14.08.2016 – Wer gähnt, verliert

Ha ha! Da war der Kas noch nicht gegessen. Der August ist immer für Überraschungen gut. Nach den tollen Nächten in Kärnten gab es für das folgende Wochenende nochmal Gefechtsalarm – beste Wetterprognosen in den Voralpen. Zwar würde der Mond erst sehr spät untergehen, so gegen 02:00 Uhr, aber wie meine Mutter immer so schön sagt: „Waste hast, das haste.“ Recht hat sie. 2,5h Deep-Sky-Zeit würden sich ausgehen, und warum nicht nutzen, wenn man kann?


Spät am Abend starteten wir aus München und düsten über die Straßen, während der fette Mond immer wieder durch die hohen Bäume neben der Autobahn blinzelte. Auf dem Sudelfeld war bereits die Ruhe eingekehrt, als wir es um 23:15 Uhr erreichten. Kuhgebimmel, von nah und fern, drang von allen Seiten auf uns zu, was uns die gesamte Nacht über begleiten würde. Die ganze Landschaft war in das helle Mondlicht getaucht, was fürs Aufbauen gar nicht so schlecht war. Ich war gespannt, wie sich die neue Querstrebe zwischen den Höhenrädern so macht. Ein bisschen mehr Stabilität bei Beobachtungen in niedriger Höhe wäre nämlich ganz praktisch.

Wir ließen uns Zeit mit dem Aufbau; schließlich eilte es ja nicht. Ich übte mich im Müßiggang und genoss die herrliche Stimmung an diesem schönen Plätzchen. Flanierte über den Parkplatz, ging ein Stückerl den Wanderweg hinauf, stand, genoss und schaute einfach nur durch die Gegend und an den klaren Nachthimmel. Immer mit der nicht näher erklärbaren Befürchtung, irgendwelche dunkelgrauen Müllbeutel könnten den Hang runterkullern und mir vor den Füßen landen. Trotz des gelblichen Mondlichtes, der die Landschaft ringsum beinahe mystisch anleuchtete, war die Milchstraße im Schwan blass zu erkennen. Ein paar schicke Perseiden-Nachzügler jagten vorbei – zwar keine richtigen Böller, aber viele plötzliche, helle Flitzer. Weiter unten sah man dann und wann ein paar winzige Lichter von den Autos, die sich auf der Sudelfeldstraße langschlängelten. Von Norden her wehte eine leichte Brise. Noch lange war ich in kurzen Hosen unterwegs, denn mit 13°C waren die Temperaturen verdammt mild. Es war herrlich, und ich freute mich riesig auf die kommenden Stündchen.


Wieder unten auf dem Parkplatz angekommen, waren unsere Schatten durch den Mond schon mächtig in die Länge gezogen. Je tiefer er sank, desto stärker und kontrastreicher schälte sich die Milchstraße aus dem Hintergrund hervor. Norman hatte mit seinem Equipment zu kämpfen, denn eine Reduzierhülse von Moonlight (wie passend heute!) war mysteriöserweise abhandengekommen und ließ sich nirgendwo mehr auffinden. Zudem streikte die Lichttechnik. Ein bisschen Feuchte schien in der Luft zu liegen; diverse Flächen waren zumindest am Anfang noch ein wenig belegt. Der prüfende Blick auf die Sterne mit dem bloßen Auge ließ auf gutes Seeing hoffen.


Noch als der Mond überm Horizont stand, steuerte ich den ersten Sternhaufen im Schwan an, für den Norman schon seit Monaten Werbung gemacht hatte: NGC 6819, den Fuchskopf. Ja, der fetzt schon. Zwei parallele Sternketten, leicht nach innen gebogen. Die östliche Kette war dabei sternreicher. Der ganze Cluster war bei 200x schön in seine Bestandteile aufgelöst und mit nur wenig Phantasie konnte man den Spitznamen nachvollziehen.


Nicht weit weg davon stand NGC 6811. Ein ziemlich großes Ding, in der Gesamtheit irgendwie blumenförmig. Sehr markant war das sternleere Innere, das von den bogigen Außenbereichen umschlossen war. Naja, haute mich irgendwie nicht so vom Hocker.

Der gute Mond hatte sich nun, für uns unsichtbar, hinter ein paar Wolken verkrümelt, die knapp überm Horizont standen, aber weiterhin hellte er den Südwesten ein wenig auf. Egal, das war nicht so wild. Erstes richtiges Deep-Sky-Objekt, das auf meiner Liste stand, war die Galaxie NGC 6792 in der Leier. Bei 200x ein überraschend schwaches Teil, länglich-oval und unregelmäßig wirkend. Der Zentralbereich kam mir dreieckig vor. Ein schwacher, stellarer Kern löste sich erst nach längerem Hinsehen heraus, ebenso wie der nur mäßig hellere Balken in ca. N- S-Richtung.


Auf derselben Karte war noch ein schönes Objekt markiert, aber das konnte noch ein paar Minütchen Wartezeit vertragen, bis der Mond vollends verschwunden ist. Gute Gelegenheit also, mal in tiefere Deklinationen zu gehen, um die erwähnte Querstange zu prüfen. Leider mit negativem Ergebnis: Eine verbesserte Stabilität war nicht festzustellen, und zudem war das Nachführen extrem schwer und ruckhaft geworden. Versuchte, mich dran zu gewöhnen, musste die Stange aber später wieder abmontieren. Zurück zu den Objekten: Ich wollte NGC 7492 aufsuchen, ein Kugelsternhaufen im Wassermann. Leider nicht gesehen. Dass der ziemlich flächenschwach ist und wohl schon in der leichten Horizontaufhellung ertrank, wusste ich nicht. Na was solls, da unten hing eh noch was Spannenderes rum.


Nämlich Cederblad 211, rings um R Aqr. Durch das Doppelsternsystem wird Materie nach außen geschleudert, was in zwei länglichen Auswüchsen an R Aqr sichtbar wird. Zumindest auf Fotos. Ein Ziel für gutes Seeing. Ich befürchtete wieder einen Misserfolg, denn meine Erfahrungen bei solchen Objekten waren nicht übermäßig positiv. Der Ausgangsstern war rasch gefunden und verriet sich durch seinen tieforangenen Farbton. Bei höherer Vergrößerung tauchten dann zwei unmissverständliche „Nasen“ nordöstlich und südwestlich von R Aqr auf. Nanu? Leichtes Spiel. Irgendwie verdächtig. Die Auswüchse waren überraschend groß und flächig; hätte mit irgendwas Engerem gerechnet. Die Nase, die nach SW zeigte, war außerdem leicht kräftiger. Weil ich dem Frieden nicht so recht traute, gabs eine grobe Skizze, die sich im Nachhinein bestätigt.

Ab 02:00 Uhr war es so richtig dunkel. Richtig, richtig dunkel. Die Milchstraße knallte volles Produkt und die Grenzgröße müsste zwischen 6,8 und 6,9 mag gelegen haben. Nun hieß es, Vollgas geben. Alle 54 Objekte auf der To-Do-Liste dürfte ich vermutlich nicht ganz schaffen, aber ein paar Schöne hatte ich mir hervorgehoben, die sich besonders lohnen dürften. So auch IC 1291 im Drachen, die stark von der Dunkelheit profitiert. Aufm DSS schon ein geiles Teil und ein Überraschungspaket aufm Spiegel. Zunächst recht flächenschwach und undefinierbar körnig, bei höherer Vergrößerung aber ließen sich dann die spannenden zentralen Klumpen auspacken. Die Galaxie selber war auffällig nach Westen gebogen und Komma-artig, auf der Fläche überwiegend homogener Helligkeit und zum Zentrum hin nur mäßig heller. Der Knick, der sich am Südende befindet, war nicht zu erkennen; dorthin lief die Galaxie diffus aus. Ein zentraler Knoten zeigte sich, und davon östlich versetzt ein zweiter – das scheinen Vordergrundsterne zu sein. Ein My nördlich davon schälten sich zwei weitere, schwache Kondensierungen heraus, die Teil von IC 1291 sind, aber noch miteinander verwachsen blieben. Tolles Objekt! Ein richtiger kleiner Knaller.

Norman hatte nebenan gerade NGC 7094 beim Wickel, den PN bei M 15, und klagte über den Unterschied zu den Nockbergen. Für mich ging die Reise zu Arp 278, gebildet aus NGC 7253A und B. Auf dem DSS fetzt das Pärchen richtig, ist aber visuell nicht so der Hit. Und auch gar nicht mal so leicht. Es war ein zusammenhängender, auffälliger, aber schwacher Nebelbarren. Die nördliche Galaxie, SO-NW gekippt, war dabei der wesentlich markantere Part. Der andere Nebel verschmolz mit dem Südende des Partners und war beinahe entgegensetzt ausgerichtet, sodass sich ein T- oder V-artiges Gebilde ergab.


NGC 7292 präsentierte sich als rundlicher, diffus auslaufender Bausch mit einem NW-SO-liegenden, zentral verlaufenden Balken. Aber auch nicht übermäßig auffällig, das Ding. Mittig in der Galaxie (aber nicht mittig des Balkens) sah ich einen sehr faden, stellaren Kern, und eine zweite, schwache Aufhellung nördlich davon. Leider ergibt sich aus meinen Notizen nicht, ob damit das zentrale Zeug gemeint ist (Vordergrundstern und „Kern“ nördlich), oder der „Kern“ und die Kondensierung am Nordende des Barrens. ‘Ne Skizze hab ich leider auch nicht. Schöne Scheiße.

Mit einem gewissen Zeitdruck im Nacken huschte ich weiter zum nächsten Objekt. Der Einfachheit halber blieb ich immer am/im Pegasus-Quadrat, dann vertut man keine wertvollen Sekunden mit dem Umblättern auf die Nachbarkarte. Alle Ressourcen müssen ausgeschöpft werden! Okay, da war NGC 7485 im Okular. „Nee?“ Ziemlich fades Teil und länglich-kastenförmig, nur mit einem stellaren Kernchen bewaffnet, aber sonst nicht weiter spannend.


Ein schönes enges Grüppchen war jenes um
NGC 7436, beinahe Hickson-verdächtig. Da ist ja HCG 44 bedeutend weiter auseinander – warum ist die 7436 nicht drin? Das finde ich skandalös. Die 3-mag-Unterschieds-geschichte wird eingehalten, isoliert und eng sind die Kollegen auch... Menno. Jedenfalls, interessant war das Konglomerat im Okular. Die 7436 ist eine 12,6mag (VMag) runde, kompakte Kuller und das dominanteste Mitglied. Nach Westen lief sie spitz aus – ein Indiz für 7436B, eine zweite Galaxie mit 14,7 mag. Beide voneinander trennen konnte ich nicht. Nordwestlich drüber, in ca. 1,6‘ Abstand, lauerte NGC 7431 mit 15.er Größenklasse; etwas länglich und deutlich schwächer. Und südwestlich der Hauptgalaxie hätten wir dann noch 7435 mit 14,2 mag. Ebenfalls länglich-diffus. Südöstlich der Gruppe, in 6,5‘ Abstand, schummelte sich auch noch eine UGC 12274 aufs Papier.

Norman machte mich auf das Zodiakallicht aufmerksam, dass sich klammheimlich im Osten emporgehaben hatte. Der Orion linste daneben über die fernen Berge und machte den Anblick wieder besonders schön. Blick auf die Uhr: Halb 4 schon. „Scheiße!“ Da ist die Nacht ja fast schon wieder vorbei. Bald würde es dämmern. Und da standen doch noch 47 Objekte aufm Zettel – das könnte knapp werden. Aber wenn man nicht anfängt, kann man es ja nie schaffen, also versuchte ich noch rauszuholen, was auf Karte 28 hergeht – der Hort der vielen Klebepfeile. Abgelenkt wurde ich zeitweise allerdings, als zwei Leute aus dem Tal hochstapften und mit ihren Taschenlampen rumleuchteten. Sie gingen zwar vorbei, den Wanderweg hinauf, doch fürchtete ich, es könnten irgendwelche Militärleute sein, die uns zusammenscheißen würden, wenn sie uns da sehen.


Und dann war da diese wunderbare
NGC 7741, die das unangenehme Gefühl in mir abdämpfte, diese Nacht noch gar nix geschafft zu haben. Denn in diesem runden, sehr weichen, diffusen Nebel lag ein kräftiger Balken eingebettet und O-W-verlaufend. Wow. Am Westende setzte ein breiterer, kaum hellerer Spiralarm an, der nach Süden verlief. Der Rest der Fläche war eine homogene Suppe und der andere Arm ließ sich nicht gesondert separieren, doch nördlich des Balkens tat sich eine größere, dunklere Einkerbung auf. Schön auch die beiden Sternchen nördlich tangierend, die dem Ganzen eine brillante Note verliehen.

Mutig, bekloppt, wahnsinnig, abenteuerlustig oder geistesgestört – welche dieser Adjektive mich dazu veranlasste, IC 5285 in mein Programm aufzunehmen, lässt sich rückblickend nicht mehr sagen. Vielleicht eine gesunde Mischung von allem. Auf dem DSS fand ich halt diesen hübschen Ring irgendwie nett, und wenn die Transparenz passt... Na, warum nicht? Schlimmeres, als Zeit damit zu vertrödeln, kann eh nicht passieren. Also ging die Reise zu IC 5285. Der erste Blick war enttäuschend: Mehr als ein runder, kompakter Klumpen war nicht zu holen. Ich hatte auch längst vergessen, welche Dimensionen dieser Ring maß – „Ring“ war vor Ort meine einzige, nicht sonderlich ergiebige Information. Nach einigen Minuten Hardcore-indirektes-Sehen glaubte ich, etwas wie ein Fragment gesehen zu haben, welches ich auch skizzierte und beschrieb. In der Nachbetrachtung wurde mir allerdings bewusst, dass das eine Fehlsichtung war und meine Fantasie mir einen Streich spielte.


Als Norman sich an dem Ringding versuchte, war das für mich die Gelegenheit, mal ‘nen Schluck Kaffee zu trinken, original aus Hajüs DSM-Thermosflasche. Das war in dieser Nacht ihr erster Einsatz, also quasi ein First Drink. Müdigkeit gehört bekämpft. „Höre ich da etwa ein Gähnen?“ – „Nein. Niemals. Wer gähnt, verliert.“ Poah, ich war begeistert von meiner eigenen Weisheit.


Bevor die Dämmerung vollends hereinbrechen wollte, ging ich noch ein Pärchen an, das im Atlas markiert war, NGC 7673 und 7677. Beide lagen 6,5‘ auseinander und in attraktiver Nachbarschaft zu zwei sehr hellen Feldsternen. Während 7677 ziemlich blass blieb und rundlich daherkam, zeigte sich 7673 lustig geklumpt. Die hellsten Regionen der Galaxie waren nach Norden versetzt; südlich lief sie spitzer aus. Das helle Zeug knäuelte sich auf in eine größere Region westlich und eine kleinere östlich; beide blieben miteinander verbunden und ließen sich nicht trennen.

Blick auf die Uhr: 04:22 Uhr. Passend dazu Normans Worte: „Gnadenlos hell wird’s. Gnadenlos.“ Die Dämmerung – ahhh! Ich wurde das Gefühl nicht los, schlichtweg nichts geschafft zu haben, obwohl das Durchscrollen durch den Skizzenblock was Anderes sagte. Ein letztes Objekt, was noch auf dem Zettel stand, war NGC 1579, ein Reflexionsnebel im Perseus. Den muss man später nochmal besuchen, wenns wieder richtig finster ist, aber beruhigend schonmal, dass der selbst bei dämmerndem Himmel noch sehr einfach sichtbar war; rundlich und eingebettet in ein größeres Sterndreieck. Der schwächere Rest ringsum und die inneren Dunkelstrukturen gingen nicht mehr her. Rausschmeißer des Morgens: M 35, der das Gesichtsfeld des 8er-Ethos wegsprengte.

Gegen halb 5 begann ich, das Gerödel abzubauen und zum Auto zu bringen. Obwohl schon lange wach, war ich munter und fit. Die Blicke auf den bunten Osthimmel mit toller Vordergrundkulisse war richtiggehend belebend – ein frischer neuer Tag beginnt! Norman zog mit der Kamera umher und hielt das Schauspiel fest. Ein paar dünne Zirren tauchten blass auf, was uns nun aber egal sein konnte. Die Temperatur hatte sich kein bisschen geändert – fortwährend milde und höchst angenehme 13°C. Nachdem alles im Auto verstaut, verzurrt und angegurtet war, rollten wir die Sudelfeldstraße hinab und durch den schnarchigen morgendlichen Verkehr auf Landstraße und Autobahn. Die Nacht, und somit auch die tolle August-Saison, nahm dann endgültig ein gutes Ende, als ich – jubelnd – den heißbegehrten Parkplatz gegenüber Normans Wohnung kapern konnte. Ha ha!



‘n Beobachtungsbericht von AKE
14.08.2016, München

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