22.10.2022 - Alles auf Anfang

Achtung, der nachfolgende Bericht ist absolut ungeschönt und enthält ziemlich viel Trash, Skandale und Kopfschüttel-Momente... Aber da bin ich auch ganz ehrlich, denn manchmal klappts halt einfach nicht!


Über zweieinhalb Jahre nach meinem letzten Einsatz am Teleskop tat sich nun die erste Gelegenheit auf, endlich wieder Sternenlicht einzufangen. Nicht zu fassen. Die Ursache für die lange Pause und alle damit einhergehenden Begleitumstände ließen keinerlei Spielraum für sämtliche Astro-Aktionen, so gerne ich auch das klare Wetter natürlich hin und wieder genutzt hätte. Aber halb so wild, sagte ich mir immer; es kommt alles wieder, wenn die Zeit ran ist... und wenn man will. Meine Motivation war schließlich noch da und inzwischen soweit ausgeprägt, dass selbst Veränderliche bei Vollmond eine gewisse, wenn auch morbide, Anziehungskraft auf mich ausübten.


Und nun war die Zeit tatsächlich ran. Nachmittags bröselten die Wolken größtenteils auseinander und das dahinter verborgene Blau ließ auf gute Bedingungen hoffen. Leider beschränkten sich meine Möglichkeiten nur auf den Garten, mitten im Dorf, und der erste Feldeinsatz muss noch auf sich warten lassen. Aber hey, besser als gar nix, und die absolute Vollkatastrophe war es im Garten nun auch nicht. Meine Vorbereitung war vergleichsweise dürftig; ein paar dorftaugliche Objekte rausgesucht und die Batterie des Rotlichts gewechselt (das geht auch OHNE Zange ganz einfach!!). Das muss fürs erste reichen.


Es war gegen halb 9, als ich endlich draußen war und mein Teleskop aus der Holzhütte zerrte, um es im Schatten der großen Fichte aufzubauen. Es zogen noch Wolken durch, aber dahinter schimmerte die blasse Milchstraße. Das helle Licht von Jupiter im Süden drang selbst durch einzelne Wolkenfetzen hindurch, und ich glaube, Saturn stand etwas weiter westlich und tiefer überm Horizont? Der Super-Gau erwartete mich, als ich meine Handlampe anschalten wollte - ging nicht. Sie spuckte nur schwaches, flackerndes, völlig nutzloses Rotlicht aus. Das Ding hatte schon immer einen Wackler, weswegen ich ein paar Mal beherzt draufkloppte, was die Sache aber nicht besser machte. Keine Chance, der Leuchte brauchbares Licht zu entlocken. Und nu? Ohne Rotlicht beobachten? Geht gar nicht. Aber erstmal wollte ich mich ums Teleskop kümmern, und dann schaun mer ma.


Eigentlich dachte ich, die Handgriffe beim Aufbau des Dobsons saßen immer noch, als wäre nie was gewesen. Das ist wie Fahrradfahren - sowas kann man nicht verlernen. Falsch gedacht: Ich stellte mich an die der erste Mensch. Als hätte ich noch nie ein Teleskopgestänge in der Hand gehabt. Bei dem Versuch, das lichtspendende Smartphone im Mund zu halten, blendete ich mich nur selber und schaffte es partout nicht, die Stangen mit der Spiegelkiste bekannt zu machen. Das war jener kritische Moment, an dem der Blutdruck wieder rasant anstieg und ich anfing zu fluchen, aber ich fand doch noch eine Lösung für das Problem. Weiter ging es dann aber beim Befestigen des Hutes; die Schnellspanner sind schon deutlich abgegnabbelt und sind nur noch störrisch zu bedienen. Die eine Seite vom Gestänge, die schon immer "verhaltensauffällig" war, rutschte sogar nochmal heraus, nachdem ich dachte, ich hätte es geschafft. Positive Überraschung: Die Justage ging ratzfatz. Negativ: Das Ausrichten der beiden Sucher. Ich habe ganz vergessen, dass der 8x50 in seiner Halterung immer gerne ein Eigenleben entwickelt, wenn man ihn nicht mit geknülltem Papier festklemmt. Insgesamt vertrödelte ich dermaßen viel Zeit beim Aufbau, dass ich dachte, ich werde nie fertig.

Irgendwann war aber doch alles bereit und ich schwenkte auf Jupiter. Es fühlte sich an wie ein First Light - ich war ganz aufgeregt auf das Licht im Okular; ganz gespannt, was mich erwartete. Die gleißend helle Planetenkugel, umgeben von allen vier Monden, zeigte natürlich sofort mehrere Wolkenbänder, litt aber unter dem noch nicht austemperierten Spiegel. Die typischen tanzenden Schlieren begleiteten die Lichtpunkte. Aber immerhin ließ sich alles noch scharfstellen; den ausgesprochenen Mist beim Zusammenbauen habe ich also nicht fabriziert.


Der zweite Schwenk ging auf M 31... Immer Schritt für Schritt, erstmal vorsichtig an die Sache herantasten. Ich stellte die Galaxie im Sucher ein und wollte ans Okular, als mir plötzlich auffiel, dass ich ja zu klein bin und nicht heranreiche. Verdammt. Da war ja was. Ich habe keine Trittleiter mehr! Ich durchsuchte fluchend die Holzhütte nach etwas Passendem, wo ich mich draufstellten könnte, fand aber nix. Draußen stieß ich auf einen rechteckigen Betonmischkübel, der einen reichlich stabilen Eindruck machte, und schleppte ihn zum Teleskop. Nun klappte es und ich genoss den Anblick der riesigen Galaxie, die das Gesichtsfeld sprengte und nach kurzer Beobachtungszeit ihre beiden Staubbänder offenbarte.


Bis hierhin war es nun nicht unbedingt nötig, den Atlas zu bemühen. Die Sache mit dem fehlenden Rotlicht stand ja auch noch weiterhin im Raum. Was macht der moderne Mensch von heute, wenn er ein Problem hat? - Er lädt sich eine App runter. Ja, ich bin nicht stolz drauf, wusste aber keine andere Möglichkeit. Dank Google wurde ich fündig; ein Programm, welches den Bildschirm in rotes Licht taucht und je nach Gusto reguliert werden kann. Feine Sache. Half mir bei der Suche nach einem Doppelstern in Cassiopeia aber auch nicht weiter. Wie gesagt - ich stellte mich an wie der erste Mensch. Den Stern fand ich nicht. Die Augen mussten sich erstmal wieder an die Sicht durchs Okular und den Abgleich mit dem Atlas gewöhnen - was sonst nie ein Problem war, bereitete mir ernsthaft Schwierigkeiten. Der Geruch von der kokelnden Gartenlampe der Nachbarn zog penetrant in meine Nase.


Beim nächsten Objektpaar konnte eigentlich nichts schiefgehen. Direkt an Gamma Cas stehen die beiden großen Nebel IC 59 und 63. Während IC 63 recht schnell als ein dreieckiger, leicht nuancierter Schleier auffiel, der sich in gebührendem Abstand von dem hellen Stern abspreizte, war IC 59 nur schemenhaft erkennbar. Etwas länglich und scheinbar gebogen. Der Anblick bei 70x am besten. Dankbar, die Zeit erstmal mit dem Abmalen des reichhaltigen Sternfelds zu verbringen, machte ich mich an die erste Zeichnung seit Langem.

Unterbrochen wurde ich von einigen durchziehenden Wolken, die zur Pause zwangen. Vom Birnenbaum krachten immer wieder lautstark schwere Früchte auf den Boden. Es war inzwischen 22 Uhr und der Spiegel hatte endlich Umgebungstemperatur angenommen - alle Sternchen schlierenfrei und scharf. So schlecht war das Seeing gar nicht.


Ich blieb in der Region und schwenkte zum benachbarten Sternhaufen NGC 381. In der Übersicht wirkte er ganz nett und sternreich. Ein auffälliger Stiel - eine lange Sternkette - ragte von Norden in das Zentrum des Haufens hinein, der ansonsten rundgeformt war. Bei 130x aufgelöst. Das Zentrum war eingerahmt von einem helleren Sterndreieck. Inkl. des Stiels 30 bis 35 Mitglieder.


Steine 3 lachte mich im Atlas an und fiel beim Aufsuchen als ein nebliges, kleines Knäuel auf. Bei 130x war es aufgelöst in sieben Sternchen, die sich kastenförmig anordnen. Ingesamt doch nicht so der Knüller. Ein gigantischer Nervfaktor war die Tatsache, dass der Dobson beim Nachführen nur sehr schwer glitt, sodass ich nicht mehr, wie gewohnt, mit einem Arm nachführen konnte, sondern mit beiden Händen anpacken musste. Die Bewegung in Zenitnähe war noch nie unbedingt mein Spezialgebiet, aber so bekam das Ganze nochmal eine besonders herausfordernde Note. Keine Ahnung, ob die Gleitdinger irgendwann abstumpfen oder so und mal getauscht werden müssen.


Wieder zogen Wolken über den Himmel; diesmal etwas mehr als zuvor und ich musste eine Weile warten, bis die Sicht wieder einigermaßen frei war. Die Zeit vertrieb ich mir mit Foto-Versuchen; schleppte dafür den Betonkübel über den Rasen, damit das Handy sich fest daran anlehnen konnte. Es war windstill und sehr mild.


Als Cassiopeia wieder frei war, peilte ich auf
Eta Cas und wurde von diesem hübschen, orangegefärbten Doppelstern überrascht. Die helle Hauptkomponente wurde begleitet von einem deutlich schwächeren Sternchen, der sich eng anschmiegte. Nett! Eigentliches Ziel war aber der PN Abell 2. Zu meiner großen Überraschung war die runde, blasse Nebelscheibe bei 130x und mit [OIII] südlich des markanten Feldsterns völlig problemlos zu sehen. Zunächst nur blickweise indirekt, aber dann auch dauerhaft haltbar. Ich will nicht mit Vokabeln wie "brüllend hell" um mich schmeißen, aber in Anbetracht des miesen Himmels hier war die Sichtung von Abell 2 wirklich ziemlich einfach. Das gab mir enormen Auftrieb.

Der Sternhaufen King 2 war hingegen wieder eine blanke Enttäuschung. "Naja, schwach" war meine einzige Notiz dazu. Ich verweilte nicht lange und schwenkte in den Cepheus, aber nicht, ohne vorher erst einmal wieder zu überlegen, wie das "Haus des Nikolaus" am Himmel gekippt war. Gibt angenehmere Sternbilder. NGC 40 tauchte im Okular auf und war schon beim Aufsuchen eine gleißend helle Nebelscheibe mit einem enorm kräftigen Zentralstern. Eine Schalenstruktur an den Außenbereichen war leicht zugänglich und das Innere präsentierte sich dunkel. Insgesamt oval und nicht rund; gut abgegrenzte Ränder, aber zu den spitzen Enden diffus ausfransend. Der [OIII]-Filter brachte keinen Gewinn - im Gegenteil; zwar blasste der Zentralstern aus, der Rest des Nebels allerdings auch.

Eine letzte, peitschenförmige Wolke reiste über den Himmel und danach blieb es völlig klar. Grenzgröße schätzte ich auf 5,8mag, aber nur in Ostrichtung, was die einzig brauchbare Gegend war. Der Rest ist zum Davonlaufen... Aber wollen wir mal nicht meckern. Mars tauchte über dem Nussbaum auf und stand dekorativ im Stier und wahrscheinlich gar nicht so weit weg von M 1.


Lange konnte ich nicht mehr bleiben; die Deadline hatte ich mir auf Mitternacht gesetzt. Ein letztes Objekt war der Sternhaufen NGC 2126 - ein richtig hübsches Teil! Stand direkt an einem 6mag hellen Stern und zeigte sich spitz dreieckig, wie eine Pfeilspitze. Bei höherer Vergrößerung komplett aufgelöst.

Damit beschloss ich die Nacht. Hätte gerne noch bis zur Morgendämmerung weitergemacht, aber es ging nicht; zudem wurde ich auch schon allmählich müde. Man wird halt alt. Ich baute den ganzen Krempel ab und schleppte alles wieder zurück in die Holzhütte. Ernüchterndes Fazit: Naja, gibt eine ganze Menge Optimierungs- und Investitionsbedarf und es klemmt an allen Ecken und Enden, nicht zuletzt auch an mir selber. Die Session war, vorsichtig ausgedrückt, durchwachsen, weil mich die miesen Bedingungen und die ganzen Ärgernisse mehr nervten als alles andere. Sowas muss wirklich nicht sein, dass man auf einem Betonkübel stehen muss und nur mit einer scheiß Smartphone-App Rotlicht erzeugt. Oder dass man mit herausrutschendem Gestänge kämpft, weil der Schnellspanner am Hut nachgibt. Oder dass die Gleitpads stumpf sind. Oder dass man lumpige Doppelsterne nicht findet. Oder dass man keinen Kuli hat. Oder dass man mitten auf der dunkelsten, aber schlammigsten Fläche aufbaut, die der Garten zu bieten hat, sodass irgendwann 5-10 cm Batz unter den Schuhen kleben. Alles in allem also eine hoffnungslose Aneinanderreihung von vielen kleinen Skandälchen, Ärgernissen und Fauxpas… Aber die Ausbeute war auch schon schlechter und insgesamt war es doch trotzdem ganz schön. Irgendwie. Und in ein paar Wochen kann ich da hoffentlich auch drüber lachen.

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