15./16.09.2023 - Vom Beobachtungsmodus ins mentale Nichts

Die Vorzeichen für die zweite Nacht standen etwas besser, da ich bis halb Acht schlafen konnte. Halb Acht! 07:30 Uhr! Unglaublich. Der Tag war sonnig und warm... Für Mitte September eigentlich schon zu intensiv. Ich pendelte zwischen Spielplatz, Zelt, verschiedenen Leuten und dem Vereinsheim hin und her, und immer gab es etwas Neues zu entdecken. Irgendwie ging die Zeit schnell rum. Durch Normans Sonnenteleskop konnte ich zum ersten Mal richtige Protuberanzen sehen, die wie kleine rote Bäumchen aus dem Rand des Sterns herauswuchsen. Coole Sache.

Die Fachsimpeleien in der Deep-Sky-Ecke waren immer besonders interessant; Teleskopkonstruktionen wurden begutachtet, Objekte durchgesprochen, Bücher durchgeblättert und um Okulare gestritten... Die Skizzen der vorangegangenen Nacht durchschaut... Wie machst du es? Wie sieht das bei dir aus? Welche Stifte hast du, welches Papier? Scannen oder Abfotografieren? Mit DSS-Vorlage am Teleskop oder ohne? Mit, aber ich hab die Ausdrucke zuhause vergessen. Wofür? Was, auf der Silvretta kann man nicht mehr beobachten? Ja, da wurden schon Leute verjagt. Schade, dabei soll die Gegend so schön zum Wandern sein. Der Parkplatz geht noch, aber sonst, blöd. In der Rhön werden auch Leute verjagt. Lässt du die eigentlich Brille auf? Was für ein Doppelstern ist das, wo steht der? Das sieht ja interessant aus. Ah, den kenne ich. Den kenne ich nicht. Für die Sharpless musst du mal bei Reiner Vogel auf die Seite gucken. Also, das Seeing an eurem Platz ist schon sagenhaft... Wir standen dort schon mitten in der Wolke und haben beobachtet, weißte noch? Das beste Seeing habe ich auf dem Roque erlebt; das ist dann ärgerlich, wenn einem bei 600x die Hardware ausgeht. Deine Deep-Sky-Artikel im Magazin, ohne die sähe es in den Printmedien ganz mau aus mit dem Visuellen. Was, findest du? Danke. Ist aber auch immer viel Arbeit und oftmals frage ich mich, wofür. Für Filterspektren musst du mal bei Reiner Vogel auf die Seite gucken. Ich muss kommende Nacht UNBEDINGT wieder strukturierter rangehen, ich habe NUR bei anderen durchgeguckt und gequatscht. Haha, ditt wird doch nüscht bei dicke! Guck dir mal meine Fangspiegelheizung an, das ist ein ganz verrücktes System. Oha, ja, jaaa, SOWAS habe ich noch nie gesehen, wer macht denn sowas? In der vorletzten Nacht hatten wir Neptun gesehen mit gleich vier Monden! Was, VIER Monde??! Wer hat eigentlich dein Teleskop gebaut? Die Baupläne waren vom Reiner Vogel, da musst du mal bei ihm auf die Seite gucken. Was, SO viele Zeichnungen?!! Ja, aber viel ist einfach nur entstanden, um die Position zu überprüfen; was sich nicht bestätigt, wandert gleich in den Mülleimer. Achso. Deep Sky Atlas: Normal-Version oder Premium? Ich bin immer noch am trocknen, weil sich die Nässe zwischen den Seiten hält. Wofür sindn die Löcher da? Hast du eigentlich durch Kais Nachtsicht-Bino geguckt? Ja, booooaah, war das krass. Ich finde Werners Stuhl richtig cool, das hat echt Stil. Ja, stimmt, aber ich würde den nicht schleppen wollen. Was hast du für die kommende Nacht geplant, wo soll es hingehen? Pegasus Dwarf? Ich hab mir einen Beobachtungsführer von Alvin Huey runtergeladen und ausgedruckt. Zeig mal den Deep Sky Guide her, kenn ich noch nicht. Cirrus Süd? Quasare? Sternhaufen, ja! Für Supernova-Reste musst du mal bei Reiner Vogel auf die Seite gucken. NGC 973? Das OdM, das habe ich heute Nacht schon gemacht! Und ansonsten? Ahhh! Am liebsten alles auf einmal!

Die bevorstehende Nacht war gefühlt schon vorbei, wo sie noch nicht mal begonnen hatte.

Der sonnig-heiße Tag neigte sich irgendwann dem Ende zu. Die Schatten über der sandigen Wiese wurden länger und länger, was sehr angenehm war, da man der Hitze nicht mehr ausgesetzt war. In meinem nordöstlichen Eck hatte ich zuerst den Schatten und genoss es sehr. Am Fressstand ergatterte ich eine Bratwurst fürs Kind und leckere Kartoffelecken für uns beide; wieder saßen wir auf der Picknickdecke neben dem Teleskop und schlugen uns die Bäuche voll. Nebenbei blätterte ich im Atlas und entdeckte sowohl Karte 17 (Schwan) als auch Karte 8 (Kepheus), wo noch sehr viel potentielles Beobachtungsgut markiert war. Die Planung für die Nacht war also soweit gesichert. Als die Sonne weg war, machten wir eine letzte Runde um die Wiese, quatschten, kehrten nochmal im Vereinsheim ein und warfen am Zelt wieder den Anker. Die tagsüber völlig entspannte Stimmung wurde fiebrig und wuselig. Wer nicht auf den Bierbänken am Rost saß, werkelte fleißig an seinen Geräten, steckte letzte Kabel zusammen, klickte sich durch die Kameradisplays oder hüllte sich in die Kälteanzüge. Werner war schon dick im schwarzen Overall eingepackt und Hajü saß auf seinem Stuhl, mit einem fest entschlossenen Gesichtsausdruck, als würde er gleich mitsamt seinem 12-Zöller in den Krieg ziehen. Alle voll im Beobachtungsmodus.

Bevor meine Tochter ins Zelt verbannt wurde, zeigte ich ihr die ersten Sterne, die zu sehen waren - wie versprochen das Sommerdreieck und Saturn, der über den Bäumen schon zu sehen war. Kalter Kaffee? Von wegen! Wenn man sieht, wie das Kind vor lauter Staunen die Augen aufreißt, in den Himmel guckt, nach oben gestikuliert und vor lauter Begeisterung "Vega! Da ist die Vega!" ruft, da geht einem das Herz auf. Da ist es völlig wurscht, wie oft man selber den ganzen Kram schon gesehen hat - man teilt die entfachte Begeisterung, so als würde man selber gerade das Sommerdreieck ganz neu am Himmel entdecken. Einfach nur schön. 

Es war zum Glück etwas wärmer als am Vortag, sodass es mit der Deckenschlacht nicht ganz so wild vonstattenging... Sie schlief schnell ein und 21:00 Uhr trat ich wieder ins Freie. Es war dunkel. An meinem Dobson glomm der rote Knicklicht-Ring von Rene. Rotlicht überall. Gelächter, Unterhaltungen, freudige Rufe über erste entdeckte Objekte. In aller Munde: Der Cirrus. Hajü hatte sich vorgenommen, den Südbogen anzugehen. Zweites Objekt, das viel diskutiert wurde: Der Parachute in Andromeda. Die Milchstraße setzte sich klar und strukturiert ab - ich fand es deutlich besser als am Vortag. Es ging ein ganz leichter Wind, der Hajüs Müllbeutel rascheln ließ und mein schlabberiges Zelt zum Flattern brachte. Ich hatte zum Glück die Heringe tagsüber mit einem Besen etwas stärker in den Boden gekloppt... Sollte halten... Hoffentlich. Die sachte Brise wehte aber auch die Feuchtigkeit davon. Man war sich einig, dass es bedeutend trockener war. Leute stapften an meiner Ecke vorbei; ich hörte sie zuerst anhand der raschelnden Hosen, bevor ich eine dunkle Silhouette sah. Starlink tauchte wieder auf - die Satelliten waren sichtlich weiter auseinandergezogen, und irgendein helles Objekt leuchtete am Südosthorizont vor sich hin, bevor es sich als Flugzeug enttarnte.

Erstes Objekt: Der Offene Sternhaufen Kronberger 45. Gleich mal eine kleine Nuss zum Anfang. Im Übersichtsokular sah ich helle, klumpig wirkende Vordergrundsterne. Bei 138x: Das zentrale Sternenpaar schien rötlich zu sein; ich suchte nach etwas schwachem, haufenartigem... Schwierig. In der Nachbetrachtung war der Cluster eigentlich gar kein sehr anspruchsvolles Objekt, denn anscheinend bestand er nur aus den helleren Sternen, die in einem eckigen Muster angeordnet sind; schwächere Mitglieder hatte er gar nicht. Aber wenn „Kronberger“ irgendwo dransteht, machte ich mich immer schon auf das Schlimmste gefasst.

Meine Beobachtung wurde unterbrochen, weil Kai seine Runde machte und mich zu seinem Riesen-Dobson einlud, der gerade mit Nachtsichtgerät und H-Alpha-Filter bestückt war. Ich folgte ihm neugierig und hielt mich exakt an seine Marschroute – denn ich vertraute ihm, dass er sämtliche abgespannten Zeltschnüre in seiner näheren Umgebung schon kannte und jeder Stolperfalle blind auszuweichen wusste. Kais Nachführassistent Martin stieg von der Leiter, um mir Platz zu lassen. Blick durchs Okular: Aha, ja, ein großer heller Nebel mit irgendwelchen schwarzen schlauchförmigen Gebilden drin. Das soll M 16 sein, der Adlernebel. Joah, schöne Strukturen. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe bei mir der Groschen fiel… Die Säulen der Schöpfung! Uff! Da standen sie, im wahrsten Sinne des Wortes, schwarz auf weiß, wie ausgestanzt vor dem blendend hellen Nebel. Boah. „Ach du Scheiiiße, scheiße, ist das krass“, war mein ungefiltertes Urteil straight from the heart. Extreme Situationen erfordern eine extreme Wortwahl… Ich bin nicht stolz drauf. Aber es ist die Wahrheit. Ich verfolgte irritiert die ganze Landschaft, ohne die typischen Konturen von M 16 überhaupt wiederzuerkennen… Der Nebel hatte gar keine Konturen mehr, der war einfach enorm ausgedehnt. Unglaublich. Ich stieg vorsichtig herunter, damit Assistent Martin zu M 17 schwenken konnte. DEN erkannte ich tatsächlich… Der sah nämlich 1:1 wie auf Fotos aus. Die typische Schwanen- oder Omega-Form. Und zerfleddert, zerfasert, zergliedert bis ins Zentrum hinein. Im Inneren die Struktur wie schraffierter Schiefer. Der „Schwanenkopf“, der sich um die westliche Einbuchtung schmiegt, formvollendet gebogen und auch zerfressen von irgendwelchen dunkleren Einkerbungen. Nach außen hin nahm der Nebel gar kein Ende mehr; nach Osten hin schloss der Schwan mit einem weitläufigen Bogen ab. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, und fühlte mich ob der immensen Detailfülle komplett überfordert. „Der H-Alpha-Filter macht rote Wasserstoffregionen grün“, lachte Kai, und er hatte Recht: Beide Nebel waren bis in die Außenbereiche grüngrau eingefärbt. Wenn das jemand hätte zeichnen wollen, wäre die ganze Nacht über ruhiggestellt… Nein, eine Nacht hätte nicht gereicht dafür. Ich bedankte mich für die Impression und schied mit den ernüchterten Worten davon: „Ich geh dann mal wieder zurück zu meinem Kronberger 45… Das Kontrastprogramm…“


Meine einzige Notiz zu diesem Erlebnis lautete:

Ich bahnte mir kopfschüttelnd den Weg durch trügerische Zeltschnüre und Stativbeine zurück zu meinem Dobson. Da stand er, der Kleine, bereit für die nächsten Abenteuer. Ich beendete noch meine Skizze zu Kronberger 45 und ging dann zum nächsten Objekt über, Minkowski 4-17. Mit Positionskenntnis („wenn man weiß, dass da was ist…“) war das schwache, runde, kleine Scheibchen überraschend leicht zu sehen. Bei höherer Vergrößerung blieb er kreisrund. Nahe des Zentrums setzte sich für einen kurzen Augenblick ein zentraler Helligkeitspeak ab, was sich aber kein zweites Mal reproduzieren ließ. Bei 380x kamen keine neuen Erkenntnisse hinzu – es blieb bei einer strukturlosen, runden Scheibe.

Nachfolgend gab es Kronberger 78. Immer, wenn ich einen Kronberger aufsuche, sehe ich Matthias‘ Gesicht vor meinem geistigen Auge und würde ihm am liebsten den Hals umdrehen. Das war einer dieser typischen Kronbergers… Nix einfach. Westlich eines helleren Feldsterns schlängelte sich eine langgezogene Sternwolke entlang. Sehr schwach. Es blitzten immer wieder viele Einzelsterne hervor, die aber genauso gerne wieder verschwanden. Ich machte eine Zeichnung des Gesehenen – unsicher, ob ich überhaupt richtig war – und ärgerte mich über diese langgezogene, nebulöse Sternschlange. Was für ein Ätz. Nettes Nebengeschehnis: Während der Beobachtung ertönte vom südlichen Ende der Wiese plötzlich ein lautes, leidenschaftliches Wolfsgeheul. Irgendjemand machte sich da gerade einen Spaß... Hajü und Werner lachten, jemand applaudierte. Wenn ich es richtig rausgehört hatte, was das Rene, der da einen lustigen Insider zum Besten gegeben hatte. Nette Abwechslung!

Während ich an der Zeichnung arbeitete, ging außerdem noch plötzlich ein lautes, überraschtes Raunen über die komplette Wiese. „Woaaaah!“, „Oaahr!“, „Wahnsinn!“, rief es aus jeder Ecke. Ich schaute schnell auf, aber es war nichts zu sehen. Vermutlich war ein heller Bolide aufgetaucht, der die Massen entzückte und noch Minuten später Gesprächsthema war. Mich zog es anschließend zu SS Cygni und dem Galaxientrio, welches sich östlich davon befindet. Bezeichnungen sind Schall und Rauch, weswegen diese Kombi bei mir nur unter „3 UGC-Galaxien bei SS Cygni“ verzeichnet war, aber natürlich haben die Objekte auch eigene Katalognummern: UGC 11797, 11798 und 11801. Ein hübsches Grüppchen, aber nicht gerade leichte Kost. SS Cygni, eine wiederkehrend ausbrechende Zwergnova, war nicht zu sehen bzw. nicht augenscheinlich auffällig, aber der östlich stehende, deutlich hellere Nachbarstern gab eine gute Orientierung. Nachdem die Position erstmal eingegrenzt war, ging es an die Beobachtung… Zwei der Galaxien tauchten auf. Nicht durchgängig haltbar, aber immer wieder für ein, zwei Sekunden an derselben Position. Die östlichste war auffälliger als die mittlere; die westlichste (11797) wollte hingegen gar nicht auf meiner Netzhaut landen, obwohl die im Vergleich gar nicht sooo wild aussah. Zu dem Trio finde ich unterschiedliche Helligkeitsangaben, aber alle drei sind um die 15mag „hell“. In größeren Geräten sicherlich eine coole Kombination, und mit ein bisschen Glück erwischt man die Zwergnova auch noch im Maximum, welches bis 8mag reichen kann.

Boah! Das war Augenverbiegerei. Hilfe. Musste mich kurz sammeln, starrte ein, zwei Minuten einfach so nach oben und fuhr die Milchstraße entlang. Es wurde gelacht und gequatscht, in allen Dialekten und Sprachfarben – so schön bei großen Teleskoptreffen, man versteht sich einfach. „Starsense, des isch scho a richtig geile Sach!“ – „Den Saturn guck ich mir nochmal an, der hatte gestern so eine hübsche Mondstellung.“ Eine schöne Atmosphäre. Es war angenehm mild. Immer wieder prüfte ich die Temperatur des schlafenden Pakets im Zelt und konnte sogar eine Decke wegnehmen, weil sie es so mollig hatte. Hajü verkündete, dass er jetzt langsam zur Andromeda gehen will.


Und ich blieb im Schwan; es ging zu IC 1369, einem netten offenen Haufen in der östlichen Schwinge. Wow! Am besten wirkend bei niedriger Vergrößerung, wo sich die Verdichtung im reichen Umfeld besonders gut absetzt. Bei 138x verlor der Cluster ein wenig an seiner brillanten Wirkung, aber er war aufgelöst und zeigte sich reich und dicht bepackt. Etliche hellere und schwächere Sterne blitzten aus dem Nebelfladen heraus. Aufgelöst, aber eng. Notiz aus dem Buch: „Glitzerteppich“.


„Dör Perseus, dör sieht sö süperschön äus!“, sächselte es aus der Foto-Ecke. Ich prüfte nach – jo, kann ich nur bestätigen! Die ganzen schwachen Kronbergers und Berkeleys von Karte 17 sprachen mich nicht mehr an, deswegen machte ich auf Karte 8 weiter und suchte mal wieder die korrekte Orientierung des Kepheus-Haus. Inzwischen fand ich eine Eselsbrücke. Inmitten der riesigen Nebellandschaft von IC 1396 (elephant trunk) war ein verklumpter doppelter Doppelstern verzeichnet. STF 2816 und 2819 leuchteten mich im Okular an – mega schön! Notiz aus dem Buch: „3er System und 2. Doppel, alles in Farbe, voll toll“.

Minkowski 2-51 stand nicht weit weg. Bei 138x und mit [OIII] zeigte sich leicht eine kreisrunde Scheibe mit ein oder zwei stellaren Peaks im Inneren, die sich bei höherer Vergrößerung bestätigten. Im Atlas trug der PN den Namen „Little Ring Nebula“. Eine Ringstruktur drängte sich nicht gerade auf; hätte das nicht danebengestanden, wäre es mir kaum aufgefallen. Das Innere war zwar eine Nuance dunkler, aber die beiden Sternchen füllten es mit einer gewissen Blendwirkung so auf, dass man schon exakt hingucken musste. Trotzdem ein schöner PN! Bei 380x änderte sich außerdem die Form und Min 2-51 zeigte sich eindeutig oval. 

Kaum hatte ich die Zeichnung beendet und mental mit dem Objekt abgeschlossen, näherten sich zwei Personen, die sich als Norman und Mathias herausstellten. „Wir gucken dir jetzt einfach zu.“ Viel gab es nicht mehr zum Zugucken; bei fast 400x ist der PN sofort aus dem Okular gewandert. Lieber betrieben wir ausführliche Konversation. Mathias kam aus Erfurt angereist, hatte aber (trotz seines großen Fuhrparks) kein einziges Teleskop mit, weil er von den vielen zurückliegenden Nächten in August und September einfach eine Pause brauchte. Nachvollziehbar. Wie sie das Seeing einschätzten? „Gut“, war die einhellige Meinung. So war auch mein Eindruck. Mit bloßem Auge blinkten die Sterne zwar, aber das Bild bei 380x war ausgesprochen gut. „Ich kann… ähh… ich kann tatsächlich scharfstellen.“ Das bin ich von zuhause gar nicht gewohnt.


Delta Cephei war einer der angepriesenen farbigen Doppelsterne von den Freunden der Nacht. Hell und farbig bei Übersichtsvergrößerung… Wie viele gehören zu dem System? Da war echt viel los. Ein rötlicher Stern befand sich auch in der Nähe.

Es muss Richtung Mitternacht gewesen sein, als am Einlass noch einmal kurz Tumult war; daraufhin hörte man Motorgeräusche und ein Auto ohne Licht tuckerte langsam die Fahrspur entlang, vorbei an meiner Ecke. Vorneweg marschierte Rene. Das wird Sarah gewesen sein, die angekündigt hatte, in der Nacht noch dazuzustoßen. Mit Kumar 21 nahm ich mir nochmal einen anspruchsvollen Sternhaufen vor. Schon der Name war exotisch; hört sich ein bisschen so an wie ein irgendein angesagter Rapper von instagram, der es in die Charts geschafft hat. Ein Bild hatte ich nicht im Hinterkopf und rechnete mit dem Schlimmsten. Das Absuchen der Zielregion fiel mir ein schwacher, kompakter Nebelklumpen auf, der an einem Stern dranbappte. Der Eindruck blieb auch bei 380x. Es lösten sich dort auch einzelne schwache, stellare Peaks heraus, sodass ich mir recht sicher war, den Cluster tatsächlich identifiziert zu haben, aber insgesamt… Naja, das ist auch ein Sternhaufen der etwas spezielleren Sorte. Muss man mögen. Aber ich find' die cool.

Pismis-Moreno 1, den Sternhaufen kannte ich bereits. Den hatte mir Ronald Stoyan zehn Jahre zuvor im Ötztal empfohlen – nicht nur, weil der Sternhaufen ganz nett war, sondern auch wegen des innenliegenden Gasnebels. Bei meiner damaligen Beobachtung war davon aber nichts zu sehen; die Objektkombi lag seitdem immer im Hinterkopf abgespeichert, um sie irgendwann noch einmal zu probieren. Zweiter Versuch also beim HTT: Schöner Sternhaufen, ein großes, markant geschwungenes Dreieck… Aber leider weiterhin kein Sharpless für mich.


Mit Berkeley 93 wurde es auch nicht einfacher. Eine Gruppierung von schwachen Sternen sah ich. Drei sicher, ein vierter etwas schwächer. Alles vor nebligem Hintergrund. Höhere Vergrößerungen änderten nichts an diesem Eindruck.


Schon wieder wurde ich allmählich müde. Kreislauf in Schwung bringen, irgendwie. Kaffee wäre jetzt eine feine Sache! Für Kaffee würde ich jetzt meine Seele verkaufen. Ich ging ein bisschen umher, stapfte ins Kulturhaus, lief an Teleskopen vorbei. An meinem eigenen wieder angekommen schwenkte ich in den Pegasus zu NGC 7743. Hell und rundlich mit einem Vordergrundsternchen am Rand. Bei 200x sah ich einen Balken, der in der Mitte dick und breit war.

Ich baute geistig schon wieder massiv ab. Das merke ich oft konkret daran, dass ich nicht mehr in der Lage bin, mir die Starhops zu merken, die ich mir beim Blick in den Atlas zurechtgelegt hatte. Kaum wende ich mich dem Teleskop zu, schon ist alles ins mentale Nichts abgeflossen und ich weiß partout nicht, wo ich wie hinwollte. Erkenne keine Muster mehr wieder, bin völlig orientierungslos. Es zog im Kopf; die Erkältung der letzten Woche war längst nicht abgeklungen und drückte im Schädel. Meine Tochter schlummerte wie ein Stein im Zelt. Ich war neidisch. Ging umher, suchte Motivation. Hajü packte bereits zusammen, da er am nächsten Morgen früh wieder aufbrechen musste und die Fahrt bis zur Alb lang war. Werner indes knurrte sein Okular an und schien an irgendetwas Schwachem dran zu sein.


Ich nahm nochmal Anlauf. Hickson 95, ein echter Motivator, juhu. Bei 138x kam etwas Ultraschwaches zum Vorschein, aber ich konnte mich schwer konzentrieren. Bei 200x lösten sich zwei kleine Flecken heraus, einer (NGC 7609) einfacher als der andere, aber alles eher grenzwertig und weitere Details (Form, Ausrichtung) waren komplett utopisch. Einfach nur: Da war was. Glaub ich. Grenzwertig halt. Und um die Vokabel nochmal zu bemühen: Die grenzwertigste Sichtung überhaupt an diesem Wochenende.

NGC 7610 noch als finaler Versuch, den müden Augen irgendetwas zu entlocken: „blickweise, diffus“. Damit endete mein Beobachtungsbuch. Mir fielen vermehrt die Augen zu. 01:40 Uhr; ein paar blasse Mini-Wolken schwebten dezent über den Himmel. Es ging nichts mehr. Mit zunehmenden Kopfschmerzen schloss ich mit der Session ab und verkrümelte mich frierend ins Zelt, wo ich sofort und auf der Stelle einschlief.


Sicherlich hätte ich die kommende Nacht auch noch nutzen können, aber mir ging es immer schlechter, weswegen vormittags der Entschluss fiel, verfrüht die Heimreise anzutreten. Fiel mir nicht leicht, war aber sinnvoll. Nichtsdestotrotz hatte sich der Ausflug in den sonnigen Süden Brandenburgs (zu sonnig!) natürlich voll gelohnt – nicht nur wegen der schönen Zeit am Teleskop, sondern auch wegen des Wiedersehens alter Freunde und Bekannter, mit denen man gerne noch viel länger hätte schwatzen wollen. Die entspannte und entschleunigte Stimmung tat ausgesprochen gut und ließ einen kurzzeitig die Sorgen des Alltags vergessen. Nächstes Jahr gerne wieder!

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