29./30.03.2014 – „From dusk till dawn“

Von allen bundesdeutschen Autobahnen ist mir die A9 mit Abstand die liebste, dicht gefolgt von der A99, der Westumfahrung Münchens. Zu dieser glorreichen Erkenntnis bin ich am vergangenen Wochenende gelangt. Wo ich normalerweise den größtmöglichen Bogen um diese Höllenmetropole mache, wenn ich schonmal in der Gegend bin, musste ich nun am Freitagnachmittag, im dichtesten Feierabendverkehr, irgendwie mitten ins Zentrum hinein. Die volle Dröhnung Großstadtdschungel.


Meine eigene Astro-Crew war zum Sternfreundetreffen in den Harz gefahren, sodass ich alleine war – und was liegt da näher, als nach München zu gurken? Zum Glück hatte ich mit Norman einen absoluten Voralpenkenner an meiner Seite, doch auch er wusste nicht so recht, was man mit den vorliegenden Wetterprognosen für Samstag anfangen sollte. Wir spekulierten eigentlich auf einen Ausflug zum Nebelhorn, was für mich ein „Deepsky-Bergbahn-Novum“ dargestellt hätte, doch nach seinem neusten Trip dorthin, der durch den starken Wind vermasselt wurde, war er skeptisch. Wir überlegten lange hin und her. Die angekündigte Luftfeuchtigkeit von läppischen 20% klang verlockend und die Höhe des Berges war nicht zu verachten. Allerdings entschieden wir uns letztlich für die sicherere Luxus-Spießer-Variante, die sich „Geitau“ nannte, denn dadurch konnten wir uns massig Zeit lassen und den sonnigen Samstag nutzen, statt in der Bahn zu versauern. Im Auto lag außerdem zufälligerweise noch ein 16-Zöller rum, der dadurch auch zum Einsatz kommen könnte.


Der einzige Haken an der Geschichte war für mich, dass es bedeutete, dass ich meinen hart erkämpften Parkplatz (darauf war ich stolz wie Oskar!) aufgeben und zum Samstagnachmittagverkehr aus der City herausfahren musste. Über den Spaßfaktor brauchen wir nicht zu diskutieren. Die Fahrt gen Süden stimmte mich jedoch wieder versöhnlich, als die ersten hohen Berge in Sicht kamen und irgendwann der markante Wendelstein in Sichtweite rückte. Die Sonne schien ihre letzten Strahlen und in der Touristenhochburg des Schliersees nutzten die Menschenmassen das schöne Wetter vor der Dunkelheit.


Irgendwann kurz nach 18:00 Uhr kamen wir dann in Geitau an. Zum angepeilten Beobachtungsplatz führte ein schöner asphaltierter Weg, der jedoch von Ottonormalverbraucher nicht befahren werden darf. Das Auto musste also auf dem kleinen Parkplatz am Anfang des Weges zurückbleiben, weil wir uns selbstverständlich an geltende Normen und Gesetze halten. Ich habe großen Respekt vor den Ureinwohnern Geitaus und wollte mit dem ohnehin schon exotischen SLK-Kennzeichen nicht noch mehr Aufmerksamkeit erregen. Die Angst, dass dann die einheimischen Bauern mit den Mistgabeln und brennenden Forken angestürmt kämen, war einfach zu groß. Bis zum Platz waren es 500 m, was sich nach wenig anhört, aber für den massigen 16-Zöller eigentlich nicht unbedingt praktikabel. Norman zeigte sich jedoch optimistisch und schleppte tatsächlich diese 30 kg schwere Spiegelkiste bis zum Beobachtungsplatz, während ich mit leichterem Gepäck nebenherlief und mich etwa alle 20 Sekunden entschuldigte. Im Nachhinein sind wir zu der Erkenntnis gelangt, dass es wohl kein Problem gewesen wäre, mit dem Auto hinzufahren, schnell das Gerödel rauszuschmeißen und die Karre dann wieder auf dem Parkplatz abzustellen. Unser Ziel lag bei einem Schuppen, neben dem sich der Aufbau für einen großen Fahnenmast befand. Dort lag eine mehrere Meter große „Plattform“ zum Aufstellen der Gerätschaft, und es gabelte sich ein unbefestigter Pfad ab, der für die Segelflieger angelegt wurde. Überall wiesen Schilder darauf hin, dass es ein Flugplatz war und Unbefugte nicht auf dem Rasen umherlatschen dürfen. Hmmmm...

Norman justierte noch immer, belegte irgendwann seine Brote und latschte dann mit seiner Astrokamera und Stativ illegal über den Rasen des Flugplatzes. Außerdem wehte der Geruch von Haribo-Gummi herüber. Für mich war es dann langsam an der Zeit, mal den Atlas aufzuschlagen und zu schauen, was ich heute eigentlich vorhatte. Der Himmel war gegen 20:00 Uhr dunkel genug für einen ersten Sternhaufen, und die spontan aufgeschlagene Karte wies ein Objekt in der Krebs-Zwilling-Region auf. Los geht’s!


Saloranta 4 hat einen interessanten Namen, gab visuell aber nicht viel her. „'Finde den Haufen' – da geht’s wieder los!“, rief ich. Wegen der letzten Restdämmerung zeigte sich das Häufchen nur als schwache Gruppe südlich eines helleren Sterns. Wenige Mitglieder, insg. etwa 7 oder 8, formten einen eckigen, langgezogenen Bogen. Bei dem hellen Feldstern schien sich noch Weiteres zu verbergen, doch alle Mitglieder waren eher grenzwärtig. Soll ich den zeichnen? Nee... Lohnt nicht. Warum tut man sich das eigentlich an? Ja, manchmal stelle ich mir diese Frage.

Mal ganz davon abgesehen waren die Sterne unruhig zappelnde Bälle. Das lag einerseits am noch warmen Spiegel; andererseits war das Seeing in dieser Nacht der absolute Super-GAU. Eine Katastrophe biblischen Ausmaßes. Schon der Anblick mit bloßem Auge war erschreckend, denn selbst Jupiter und der eben aufgegangene Mars pulsierten; vom Rest der Sterne mal ganz zu schweigen. Hohe Vergrößerungen waren nicht drin und bereits bei 200x war Sense.


Der zweite Haufen führte mich in die Region des Kleinen Bären, wo sich ein wahres unbekanntes Schätzchen versteckte: NGC 5385. In der Übersicht eine nette, auffällige Gruppe in einem sternarmen Gebiet. Sie war stark gekrümmt, fast wie diese S-förmigen Haken. Die Teile gibt’s im Baumarkt, aber ich weiß nicht, wie sie heißen. NGC 5385 jedenfalls war schon bei 129x aufgelöst und offenbarte 13-14 nahezu gleichhelle Mitglieder.

Anschließend stand ein Objekt auf dem Plan, das schon lange der Sichtung harrte, aber angeregt durch Hajüs DSM-Projekt hatte ich mir diesen Eintrag mit einem „!“ versehen. Die Rede ist von der „Zitronenscheibe“ IC 3568. Bei dem miesen Seeing eigentlich eine hoffnungslose Geschichte, aber seis drum. Das helle, kleine, exakt kreisrunde Scheibchen war besonders markant, scharf abgegrenzt und umgeben von einem schwächeren, runden, etwa doppelt so großen Glimmen. Weitere Details, wie die Ansätze der inneren Strukturen, waren absolut nicht erreichbar.

Nun war es 21:00 Uhr und nebenan klagte Norman darüber, dass er seine Galaxiengruppe aus dem Gesichtsfeld verloren hatte, die er zeigen wollte. Ich machte einen ersten kleinen Aufwärm-Sprint, in der Hoffnung, dass er sie bis zu meiner Rückkehr wieder eingestellt hat. Der befestigte Pfad ist einfach ideal zum rennen – keine Gefahr, über Maulwurfshügel oder Pfützen zu stolpern. Bei dem 200m entfernten Baum hielt ich an und schaute mich um. Von dem Fahnenmast und dem Schuppen war nichts mehr zu erkennen, sie waren vom Schwarz verschluckt. Dafür ragte der kahle Baum mit seinen knorrigen Ästen bedrohlich vor mir auf. Das Zirrengeschmiere, was während der Dämmerung noch zu sehen war, hatte sich zwischenzeitlich verflüchtigt („Löst sich alles auf!“), doch in nördliche Richtung stieg immer wieder irgenda Suppn auf und ab („Bildet sich alles neu!“), was im Laufe der Nacht immer wieder mal bis in 70-80° Höhe hochschwappte. Beim Zurückrennen – der Weg fiel ganz sacht ab – zog ein heller Meteor über am Nordosthimmel hinunter. Schon eine frühe Lyride? Norman hatte tatsächlich seine Gruppe wiedergefunden und ich konnte einen Blick hineinwerfen. Außerdem wurde das SQM-L bemüht, dass einen ganz-okay-Wert von 21,4 ausgab.

Der Frühling ist natürlich die Galaxiensaison schlechthin, und auf unseren Listen hatten wir einige nette Gruppen und Grüppchen, die es abzuarbeiten galt. Eine sehr geniale Konstellation, die offensichtlich auch physisch zusammenhängt, befindet sich im Sternbild Drache, an der Grenze zur Giraffe – eine Gegend, die ich erstmal identifizieren musste. Das NGC-Trio 4291, 4319 und 4386 waren in der Übersicht schön als Gruppe zu erkennen. Die beiden erstgenannten standen direkt nebeneinander und waren etwa 4‘ voneinander getrennt. NGC 4291 zeigte sich als runder Nebel mit stellarem Zentrum und beinhaltete mehrere Lichtknoten, die sich im Nachhinein als Vordergrundsterne herausstellen. Dennoch ein spannender Anblick im Okular. Besonders ästhetisch war das Zusammenspiel mit drei hellen Feldsternen, mit denen die Galaxie ein formschönes Viereck bildete. NGC 4319 war ebenso interessant: Etwas schwächer als die Nachbarin, länglich-oval geformt und mit nur mäßig hellem Zentralgebiet. Die „abgeschnittenen“ Ost- und Westkanten des inneren Areals deuteten die Natur als Spiralgalaxie an. Südlich des Kernbereichs löste sich eine stellare Aufhellung heraus, die ich erst für einen Vordergrundstern hielt, sich aber als Quasar Mrk 205 herausstellt, der mit ca. einer Milliarde Lichtjahre der Erde recht nahe steht. NGC 4386 steht mit 16‘ etwas weiter ab vom Schuss und lag mit ihrer Helligkeit (12,7) zwischen den beiden anderen Galaxien (12,4 bzw. 12,8). Dieser länglich-ovale Nebel (1:3) zeigte außer dem hellen Zentralgebiet keine weiteren Details.

Ich weiß – mit dem nachfolgenden Abschnitt qualifiziere ich mich als ganz heißen Titelkandidaten für den astronomischen Darwin-Award. Trotzdem soll es nicht verschwiegen werden, auch wenn man Gefahr läuft, sich zum Hyper-Horst zu machen. Die Reise ging zu einem helleren Drachen-Stern (Giausar nennt der sich), in dessen Nähe die Gruppe Hickson 55 steht. Das entsprechende Areal war schnell eingestellt, doch das Objekt machte sich rar. „Ach, das war doch dieses lange, schwache Teil“, fluchte ich. Und im selben Moment fiel mir ein, dass ich ja meine neue Brille noch auf der Nase hatte. Meine neue Brille, mit den topaktuellen Sehwerten, aber einer 10-prozentigen Grautönung im Glas. Dingdingdingdingdingdingding… Deepsky per Handbremse. Ich nahm sie ab und versuchte es nochmal. Jaaaaaah, da quälte sich nun tatsächlich ein schwacher, fader Strich aus dem Hintergrund heraus. Zunächst grenzwärtig und schwer zu halten, doch zum Schluss blieb die Nebelschlange bombensicher auf der Netzhaut kleben. Eine Auflösung in die einzelnen Komponenten war bei dem Seeing jedoch unmöglich.

Während der Suche des nächsten Objekts rief mich Norman zu sich, der sich von einem Duo begeistert zeigte: NGC 3079 und die schwächere 3073 im Großen Bären. Die Erstgenannte zeigte im 12-Zöller eine ganz interessante Morphologie, denn sie schien gekrümmt und lag bei einem markanten Sterndreieck. „Bananen-Galaxie“, fand ich. Am Himmel hing wieder ein leichtes Geschmiere und im tiefen Norden schichteten sich ein paar Wolken übereinander.


Ich blieb noch immer in der Drachen-Region und hangelte mich wieder in nördliche Richtung. Das Duo Arp 181 tauchte recht schwach, aber eindeutig im Okular auf. Zwei flaue runde Klumpen. Die östliche der beiden Hübschen, NGC 3215, schien größer und wesentlich heller, obwohl CNebulaX für die Helligkeiten nur 14,0 und 14,1 mag ausspuckt. Kein großer Unterschied, sah im Teleskop aber anders aus. NGC 3212 wirkte demzufolge kompakter und schwächer. Beide Nebel zeigten keine Strukturen. Der nebenstehende, westliche Feldstern besitzt übrigens auch eine eigene Nummer: NGC 3210. Toll, oder?

Eine Bemerkung von Norman lenkte mich ab: „Da kommt irgendjemand von links. Hört sich joggend an.“ Ich hielt inne und lauschte. Knappe Geräusche ertönten aus Richtung des Asphaltweges, doch es war nichts zu sehen und ich bekam es mit der Angst zu tun. Wer weiß, wer oder was sich hier alles rumtreibt. Vielleicht der dubiose Wanderer von vorhin, oder der berühmte Axtmörder von Geitau. Das Ganze war aber wohl Fehlalarm, als Norman erkannte, dass es die Seiten seines Atlas waren, die bei einer leichten Windbrise flatterten. Ich befand mich gerade beim Aufsuchen der Bananen-Galaxie von eben, die im 16-Zöller einen ebenso geknickt-gebogenen Eindruck machte, breiter war und an den beiden Enden noch weiter auslief.


Die Uhr zeigte 10:45 PM an und auf den Sachen, die an der Erde lagen, zeigte sich eine leichte glitzernde Schicht. Der erste Frost. Das, was wir erst befürchtet hatten – hohe Luftfeuchte und schnelles Beschlagen der optischen Flächen –, trat zum Glück nicht ein. Es war trocken. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Feuchtigkeit bei gerade einmal 60% lag, statt 80%, wie anfangs prognostiziert. Lediglich der leichte, hohe Nebel trübte den Gesamteindruck. „Aufm Berg“ wäre es wohl besser, aber wir wussten natürlich genau, dass es auf dem Nebelhorn gerade regnete, schneite und der Superorkan tobte. Zum Glück sind wir im geschützten Tal geblieben! In Geitau fuhr irgendein dummes Auto herum und ich bat um die Herausgabe meiner Verpflegung.


Nun stand ein Duo auf dem Zettel, das Martin in Auftrag gegeben hatte. Das FirstLight seiner neuen Fotoanlage beging er mit dem Galaxienduo NGC 2655 und 2715, und wollte wissen, was von denen im Dobson zu sehen ist. Mit der Klappstulle im Mund wechselte ich in die Giraffe, und da tauchten sie auf. So nett die 2655 auf dem Foto auch wirkte, visuell machte sie nicht wirklich was her, weil die vielfältige Schalenstruktur im Verborgenen blieb. Es zeigte sich ein runder Nebel mit hellem Zentrum ohne Details. Ich bildete mir einen Einschnitt in der nördlichen Hälfte ein, der jedoch nicht nachzuvollziehen ist, weswegen ich mir das Aufbereiten der Zeichnung mal erspare. Auch die Nachbarin, 2715, blieb eine ovale Fläche mit nur mäßig hellem Zentralgebiet.


Es kam mir nun milder vor, zog mich aber trotzdem auf die Bank am Schuppen zurück, um meine Schuhe zu wechseln. Bis dahin sprang ich noch in den Lauflatschen herum. Die Zirrensuppe hatte sich wieder großflächig verteilt. Hmmm. Zitat aus dem Notizbuch: „Seeing ist richtig sche*ße.“ Es schien mir vernünftig, die Zielregion zu wechseln. Der Löwe war frei und steuerte stramm auf den Berghang zu, sodass ich mich dafür entschied.



Eine nette, leichte Gruppe steht nur ein Stück östlich von Gamma Leonis und war mit einem Klebepfeil ausgewiesen. Zu NGC 3222/6/7 hatte ich mir keine Notizen gemacht, sondern mich nur auf die Zeichnung beschränkt. Während die beiden hellen 3226 und 3227 direkt nebeneinander lagen und sich fast berührten, lag die dritte im Bunde weiter abseits und war wesentlich schwächer.

Gleich nebenan liegt eine berühmte Gruppe, mit der ich mich auch mal zeichnerisch auseinandersetzen wollte. Hickson 44. Dazu brauchte es auch keine allzu großen Worte mehr.

Das nächste Objekt erregte mein Interesse aufgrund seines Eigennamens „Silverado Galaxy“, NGC 3370, direkt im Bauch des Löwen gelegen. Eine glatte Enttäuschung. Das lag allerdings nicht nur an dem Objekt, sondern auch an mir – ich war nicht mehr ganz taufrisch und steuerte geradewegs auf ein Müdigkeits-Tief zu. Ich wünschte mir Uwes Thermosflasche mit dem rettenden Kaffee herbei, aber die war gerade im Harz. Seis drum... Silverado, ja! Zitat aus dem Buch: „Macht nicht viel her“, denn es zeigte sich lediglich ein rund-ovaler, strukturloser Nebel mit hellem Kernbereich. Nahezu homogen und gut abgegrenzt vom Hintergrund.


Das entspannte Beobachten fiel zusehends schwerer und die Augen verkrampften schnell. Ich machte eine kleine Pause bis 00:30 Uhr, während sich über uns die Suppe langsam auflöste. Eine weitere berühmte Gruppe stand auf dem Zettel, die ich bis dato noch nicht gesehen hatte: Copeland’s Septett. War in dem Augenblick allerdings eine aussichtslose Geschichte, denn außer ein oder zwei schwachen Fusseln sah ich nichts. Meine müden Augen streikten und waren für das schöne Grüppchen nicht mehr aufnahmefähig. Wird irgendwann nachgeholt… Verdammt. Ich ging etwas umher und legte mich dann auf meine Picknickdecke, was aber ein böser Fehler sein kann, denn wenn man erstmal einnickt, kühlt man schnell aus, kommt erst recht nicht mehr gescheit in die Gänge und kann praktisch sämtliche Beobachtungsambitionen an den Nagel hängen. Na… Lieber nicht, denn der Himmel war nun richtig gut. Kurz darauf sprang ich wieder auf und sprintete den prima Asphaltweg hinauf. Die Lebensgeister kehrten merklich zurück und die frische Landluft tat den Lungen gut. Erstaunlich, dass das immer wieder funktioniert!



Ab 01:00 Uhr war ich wieder so halbwegs regeneriert, dass es weitergehen konnte. Norman war in der ganzen Zeit fleißig am Beobachten gewesen und schwärmte pausenlos von seinen Superthin-UGCs und Arps, die er sich rausgesucht hatte. Mich zog es nun zur nächsten Hickson-Gruppe, Numero 58. Ich überlegte, ob ich die nicht schonmal vorm Spiegel hatte, denn sie kam mir verdächtig bekannt vor, konnte mich aber partout nicht mehr erinnern. Drei der Mitglieder reihten sich schön nebeneinander auf; ein vierter und fünfter Nebel, etwas schwächer, standen nördlich davon.

Es folgte ein weiterer Abstecher zu der Gruppe NGC 5490 IC 982 IC 983, zu der ich mir aber weder Notizen, noch eine Skizze machte. Ebenso wie der Besuch beim berühmten Seyfert’s Sextett. Das sind so Dinge, die wollten einfach nicht mehr durch den Sehnerv. Da liegt es nahe, sich mal wieder ‘nen gescheiten Sternhaufen rauszusuchen, die mich sowieso immer begeistern und aus jedem noch so blöden Motivationstief rausreißen können. Der Herkules stand hoch im Südosten, da gibt’s bestimmt noch was Nettes…


Bingo! Webb 2 mit dem Eigennamen „Ruby Ring“. Schon beim Aufsuchen eine Überraschung. Dass solche Schmankerl denn nicht bekannter sind, ist mir ein Rätsel. Es zeigte sich ein schöner, ovaler Ring aus geschätzt 20 Mitgliedern, der im südlichen Ringteil unterbrochen war. Das Highlight war ein sehr heller, goldoranger Stern, der sich in der Osthälfte befand. Toll. Norman riskierte einen Blick; ihn erinnerte die Form eher an einen Igel. „Zeichnest du grad?“, fragte er später. „Ja, den Igel-Haufen, kann ich aber auch kurz unterbrechen.“ In seinem Dobson war eine nette spindelförmige Galaxie zu sehen, die er herzeigen wollte.

Es war bereits 02:45 Uhr (was in dieser Nacht eigentlich nicht existiert – ich rede noch immer von der Winterzeit) und über den weißen Bergkämmen krochen die Scheren des Skorpions hinauf, und der dunstig-trübe Antares. Komischer Kontrast. Im Osten lag das Milchstraßenband fast noch parallel zum Horizont, abgeschwächt durch die zarte Suppe in den höheren Atmosphärenschichten. Das ganze Frühsommerzeugs wird beim nächsten Neumond wesentlich besser zu sehen sein, und ich musste grinsen. Das SQM-L zeigte 21,56 an. Nicht allzu aussagekräftig, doch an eine Grenzgrößenbestimmung traute ich mich mit meiner getönten Brille nicht ran. Norman sprach von seinem nun geplanten Galaxien-Hopping und jammerte darüber, dass er ein paar seiner geplanten Objekte verpasst hatte. Ich hatte einen Blick auf seine Liste werfen können – da stand noch viiiiel auf dem Plan.

In der Nähe von meinem vorigen Ziel fiel mir eine Konstellation aus Galaxie und Haufen auf, die mich anlockte. Naja. Viel hatte ich nicht erwartet. NGC 6575 war mit 14 mag nicht der absolute Brüller, ein langweiliger ovaler Ball, und die Haufenkomponente, IC 1278, war in ihrer Winzigkeit kaum der Rede wert. Es war ein nebliger, unförmiger Mini-Klumpen zu sehen, der sich schwer in seine Bestandteile auflösen wollte.


Es folgte ein Spaziergang zu einer 500m entfernten, kleinen Kapelle mit Madonnen-Statue und erloschenen Kerzen. Abgesehen vom eh dunstigen Bereich des Nordhorizontes war der restliche Himmel wieder frei. Norman hörte die ersten schwachen Rufe eines Waldkauzes; ansonsten herrschte eine Totenstille in der Gegend. Nun ist die Dämmerung auch nicht mehr fern.


Mein letztes Objekt war ein PN, den ich mir im Atlas hervorgehoben hatte. NGC 6058, auf der anderen Seite des Herkules. Ich tat mich schwer mit dem Aufsuchen, doch letztendlich tauchte das Teil unmissverständlich im Okular auf. Eine oval-runde Scheibe, eingerahmt von einem kleinen Dreiecksmuster. Abgesehen vom hellen Zentralstern sah ich lediglich eine homogene Fläche. Norman, der zwischenzeitlich wieder mit Stativ und Kamera auf dem Gras rumlief, konnte das dunkle Innere erkennen. Grundgütiger, waren meine Augen denn wirklich schon so fertig? Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass das Seeing über die Nacht hin konstant miserabel blieb. Mit bloßem Auge blinkte alles wie verrückt und im Teleskop waren die Sterne fett und aufgebläht. Da kann das mit den PN ja auch nichts werden…


Laut Uhr war es nun schon irgendwann nach 4 (also 5 Uhr Sommerzeit) und so allmählich wich neben dem Wendelstein die Nachtschwärze dem drohenden Dunkelblau des beginnenden Morgens. Die Berggipfel waren wieder deutlicher zu erkennen. Wir latschten über die Wiese, um herauszufinden, ob das Seeing am Ostende vielleicht besser war und wir beim Windmast nur der Nähe zu den Berghängen zum Opfer fielen. Aber es war überall gleich grottenschlecht.


Norman begann mit dem Abbau seiner Gerätschaft und auch ich räumte das Chaos auf, das sich um mich herum ausgebreitet hatte. Soweit es erstmal möglich war, zerlegte ich die Blaue Tonne in ihre Einzelteile, ehe ich wieder die Schuhe wechselte und zum Auto sprintete. Ich war überrascht, keine Eisschicht und keinen Beschlag auf den Scheiben vorzufinden, was für eine konstant niedrige Luftfeuchtigkeit sprach. Im Armaturenbrett blinkte „-1°C“ und warnte mich vor eventuellem Glatteis. Nee, war nicht der Fall. So langsam und leise, wie ich nur konnte, steuerte ich den Berlingo vom Parkplatz, vorbei an den letzten Häusern und über den Weg, und behielt wachsam den Rückspiegel im Auge. Jeden Moment erwartete ich dort die brennende Forke eines zornigen Geitauer Bauern aufglühen zu sehen oder die fliegende Kugel einer Schrotflinte, die mir das Kennzeichen zerschießt. Aber nichts dergleichen, zum Glück…


Das ganze Astrogeschmeiß landete nach und nach im Wagen, während die Venus über den Bergen aufstieg und sich erste Schleierwolken blassrosa einfärbten. Die Antenne auf dem Wendelstein ragte wie ein mahnender Finger in den stahlblauen Himmel und die Rufe des Waldkauzes wurden lauter. Herrliche Stimmung auf diesem tollen Platz! Schade, dass die Stunden so schnell vorübergingen, und ich zwischendurch auch noch rumschwächelte. Wann wir letztendlich losfuhren, weiß ich gar nicht mehr; nur noch, dass Michael Jackson im Radio lief. Anhand der Sendehistorie von Bayern 3 lässt sich jedoch die Abfahrtzeit rekonstruieren: Zwischen 06:14 und 06:18 Uhr. Der Rückweg war landschaftlich äußerst reizvoll, da der Himmel eine strahlend blaue Farbe annahm und die Sonne auf der A8 wieder als tieforange Scheibe am Horizont erschien, doch gegen meine Müdigkeit im warmen Auto musste ich irgendwie ankämpfen. Zum Glück ging das schneller vonstatten als die Anreise, da die Münchner Straßen noch halbwegs leer waren. Und selbst meine größte Angst – kein freier Parkplatz im Umkreis von 20 km – stellte sich als unbegründet heraus. Ich konnte tatsächlich einen günstigen Stellplatz kapern. Standesgemäß und vorbildlich rückwärts eingeparkt – ich will mir ja wohl keine blöden Klischees nachsagen lassen.


Und so endete dieser einzigartige kleine Astro-Trip in die Voralpen, der viel Freude bereitet hatte, wennschon auch der Großstadtdschungel die pure Hölle war. So spannend, wie das Reinfahren am Freitagnachmittag war, gestaltete sich auch die Abreise am Montagmorgen im dichtesten Berufsverkehr, als lange Staus auf den Ausfallstraßen das Vorankommen erschwerten und ich mich im Petueltunnel mehrfach verfranzte. Schon lustig, irgendwie…

 



Ein Beobachtungsbericht von AKE

Magdeburg, 01.04.2014

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