03.01.2014 - Neues Jahr, neues Glück

Über den bisherigen Winter kann ich mich wirklich nicht beschweren. Es ist mild, es liegt kein Schnee, es gab oft Sonnenschein… Na gut, viel Wind und Regen waren auch dabei, aber was solls. Bevor am Freitagmorgen das nächste Tiefdruckgebiet „Anne“ neue nasse Luft herbeiwirbeln will, sollte es in der Nacht klaren Himmel geben. Da ich letzthin ein wenig schreibfaul war, ist dies die beste Gelegenheit, das neue Astro-Jahr einzuläuten, das sich hoffentlich als ähnlich ergiebig herausstellt wie 2013, denn auch über diese Jahresausbeute kann ich mich absolut nicht beschweren.


Aber zunächst musste am Abend das Regen- und Wolkenband abziehen, das den ganzen Tag über getobt hatte. Wir orientierten unsere Planung an den Wetterprognosen, die erst für die zweite Nachthälfte grünes Licht gaben, und als ich 23:00 Uhr in Magdeburg startete, zeigten sich schon erste Sternchen hinter schnell ziehenden Wolkenfetzen. Ein paar Minuten später, in Schönebeck, hatte sich die Decke gänzlich aufgelöst, um sich dann, auf dem Weg zum Beobachtungsplatz, wieder neu zu bilden. Aber wir waren optimistisch wie immer.


Pünktlich gegen Mitternacht parkten wir auf dem Grünstreifen und sahen uns um. „Herrlich, die frische Luft!“ Was hatte sich in der Zwischenzeit getan? – Man hatte das Maisfeld entfernt, sodass die blöden grellen Laternen vom Hobecker Kastanienweg wieder voll auf uns hinabstrahlten. Sehr ungünstig, aber wir haben schon eine Alternative in der Hinterhand. Der ergiebige Regen hatte die Wege stark eingeweicht, eine weitläufige Pfützenlandschaft entstehen lassen und auf dem Acker sah man eine große, reflektierende Wasserlache. Die Bäume unseres „Tores“ waren komplett kahl und wirkten dadurch richtig winzig. Da es nach Mitternacht war, standen die Wintersternbilder bereits im Südwesten, versteckten sich aber erstmal hinter den dynamischen Wolken. Es ging ein leichter Südwestwind, teilweise böig auffrischend, und trotz passabler Temperaturen von 5°C war ein dickeres Einkleiden rasch vonnöten.

Nur drei Minuten nach unserer Ankunft tauchte auch das Auto von Martin auf, der sich zunächst noch etwas skeptisch hinsichtlich der Wetterlage äußerte. Uwe dagegen war wieder der personifizierte Optimismus: „Der Polarstern ist zu sehen, man kann also schon was machen. Und da unten wird’s schön, der Skorpion ist schon zu sehen, guck doch mal.“ – „Was?!“ – „… Ach Quatsch, der Hase!“ Für mich gab es ein „first flash“, da man mir zu Weihnachten eine Stirnlampe geschenkt hatte, die natürlich gleich ausprobiert werden musste. Binnen Sekunden mutierte ich vom Höhlenmenschen zum Technikfreak, vom Taschenlampe-im-Mund-Vollsabberer-und-währenddessen-nicht-gescheit-reden-Könner zur würdevollen, artikulierungsfähigen Astrodame von Welt, die alles im Blick hat. Ich freute mich und lachte diebisch. Während des Aufbaus merkte ich im Oberkörper noch immer die Nachwirkungen eines kleinen Unfalls (Rippen geprellt), doch dies war zum Glück unproblematisch. Schwieriger gestaltete sich der Kampf mit den störrischen Schnellspannern am Hutring; da steht dringend eine Ausbesserung an.


Mittlerweile hatten sich die Wolken artig verkrümelt und hinterließen einen blankgeputzten Sternenhimmel. Mit Sirius und Jupiter waren gleich zwei gleißende Glanzstücke vertreten und die Wintermilchstraße war gut zu verfolgen, wie sie die hohen Areale von Cas und Per verließ und gen Süden am Orion vorbeilief, um dann im Großen Hund einzutauchen. Nicht schlecht. Das Seeing war ebenso ganz brauchbar; auch in geringer Höhe hielt sich die Szintillation in Grenzen. Außer ein paar schnatternden Enten und Gänsen, die irgendwo fern umherzogen, war die Gegend angenehm ruhig.


Trotz der guten Durchsicht war meine Objektwahl reichlich dämlich. Im nordöstlichen Teil des Hasen hatte ich mir den Offenen Sternhaufen O’Neal 5 ausgewählt. Ein großes und sehr unscheinbares Objekt, das auch noch stark unter dem lokalen Motorhauben-Seeing litt – der Dobson peilte gerade so über die warme Wagenschnauze. In der Übersicht zeigten sich nur wenig helle, aber dafür umso dominantere Sterne; erst bei höherer Vergrößerung zeigte sich der eigentliche Reichtum dieses Haufens, der sich in über 40 Einzelmitglieder auflöste. In der Gesamtform länglich. Ein markantes Dreieck zeigte in Ostrichtung, um welches sich viele schwächere Mitglieder gruppierten. Das Westende bildete ein einsamer heller Stern, sodass sich als Hauptmuster eine langgezogene Raute ergab.


Nur ein Stück weiter nördlich befindet sich Alessi 64, der sich auch als eher langweilig zeigte. Ich sah einen unauffälligen, langgezogenen, krummen Ring aus 13-15 nahezu gleichhellen Sternen, der innen leer war und wie eine zufällige Gruppe wirkte.

Bevor ich das nächste Objekt aufsuchte, diskutierten Uwe und Martin über die mögliche Position des Gegenscheins, woran ich mich beteiligte. Wir vermuteten, dass er irgendwo direkt südwestlich bei M 44 steht, aber Martins spätere Recherche lokalisierte ihn genau dort, wo sich Jupiter befand. Macht ja auch irgendwo Sinn, wenn sich der Gasriese gerade in Opposition befindet. Aber wie soll man das als Nicht-Planetenbeobachter auch wissen??! Ha, wenn das mal keine Entschuldigung ist.

Um mehr von der Motorhaube wegzukommen, suchte ich mir das nächste Ziel weiter im Osten aus. Im südlichen Einhorn, nahe der Grenze zu CMa, ist der Haufen Harrington 5 zu finden. Toll! Eine nette Überraschung bereits in der Übersicht. Es zeigte sich ein auffälliges, gekrümmtes Dreieck aus sieben markanten Sternen, und ein heller Feldstern im Osten, der in intensivem Orange leuchtete, stellte einen weiteren Eyecatcher dar. Harrington 5 schaute aus wie ein kleines Weihnachtsbäumchen, dessen Spitze in den Norden zeigte. Die restlichen Mitglieder waren schwach und verblassten neben diesem hübschen Muster.

Es war bereits 01:30 Uhr und ich hörte Uwe am Auto klappern. „Wenn du jetzt zufällig eine Kaffeerunde ausgeben willst, wär ich dabei.“ Gesagt, getan, und so fanden wir uns zu dritt am Kofferraum zusammen. Das Heißgetränk tat wahrlich gut, und auch meine Mitbeobachter, die schon mehrfach über kalte Hände klagten, konnten sich wärmen, und plünderten eine Tüte Lebkuchen. Ja, ist denn schon wieder Weihnachten?! Wir besprachen das aktuelle Geschehen und die Kometen, die ihre Bahnen zogen. Das SQM-L, das kurz darauf gen UMi zielte, gab einen Wert von 21,32 aus, was für die Güte und entsprechende Transparenz sprach; die Grenzgröße schätzte ich auf 6,3 mag.


Die Region von eben war schnell wieder eingestellt, und ein kleiner Schwenk in Ostrichtung brachte das Objekt „Lor 15“ ins Okular. Ich weiß nicht, wofür diese Abkürzung steht; tippe auf „Lorenzin“, kann dies aber nicht verifizieren. Im is-Atlas jedenfalls trägt es auch den Eigennamen „Pakan’s 4“. Komisch, dachte ich, das sieht eher aus wie eine 3. Spätere Recherche in den unendlichen Weiten des Internets gibt auch den Namen „Pakan’s 3“ aus – uhh, ich habe einen Fehler gefunden! Wie dem auch sei. Es handelte sich um einen großen Asterismus, der bei 56x am besten zur Geltung kam. Am besten charakterisiert man den Haufen wirklich, wenn man ihn als laaaange, riesige, „3“-förmige Sternkette tituliert. Während der Beobachtung versuchte ich, doch noch irgendwie eine 4 zu erkennen, aber da war nichts zu machen.

Langsam kroch die nasse Kälte durch die Klamotten; ich zog mir die Daunenjacke über und lief den Feldweg rauf und runter. Zum Glück ließen sich die Pfützen gut erkennen, da sie den – im Vergleich zum Fußboden helleren – Himmel reflektierten. Uwe klagte über sein beschlagenes Kameraobjektiv und nutzte öfters den Fön, um es wieder vom Tau zu erlösen. Martin sprach über sein künftiges neues Equipment.



Um wieder der Motorhauben-Falle zu entkommen, schlug ich eine Karte in den Zwillingen auf. 2,5° nördlich von Kastor steht Str 3. Leider weiß ich mal wieder nicht, wofür diese kryptische Abkürzung steht. Schade, dass es keine Katalogliste im Atlas gibt! Das Häuflein war überraschend gut machbar, wenn auch schwach. Es zeigte sich eine nur zarte Verdichtung einiger Sternchen östlich eines hellen Feldsterns. Bei 200x zerfiel sie in einen eckigen Ring aus sechs Mitgliedern – „nix Dolles“.

In der Nähe von dem PN NGC 2371/2 ist ein weiterer Asterismus, Str 2. „Auch nicht so der Bringer.“ Ein kleines, unscheinbares und nur leicht verdichtetes Grüppchen in Form eines gleichschenkligen Dreiecks. Von Südosten ragte eine schräge Sternkette hinein, und es war aufgelöst in 12 oder 13 Mitglieder.

Es war mittlerweile gegen 03:30 Uhr und ich lieh mir von Uwe eine Kometenkarte, da ich mich an C/2013 V3 Nevski versuchen wollte. Das eine Problem war, dass diese Karte auf seinen Deltagraphen zugeschnitten, und somit horizontal gespiegelt war, und zudem war dort ein heller Feldstern verzeichnet, den ich partout nicht sah. Erst später, mit Biegen und Brechen, erschien an dieser Stelle ein fades Lichtlein, aber keineswegs in der Intensität, die die Karte suggerierte. Im Nachhinein stelle ich fest, dass es sich wohl um eine fast stellare Galaxie handelte. Davon mal ganz abgesehen war der Schweifstern derart diffus und schwach, dass ich ihn nicht sicher sehen konnte. Ich glaubte, zwischen den Feldsternen ein „Irgendwas“ zu erkennen, doch dies muss Einbildung gewesen sein. Selbst die nebenstehende Galaxie PGC 33854 zeigte sich auf Uwes Aufnahmen heller, aber auch diese blieb mir verborgen. Blödes Mistding.


In der Zwischenzeit hatte sich die Nässe überall niedergelegt und die Luft kühlte auf 2°C ab. Die Autoscheiben waren beschlagen, der Sucher schon seit geraumer Zeit undurchsichtig und nebenan ertönte alle paar Minuten das vertraute laute Surren des Föns. Ich selber ließ die Lusche raushängen: Keine Lust mehr, müde, kalt. Während Uwe sich Lovejoy zuwandte, der mittlerweile über den Baumwipfeln aufgegangen war, zog ich mich in die Fahrerkabine zurück, mummelte mich in meine Decke ein und döste vor mich hin; stieg dann und wann aber aus, um die Disziplin der Fotografen zu überprüfen. Da lief alles wie am Schnürchen. Am Westhorizont tauchten ein paar Wolkenschleierchen auf, die schnell vorbeizogen und wieder verschwanden, doch wir waren uns einig, dass der Himmel klar nachgelassen hatte. Im Nordosten schwebten Vega und Deneb über den Ausläufern des Dorfes, und der schöne Mars brachte die ganze vertraute Formation der Virgo aus der Fassung.


Ich wandelte umher, döste, quatschte und wartete geduldig auf Uwes Aufbruchsignal. Er beendete seine Lovejoy-Aufnahmeserie und baute dann seine Ausrüstung ab, während ich mich um klare Sicht durch die Autoscheiben bemühte. Ein winziger Hauch des Zodiakallichtes hatte sich im Osten angedeutet. Hach ja, da kommt der Sommer bald! Abflug nach Schönebeck war 05:45 Uhr, doch es war extreme Vorsicht geboten: Blitzeis über fast die gesamte Heimstrecke reduzierte die Geschwindigkeit auf maximal 50 km/h und ich kämpfte mit dem schlingernden Auto. Hinter Plötzky war sogar ein Wagen im Graben gelandet, doch wir kamen heil wieder an.

 


 

Ein Beobachtungsbericht von AKE

Machdeburch, 03.01.2014

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