09.11.2013 - Obscured by clouds

Der November war bisher leider nicht so ergiebig, wie wir es gern erlebt hätten, und im Herzen stach noch immer der vergangene, schreckliche Winter wie ein böser Dorn. Zu diesem Zeitpunkt herrschte vor einem Jahr bereits die absolute Beobachtungsflaute, die erst im Februar ein Ende fand. Jetzt aktuell ist zwar auch zu spüren, dass die Wolkentage zunehmen, doch die ganz große Katastrophe scheint erstmal auszubleiben, sodass wir für Samstagabend eine nächste Rausfahrt planen konnten.


Die Prognosen waren sich einig: Die ersten Stunden werden schön, doch dann zieht eine Front aus dem Westen rein. Blöderweise war schon wieder fast Halbmond, der erst gegen 23:00 Uhr untergeht und uns somit während der ganzen Zeit präsent bleiben wird. Fraglich war daher auch, ob es klappen würde, die aktuellen Kometen zu erwischen – das war DAS zentrale Thema an diesem Tag! Da Christian Harder zu Besuch war, hatte ich mit ihm und Uwe also gleich zwei Kometenexperten um mich, und ich wurde der Schweifsternbeobachtung verpflichtet. Oh, großer Gott... Doch, zugegeben, ein bisschen neugierig war ich ja auch.


Eine sehr schöne, klare Abenddämmerung konnten wir erleben, während der Fahrweg in den Fläming zurückgelegt wurde, wo wir gegen 18:00 Uhr eintrafen. Es hatte in den letzten Tagen stark geregnet; die Feldwege waren übersät mit Pfützen und Schlaglöchern und im Gras glitzerten die Tautropfen im Mondlicht. Unser halbgefüllter, blendend heller Erdtrabant stand noch weit im Süden und erleuchtete die gesamte Gegend. Das aschgraue Mondlicht der dunklen Seite war gut zu erkennen. Tief im Westen schickte sich die rot eingefärbte Venus an, in den Horizont einzutauchen. Es herrschte eine interessante Stimmung, doch leider war es schon zu dunkel für meine Kamera. Ein ganz leichter Wind strich über die Maiskolben. Ein wenig überrascht waren wir ja darüber, dass das Feld überhaupt noch steht. Die 6°C, die zu Beginn der Nacht herrschten, sollten sich bis zum Abbau kaum ändern.

Wir stellten unsere Gerätschaft auf und machten uns winterfest. Christian hatte einen 12-Zöller dabei, den er just an diesem Tage erst erworben hatte und nun im Fläming das First Light zelebrieren konnte; umso blöder war es natürlich, dass der Mond so dominant blendete. An richtige Beobachtung wollte ich auch noch gar nicht denken. Ich hatte mir zwar viele schöne neue Haufen („Häuflein“) rausgesucht, doch bei dem Licht schien es mir nicht sinnvoll und ich hoffe auf die nächste Neumondphase. So standen wir lange herum und quatschten über alles Mögliche, fuhren ein paar Standardobjekte an und Uwe nahm schon seine ersten Objekte auf. H&chi, „Sternhaufen gehen immer.“ Aber er klagte über das grausige Seeing, das die Sterne aufblähte.


Wir tranken eine kleine Tasse Kaffee, doch irgendwann war mir die Warterei lästig und ich suchte mir einfach irgendetwas Schönes heraus, das ich noch nicht kannte. Es wurde der Sternhaufen SAI 1 in der Cassiopeia, aus dem SAI Open Clusters Catalog, auf dessen Internetpräsenz 'n paar Infos zu den Einträgen zu finden sind. So wird für das 4‘ große Häufchen eine Entfernung von über 7.000 Lichtjahre angegeben. Im Teleskop zeigte sich ein unauffälliges Objekt mit eher schwachen Sternen, die einen kleinen Kasten formten, von dem längliche Ketten abgingen. Christian nannte es „Giraffenhals“.

Um 20:15 Uhr fuhr unser Gast leider auch schon wieder zurück, und ließ uns bei einem leicht dunstig-suppigen Himmel zurück. Irgendein „Schleim“ zog an den Horizonten lang, und doch war, trotz Mondlicht, die Milchstraße in den höheren Regionen durchaus erkennbar. Für ein paar Minuten frischte der Wind stark auf und brachte alles zum Zittern und blies mein Papier davon. Irgendein fernes Tier kreischte und Wildgänse zogen laut schnatternd über uns hinweg. Ansonsten war mittlerweile Ruhe in der Umgebung eingekehrt und die akustische Autodichte hatte abgenommen. Kein Wunder; die meisten werden nun vorm Fernseher sitzen und„Wetten, dass...?“ gucken. Ich machte einen kleinen Lauf, um etwas warm zu werden, und lauerte dann dem nächsten Objekt auf. Auf der anderen Seite des Autos war Uwe in Abell 347 unterwegs, den ich in den Alpen ja visuell seziert hatte. Grund genug, den großen Klugsche*ßer raushängen zu lassen.


King 15 stand in der Nähe, und ich hielt es für ganz sinnvoll, dieses Projekt mal weiterzuführen. Es war ein eher kleiner Haufen, der erst bei 200x gut aufgelöst wurde, und das hellste Haufenmitglied im Zentrum strahlte in einem Orangeton. Um ihn herum ordneten sich die weiteren, schwachen Mitglieder kugelförmig an.

Nun war es schon fast 21:00 Uhr und im Westen tauchten die ersten wolkigen Vorboten auf, waren aber noch weit entfernt. Der Wind hatte wieder abgeflaut, und ich widmete mich dem hellen Haufen Mayer 1 zu, der zwar einfach zu finden war, doch zunächst unscheinbar und lose daherkam. Höher vergrößert machte er schon mehr her. Mehrere versprengte kleine Grüppchen befanden sich östlich eines dominanten Feldsterns und waren in der Gesamtform eckig angeordnet. Vor allem an der Nordspitze des geformten Trapezes machte ich viele schwache Sterne aus.

Interessant war es, als während der Beobachtung der Mond von den Wolken verdeckt wurde. „Der Mond ist weg! So geht es auch“, lachte Uwe. Im Teleskop änderte sich der Anblick sehr deutlich. Die ganz feinen Sternchen, die erst schwer erkennbar waren, zeigten sich nun direkt und deutlich.


Ich hatte Uwe auf diese Region aufmerksam gemacht, weil sich dort auch ein Gaskomplex befindet. Er stellte NGC 103 ein und belichtete drauf los. Dieser Sternhaufen steht unmittelbar südlich von Mayer 1 und wurde auch zu meinem nächsten Ziel. Auch er war in der Übersicht etwas unscheinbar, doch bei genauerer Betrachtung zeigte sich ein reizvolles Objekt. Ein stark gekrümmter Bogen aus dicht stehenden schwachen Sternen. Als passender Vergleich fiel mir ein Bumerang ein. Auffällig waren zwei hellere Haufenmitglieder, die an der Nordspitze des Bogens standen. In der westlichen Kette, die nach Süden verläuft, waren die meisten Sterne zu sehen.

Nun hatte die schmierige Wolkenfront den gesamten Südwest- und Westhimmel okkupiert und knapp überm Horizont beleuchtete ein tanzender Skybeamer-Lichtkegel die über ihn befindliche Wolkendecke. Wo der wohl steht? Vermutlich in Staßfurt. Da die Cassiopeia noch frei war, suchte ich noch ein letztes Objekt auf. Czernik 1. Dieser Katalog war für einige Überraschungen gut. Der Haufen, am Ende einer hellen Sternkette befindlich, setzte sich bei 200x zwar gut vom Hintergrund ab, doch er war nicht aufzulösen. Es blieb bei einem runden, nebligen Bällchen, in dem sich der ein oder andere Einzelstern zeigte. Weiteres ließ sich nicht mehr untersuchen, denn die ersten Schleier waren nun bis in den Zenit eingedrungen und die Cassiopeia wurde verhüllt.

Hachja, das wars also für mich. „This place don’t make sense to me no more“, zitierte ich aus einem Dylan-Lied. Uwe, der gerade mit seiner kurzzeitig rumbockenden Montierung kämpfte, wurde nervös, weil Komet Lovejoy noch nicht aufgegangen war und die Wolken stramm in östliche Richtung marschierten. Ich baute mein Zeug zusammen, in aller Seelenruhe, und genoss die Stimmung. An der Fotoanlage wurde dann Erfolg vermeldet: Der verwaschene Komet im Aufgang, oberhalb der Bäume am Osthorizont! Ein ungewöhnliches, aber doch reizvolles Motiv. Uwe freute sich und startete seine Belichtungsreihe.


Im Kofferraum sitzend wurde die Kaffeekanne geleert. „Wir sitzen hier einsam, mitten in der Pampa“, sagte er. Wir lachten uns kaputt, rätselten über den Skybeamer und beobachteten die wandernden Wolken. Meine Ausrüstung lag fertig im Auto, alles war eingepackt und geordnet. Und auch Uwe beendete seine Aufnahmen, als er feststellen musste: „Oh. Der Große Wagen ist weg. Das ist nicht gut. Das zieht jetzt da runter.“

Wir begutachteten zum Schluss noch die Ergebnisse auf dem Kameradisplay, ehe dann der Wagen mit dem verbliebenen Gerödel beladen wurde. Die Scheiben waren beschlagen und nun zog wieder ein strammer Westwind an, der mich frösteln ließ. Es war erst 22:30 Uhr, als wir uns vom Acker machten – eine ungewöhnliche Abreisezeit. Schaaade um die Morgenkometen…

 



Ein Beobachtungsbericht von AKE

Schönebeck, 10.11.2013

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