25./26.04.2014 - Willkommen auf der Insel!

Oder was ganz andres: La Palma :-)

Diese Worte, geschrieben von einem gewissen Norman G. an eine gewisse Anne E., brachten etwas ins Rollen, womit ich im Leben überhaupt niemals gar nicht gerechnet hätte. Es begann mit der harmlosen Überlegung, zum Neumond April/Mai einen Astroausflug in die Alpen zu starten, sofern das Wetter passen sollte. Wie kam es dann plötzlich dazu, dass, einen Tag nach dieser erwähnten Mail, schon die ersten Planungen für den Urlaub zum kanarischen Astro-Mekka, mit einem netten 12-Zöller im Gepäck, unternommen wurden? Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Die Gelegenheit war einfach günstig, und wenn sich Einem solche Möglichkeiten auftun, wär man schön blöd, sie nicht zu nutzen.


Zwei Leute, die keinen richtigen Plan hatten, sich kaum kannten und nach einer Woche schon die Flugtickets gebucht hatten – ohne Reiserücktrittversicherung! Es gab also kein Zurück, wir fliegen nach La Palma, vom 25.04. bis zum 04.05. Nachdem die Details bzgl. des Flugs geklärt waren, ging es auf Suche nach einer passenden Finca an einem guten Standort. Wir hatten einige Hütten zur Auswahl, befanden letztendlich das „Casa el Colmenero“ bei Llano Negro für ideal, sowohl von der Nähe zur LP-4, die zum Vulkan raufführt, als auch der Abgeschiedenheit, Horizontsicht, Höhe (1.025 m) – und natürlich das allgemeine Ambiente. Ein spanischer Traum in Pink. Zeitgleich reservierten wir uns einen Mietwagen, „Klasse C“, wobei wir über die mangelnden Angaben der Autofirma rätselten. Nichts Genaues weiß man nicht, aber bitte keinen kleinen Fiat Panda, sondern was halbwegs Gescheites für die Berge...


Nachdem auch das geklärt war (keine zwei Wochen nach besagter Mail), stieg die Vorfreude unaufhörlich an und die weiteren Aspekte der Reiseplanung konnten angegangen werden. Was mitnehmen? Wie aufteilen? Wie sind die Freigepäckgrenzen der beiden Airlines? Was kommt ins Handgepäck, was in den Koffer? Wie soll das Teleskop verpackt werden? Normans Dobson ist zum Glück ein pures Reiseteleskop, das sich gut zerlegen lässt. Der Hauptspiegel im Handgepäck, die Kiste geht in seinen Koffer, und die teilbaren Stangen sollte ich nehmen, damit keine Gewichtsgrenzen überschritten werden. Die weiteren Aspekte: Wie wird das Wetter? Was soll man beobachten? Was KANN man beobachten? Welche Objekte des Südhimmels (der auf La Palma natürlich nur angekratzt wird) müssen einfach vor den Spiegel kommen? Und, ganz wichtig: Wer schreibt hinterher den Bericht?


Die letzten Tage vorm Abflug vergingen... hachja... wie im Flug. Zig Male Probepacken, den Koffer auf die Waage hieven und überlegen, was man nicht braucht und rausschmeißen könnte. Ich hatte außerdem versucht, mich mithilfe von Google Streetview auf die Straßenverhältnisse vorzubereiten, die uns dort erwarten sollten. Trockenschwimmübungen am Computer, die auch viel Vorfreude beschert hatten und die Ungeduld wachsen ließen.

Am Freitag, den 25.04., um 03:45 Uhr, verließ ich meine Wohnung und rollerte den Koffer durchs nächtliche, vernebelte Magdeburg, um den Fernbus nach Berlin zu nehmen, wo ich mich mit Norman treffen und zum Flughafen Tegel aufbrechen wollte. Zu dem Zeitpunkt hatte ich seit etwa 23 Stunden kein Auge mehr zugetan, und dies sollte sich bis nach Mitternacht auch nicht mehr ändern. Aus unerfindlichen Gründen war ich schlichtweg aufgedreht. Nach dem freudigen Wiedersehen wurschelten wir uns durch die Hauptstadt, eingepfercht in einem engen Bus und spazierten – dank vorigem Check-In via Internet – locker und entspannt durch den Airport. Kein Ärger mit dem Gepäck; alles ging gut, alles ging rasch, alles super, alles fein. 09:15 Uhr hob der Airberlin-Vogel ab. Wir ließen den Hochnebel, der Deutschland beim Wickel hatte, unter uns zurück und starteten geradewegs in den sonnigen Süden.

Der Flug verlief völlig problemlos und am frühen Nachmittag betraten wir den heiligen Boden La Palmas. Unfassbar, dass wir hier waren! „Wie ist das denn jetzt passiert?“, wunderte ich mich, und nicht nur einmal. Das Gepäck kehrte zu uns zurück und wir bahnten uns den Weg zu unserem Mietwagen, der in der Tiefgarage auf uns wartete. Es handelte sich um einen… Fiat Panda. Ja, wunderbar. Super. War klar. Vor der Reise zur Finca hatte ich am meisten Bammel, da die Gegend und das Fahrverhalten des Wagens ja völlig fremd war, StreetView hin oder her. Zwar hatte ich mir mehrere Streckenoptionen ausgedruckt, letztendlich aber nur eine einzige Lehre daraus gezogen: Vertraue niemals auf den Routenplaner von GoogleMaps. Der schickt dich sonstwolang. Über die völlig verkorkste erste Autofahrt, die mir einen halben Nervenzusammenbruch beschert hatte, weil wir unvermittelt in einer steilen Sackgasse gefangen waren, wo Handbremse und Motor ihren Dienst versagten, und die LP-1 plötzlich gesperrt war, möchte ich ansonsten nicht weiter referieren und breite den Mantel des Schweigens über dieses dunkle Kapitel. Zumindest die Ausblicke aufs Meer entlang der sonnenbeschienenen, aber windigen Ostküste waren wunderschön.

Wie dem auch sei, mit einer klitzekleinen Verzögerung (die Uhrzeit wird nicht verraten) trafen wir uns in der Ortschaft Llano Negro mit der Finca-Besitzerin, die uns zum Domizil führte und die Schlüssel übergab. Was für ein schönes, abgelegenes Gebäude, einfach ideal, wie wir uns geschaffen. Rote Geranien blühten am gemauerten Eingang, wo zahlreiche kleine Echsen zwischen die Felslöcher schlüpften und sich im warmen Licht sonnten. Innen war alles sehr urig und liebevoll eingerichtet; warme Holzböden und –decken, eine kleine Küche, eine hübsche Wohnstube, saubere Zimmer und eine „Rumpelkammer“, in der Norman ausgiebigst seine Trilliarden Einzelteile verteilte.


Hauptort war jedoch die Terrasse und die nebenliegende Wiese, zu der eine Treppe hochführte und die etwa zwei Meter höher lag. Von hier hatte man eine gute Südsicht. Nicht bis ganz unten, denn da war ein Hang im Weg, doch durchaus recht tief. Im Westen ging der Blick ungetrübt bis aufs theoretische Meer, wenn sich dort nicht immer (!) ein Wolkenteppich aufgehalten hätte. Im Norden und Osten reichten die Berghänge höher, doch das war ja eigentlich kein großes Drama. Wie wussten direkt: Das war der Beobachtungsplatz schlechthin. Komfortabel dank großem Steintisch unten auf der Terrasse und einer betonierten Ablage oben, die sich neben dem massiven Schornstein des Kamins befand. Außerdem gab es mehrere Möglichkeiten, sich hinzustellen, und im „Notfall“ ist der Weg zur Hintertür nicht weit. Das Teleskop konnte hinterher im aufgebauten Zustand verbleiben und musste lediglich ins Haus zurückgetragen werden. Kein Geräume, kein Gepacke, keine lange und müde Autofahrt. Was für ein Luxus.



Auf meinem Nonstop-wach-Konto standen nun etwa 38 Stunden, aber für eine Rast oder Abendbrot blieb keine Zeit. Draußen war es klar, die Abendsonne schien wie irre, und die erste Beobachtungsnacht stand an; abgesehen davon mussten wir unser Gepäck organisieren. Norman machte sich sogleich an den Aufbau des Dobsons und wir bestaunten die wundervolle Stimmung auf der Terrasse. Die letzten hellen Lichtstrahlen ließen Gutes verheißen und tauchten unsere Umgebung in warmes rotes Licht. Harmonierte super mit der Wandfarbe unserer Finca. Wahnsinn, der erste Abend, und dann gleich so ein Glück! Der Sonnenuntergang war wie aus dem Bilderbuch und geziert von einem Wolkenfetzen, der scheinbar in winzige Einzelteile auseinanderbröselte, die, von unten angeleuchtet, wie geraspelte Goldspäne daherkamen. Mit der richtigen Perspektive hatte man die wogende, bunt blühende Flora im Vordergrund – wie kitschig! Sehr eindrücklich und irre schön. Mit dem Verschwinden der Sonne um 21:00 Uhr kam sogleich ein leichter Wind aus östlicher Richtung auf, der während der restlichen Nacht bestehen bleiben sollte, aber nicht so stark war, dass er zu sehr gestört hätte. Rings um uns, in den hohen Gräsern und Blumen, zirpten die lautstarken Grillen und die letzten Vögel zwitscherten in den Kiefern. Mannomann… Das kann ja was werden hier.

Das Magenknurren ließ sich nicht mehr ignorieren und ich schmierte mir Stullen, die ich oben auf der Betonplatte verspeiste, nachdem Norman den Dobson auf die Wiese getragen, und sich über die Magneten seines Rigel-Suchers geärgert hatte. Es wurde immer dunkler und die ersten Lichter, Jupiter allen voran, setzten sich vom dunklen, tiefblauen Himmel ab, der zum Westhorizont hin in allen Farben abgestuft war. Das einst goldene Wolkengeraspel hatte sich aufgelöst; es war glasklar da oben. Ich saß auf dem Boden und schrieb die Notizen in mein Beobachtungsbuch, als direkt links von mir ein leises, quiekendes Geschrei ertönte. Was war das denn? Immer noch mein Magen? – Nee. Was da desöfteren so „rumatterte“, waren die kleinen Echsen, die hier überall unterwegs waren und noch die letzte Wärme auskosteten, die im dunklen Gestein gespeichert war. Die Luft war, trotz des flauen Windes, angenehm mild und es ließ sich noch lange in relativ dünnen Klamotten aushalten. Ein Thermometer hatten wir leider nicht bei der Hand.


„Ich überlege schon die ganze Zeit, ob da das Zodiakallicht zu sehen ist“, sagte Norman, woraufhin ich mich ebenfalls gen Westen wandte und einen Schreck bekam. Was ist denn da los??! Ein gigantischer, fetter, pyramidenförmiger Beamer schoss aus dem Wolkenmeer empor und wuchs mit zunehmender Dunkelheit höher und höher. Das hellste, stärkste Zodiakallicht, das ich bis dato je gesehen hatte. Wir konnten es nicht fassen und wunderten lange herum. Die vertrauten Sternbilder des Orion und Großen Hundes standen ungewohnt weit oben und in einem obskuren Winkel leicht verkippt, der bereits für Verwirrungen ausreichte. Darunter waren Sterne zu sehen, die ich nicht kannte. Auf der anderen Seite glühte schon der Mars in seinem ruhigen, roten Glanz, doch alle anderen Lichter flackerten heftig und kündigten das schlechte Seeing an. Immer wieder ging der Blick zu dem unwirklichen, monströsen Zodiakallichtkegel, der mittlerweile bis in den Löwen reinragte – bis über den Zenit hinaus! Ebenso knallig kam die Wintermilchstraße daher, die wir bis zum Horizont hinunter verfolgen konnten. Besonders faszinierend war jene Stelle in den Zwillingen, wo sich die „Vía Láctea“ mit dem Zodiakallicht kreuzte.

Nun, so ab 22:30 Uhr, war es dunkel genug für das erste Deep-Sky-Objekt, und die Ehre wurde dem Pärchen M 81/82 zuteil. First light! Schon hier zeigte der Himmel, wo der Hammer hing, denn die Spiralarme von M 81 waren im 12-Zöller leicht und problemlos zu erkennen. Nach Holmberg IX hielten wir auch Ausschau, doch sicher waren wir uns nicht. Die Supernova in der zerfressen wirkenden M 82 war zwar noch zu sehen, war allerdings bereits stark verblasst und vom Licht der Galaxie verschluckt.


Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mir zu den weiteren Objekten keine Notizen gemacht hatte. Die Erinnerung reicht nur noch bis dorthin, dass ich in den Zwillingen unterwegs war – das Bild eines genialen M 35 hängt mir heute noch nach. Was wir ansonsten noch so angesteuert hatten, habe ich vergessen, denn die Müdigkeit nahte mit schnellen Schritten. 43 schlaflose Stunden, dazu eine grauenhafte, stressige Anfahrt und die allgemeine Reizüberflutung ob der Umgebung forderten ihren Tribut – ich musste dringend schlafen. Trotz der genialen Bedingungen. Ich wünschte Norman noch viel Spaß und Erfolg bei der weiteren Session und verabschiedete mich Richtung Kissen.

Ein Beobachtungsbericht von AKE

Mai 2014

Share by: