist eher der Komfort-Not-Standort, wenn wir nicht auf den Gletscher hochfahren wollen. Wir kannten den Wirt gut, der mittlerweile jedoch in Ruhestand gegangen ist, und so durften wir nachts ungestört unsere Geräte aufstellen, hatten Zugang in die warme Stube und bekamen während der Dämmerung sogar noch Abendbrot serviert.

Und so begab es sich also, dass das mitteldeutsche Beobachterheer 19:15 Uhr die Alm erreichte und auf dem Sonnendeck platznahm. Es wurde königlich getafelt und dabei die Aussicht auf die letzten leuchtenden Lichterflecken an den Bergspitzen genossen. Es war mal wieder sehr lustig. Gegen die Mückenplage, die sich über unser gutes Blut hermachen wollte, wurde abgelaufenes, dünnflüssiges Anti-Insektenmittel (Zanzarin) hervorgezaubert, das der kompletten Weide über Stunden ein unerträgliches Duftaroma verlieh. Es stank wie die Pest, aber es langte für diverse Lachanfälle und schien sogar die Mücken abgeschreckt zu haben.

Die Wettersituation war noch gar nicht eindeutig; es zogen viele Wolken über den Himmel, doch so manche Lücke weckte trotzdem die Hoffnung auf Beobachtung. Im Laufe der Zeit, während die Dämmerung voranschritt und das Ötztal langsam in Ruhe verfiel, erwachten 6 muntere Hobbyastronomen zum Leben und verteilten sich mit verschiedensten Gerätschaften überall auf dem Almgelände. Ich präferierte den Platz im Kraftfeld zwischen dem Holzschuppen, dem Spielplatz und dem Klohaus. Ganz in der Nähe standen Martin und Robert, denen ich gern zuhörte, denn mit diesem Duo wurde es nicht langweilig. Auf dem Geländer des Holzschuppens machte ich indes Bilder von Hochgurgl, das in Südrichtung unten im Tal schlummerte.

Ich freute mich auf die Nacht und sog mit der frischen, kühlen Luft ebenfalls die abendliche Stimmung ein. Hinter dem Spielplatz bemerkten wir ein eigenartiges Leuchten und schlichen und stolperten durchs hohe Gras. Der faszinierende Fund war ein Käfer mit drei matt leuchtenden Streifen auf dem Panzer. Gegen 22:00 Uhr begann ich mit den Aufzeichnungen und widmete mich einigen südlichen Objekten. Das Seeing eher suboptimal, aber die Durchsicht in den Wolkenlücken schien richtig gut zu sein. Von meinem Standort aus hatte ich keinen idealen Südblick, weil die Almhütte im Weg war, aber es langte für meine Zwecke.

NGC 6356 war im 32er zusammen mit dem großen M 9 im Gesichtsfeld einfach als Nebelball mit hellem Zentrum sichtbar. Höhere Vergrößerungen zeigten ihn körnig („angelöst“) und der Kern schien mir nicht genau im Zentrum sitzend, aber weitere Details ließen sich wegen hereinziehender Wolken nicht ausmachen.


Daraufhin schwenkte ich meine 10-Zoll-China-Tonne in komplett andere Gefilde um und nahm M 51 aufs Korn, die bereits im Sucher zu sehen war. Diesen Umstand notierte ich im Beobachtungsbuch mit gleich drei Ausrufezeichen. Bei 39x sehr knallig und die Spiralarme auf Anhieb sichtbar. Im 20er und 15er begeisterte mich der Detailreichtum. Die Arme völlig problemlos; derjenige, der sich wegwindet, ging über das Galaxienende hinaus. Einige Lichtknoten, Vordergrundsterne und dunklere Strukturen. Ein Übergang zwischen beiden Galaxien bestand nicht.


Nach dem Alibi-Besuch von M 57 war NGC 6642 das nächste Ziel. Kugelsternhaufen mag ich eigentlich am allerwenigsten, aber wenn sie auf der Liste stehen, ja mei… Zunächst nur ein heller, auffälliger Nebelball und nicht aufzulösen. Bei 83-facher Vergrößerung erschien mir der Kern sehr konzentriert; es wirkte, als würden von ihm 4 „Arme“ abstehen, was dem Objekt ein kastenförmiges Aussehen verlieh. Es war nicht aufzulösen und blieb grieselig.

Nun war auch schon Mitternacht und ich hielt inne, um die Stimmung zu analysieren. Ach, herrlich! Ich musste viel über meine Mitbeobachter lachen, die die witzigsten Diskussionen führten, Wortgefechte ausstritten und panisch ihre Schrauben im Gras suchten. Mir standen Tränen in den Augen und ich kugelte mich lachend im Gras umher – Robert wunderte sich, was ich da unten am Boden machte. Im Süden war es wolkenlos und die Milchstraße trat, trotz des leuchtenden Obergurgls, kontrastreich und kräftig hervor. Ich war mal wieder erstaunt, wie breit die Zentralregion im Schützen eigentlich war. Wunderschön! Der Lagunennebel war als helles, kompaktes Wölkchen problemlos zu sehen und erinnerte mich an meine allererste Alpennacht (2006) an eben diesem Ort. Mir kam es damals beinahe irreal vor, diesen Komplex tatsächlich mit bloßem Auge sehen zu können. Als ein mitreisender Sternfreund mich darauf aufmerksam machte, wollte ich es zunächst kaum glauben und prüfte mehrfach die Stelle im Karkoschka nach. Was?? DER Lagunennebel, so einfach, so klar! Da war er, wie auf dem Präsentierteller! In heimischen Gegenden völlig undenkbar; da war ich schon glücklich, wenn sich die groben Hauptsterne des Schützen durch die Straßenlaternen kämpfen konnten. Und hier, in den Bergen auf knapp 2.000 m über Meereshöhe, wird man von der Leuchtkraft der vielen Wasserstoffregionen regelrecht erschlagen. Nicht zu vergessen die Strukturierung durch die zahlreichen Dunkelzonen; feine schwarze Äderchen und große zerfaserte Schläuche, die sich wie Wurzeln in der Milchstraße verzweigen. So überwältigend, ich kann es kaum beschreiben. – Einziger Wehrmutstropfen war die feuchte Luft; mein Papierkram war klamm und beim Knien am Teleskop bekam ich nasse Beinchen.


NGC 6583 beschrieb ich mit den hochphilosophischen Worten „an sich gut zu erkennen, aber sehr unauffällig.“ Aha. Ein länglicher Nebelbatzen mit einigen wenigen hervorblitzenden Sternen. Der Kugelhaufen war ansatzweise aufgelöst, aber „eben nicht so ganz“ und unruhig wirkend. Bei 139x schätzte ich die Anzahl der sichtbaren Einzelsterne auf „bestimmt über 15“.


Next one war NGC 6544, der in prominenter Nachbarschaft zu M8 stand. Er war einfach zu sehen und befand sich am Rande einer kleinen Sterngruppe. Ein Hauch länglich, nicht aufzulösen, „aber der Anblick ist super“. Na immerhin! Erst bei 139x zerfielen die Randbereiche des dreieckigen Kugelsternhaufens in grobe Klumpen, aber im Zentralbereich war dies nur angedeutet. Mit indirektem Sehen blinkte es überall.


Begeistert war ich von NGC 6645, einem sehr auffälligen und großen Offenen Haufen, der schon in der Aufsuchvergrößerung in viiiiele Einzelsterne aufgelöst war. Ich bemühte mich um Beschreibungen, die von „2 Flügel, die von sternleerem Kreis (Loch) abgehen“ über „hat Ähnlichkeit mit Cr 399“ bis hin zu „sieht aus wie Spinne mit 3 Beinen“ reichten. Ich schätzte 50 bis 60 Sterne. Der hellste davon befand sich südlich des erwähnten Loches, von welchem mehrere Ketten abgingen. Ein toller Haufen!


Zur Abwechslung visierte ich anschließend den Jupiter an, der über den Bergketten des Timmelsjochs schwebte. Das Seeing war mies, was sich hier natürlich deutlich zeigte. Wolkenbänder mit zarten dunklen Flecken und dazu zwei Monde.


Als eine lose und fast zufällig anmutende Ansammlung präsentierte sich NGC 6885. Er gruppierte sich um einen hellen Stern herum. Rund, aufgelöst, in kurze, abstehende Ketten gegliedert und aus ca. 30 Mitgliedern bestehend. Ich fand ihn langweilig.


Das nächste Etappenziel auf dem Weg zur Vollendung der Herschel-400-Geschichte war NGC 6802, der gleich neben dem Kleiderbügelhaufen schwebte und als problemloser, heller Nebel daherkam. Im 20er zeigte er sich länglich und aufgelöst in einige schwache Sterne nahezu gleicher Helligkeiten. Bei 83x notierte ich: „aufgelöst, aber gerade so, scheint sternreich zu sein.


Nun ja, je später es wurde, desto unkonzentrierter wurde ich. Die meiste Zeit schwieg ich und lauschte den Unterhaltungen, aber auch Martin und Robert wurden immer bedächtiger. Ich durchkämmte die Wirtsstube nach einem Mülleimer, um meine Bananenschale zu entsorgen und huschte dazu wagemutig in die Küche. Ich hatte Angst, irgendwo den schlafenden Wirt anzutreffen, der dann vielleicht böse wird, aber der war wohl schon lange nicht mehr auf dem Gelände.


Wieder zurück am Fernrohr gab es ein kurzes Intermezzo mit dem riesigen NGC 6633, bevor es dann mit NGC 6664 weiterging. Einfach zu finden, der Bursche! Ein auffälliger, aufgelöster Offener Haufen, der mich an eine Krabbe mit zwei langen erhobenen Scheren erinnerte. Spinnen, Krabben, Mücken, Käfer mit leuchtenden Streifen – Astrofaunistik pur! Im 20er präsentierte sich NGC 6664 als ein reicher Haufen mit 30 bis 40 Mitgliedern. Vor allem zwischen den „Scheren“ tummelten sich besonders viele schwache Sterne. Der Anblick im 15er ließ mich noch einmal meine Meinung ändern: „sieht aus wie eine dieser langen Glühbirnen.“ Was ich damals unter „diesen langen Glühbirnen“ verstand, kann ich heute jedoch nicht mehr nachvollziehen.


Der bekannte Nachbar vom noch bekannteren M 11 hört auf den Namen NGC 6712. Ein einfacher Kugelhaufen mitten im Sterngewimmel der Schildwolke, toll! Er schien bei 63x rund-oval, leicht grieselig und nicht sonderlich komprimiert; eher locker. Am Rand waren Einzelsterne zu erkennen und bei indirektem Sehen lösten sich viele weitere aus dem Zentrum heraus.


Für das nächste Ziel, dem Offenen Haufen NGC 7044, hatte ich schon langsam Probleme bei der adäquaten Beschreibung. Ein auffälliges, unaufgelöstes Objekt, das mich eher an einen Gasnebel erinnerte. Länglich. Bei höherer Vergrößerung körnig wirkend, aber niemals vollständig.


Unsere dicke Nachbarin und ihre „Fiffies“, M 31, 32 und 110, hatte ich mir als Schlussobjekte auserkoren. „RIESIG!“, notierte ich begeistert. Die enorme Ausdehnung war kein Vergleich zum Anblick von Schönebeck aus und besonders das Staubband im westlichen Teil der Galaxie sprang mir ins Auge. Aber dennoch eher ein langweiliges, fades Objekt im Teleskop.


Es war nun gegen halb 3. Die Müdigkeit der sonst so munteren Astronomen lag deutlich in der Luft und es herrschte ziemliche Ruhe. Andacht auf der Alm. Die Bewölkung nahm zu und man sinnierte über das Abbauen. Uwes Batterie war schon leer und während ich mein Zeug zusammenkramte, machte er sich über die Taschenlampe in meinem Mund lustig („Hältst du noch oder leuchtest du schon?“). Ich suchte die Tasche für meine gute Sony-Kamera und fand sie auf unserem Tisch auf der Terrasse. Dort steckte außerdem noch das Zanzarin-Tütchen in einer Holzrille, was mich noch einmal zu einem finalen, müden Lachanfall bewegte. Während wir dann an den Autos auf die Abfahrt warteten und ich mich vor der bedrohlichen Sense gruselte, die am Klohaus anlehnte, gab uns Uwe, der nach dem Kontrollgang die Hütte abschließen sollte, den Zanzarin-Müll zurück mit der Bemerkung, dass dies wie „Ozelot-Puder“ roch. Was auch immer Ozelot-Puder sein mag.


Es war etwa 03:15, als wir dann nach Zwieselstein zurückfuhren.

 



Ein Beobachtungsbericht von AKE

Magdeburg, 16.01.2013

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