03./04.09.2013 - Der beste Balkonblick auf Erden

Am Abend zuvor schon hielt es uns nicht in der Pension. Typischerweise waren sich die Wettervorhersagen unseres Vertrauens nicht einig, wie sich die Wolken im Laufe der Nacht verhalten wollten, aber optimistisch und neugierig, wie wir nun mal sind, fuhren wir zu „unserem“ Tiefenbach hinauf. Der Berlingo schnupperte erstmals hohe Ötztal-Luft und machte dabei eine ganz gute Figur. Ganz im Gegensatz zum Wetter, denn es zeigten sich nur vereinzelt kleinere Lücken, die keine Beobachtung zuließen. Zudem wehte ein starker Wind, der die 2°C noch kühler erscheinen ließ. Stattdessen schossen wir blöde Gruppenbilder und versuchten auch unser Glück auf dem Rettenbach, doch mit ebenso negativem Ergebnis.


Für die nächsten Tage hatte sich Besuch angekündigt: Ronald S. und Costa L. wollten dazustoßen und kamen Dienstagabend in Zwieselstein an. Während der Dämmerung war eine recht starke Zirrusbewölkung unterwegs, wodurch sich die Lichtspiele am Osthimmel intensivierten. Es war, wie immer, ein wundervoller Anblick. Es lag zudem viel Schnee auf den Berggipfeln und allein der Anblick des weißen Similauns ließ einen frösteln. Mit 10°C herrschten allerdings noch angenehme Temperaturen. Es ging anfangs ein konstanter Wind, weswegen die Suche nach dem idealen Standort zum Krimi verkam, aber er flaute im Laufe der Nacht komplett ab.

Wir hatten den Berlingo ein Stück abwärts geparkt und mein Dobson stand bereits fertig daneben, als Ronald und Costa mich überredeten, mich weiter oben hinzustellen. „Wir müssen uns zusammenrotten“, hieß es. Kurzerhand trugen beide das 35-Kilo-Monster den Hang hinauf und Uwe blieb unten zurück, da er dort bessere Chancen hat, frühs den Kometen ISON aufzunehmen. Das obligatorische Bachrauschen war das einzige natürliche Geräusch - ganz wichtig: Kein Mückensummen! Das pinke Dämmerungslicht verschwand und wich einem kalten Stahlblau. Während es um uns herum immer dunkler wurde, plauderten wir und analysierten die Bedingungen; neben den Zirren schien auch Dunst in der Luft zu sein. Exklusiv wurde mir ein druckfrisches Exemplar des neuen Interstellarum-Atlas geliehen, den ich im Laufe der Nacht mal testen konnte. Ich war sehr froh, dass ich ihn hatte, denn meine selbsterstellten Aufsuchkarten waren nach wenigen Tagen abgearbeitet, sodass ich sonst mit leeren Händen dagestanden hätt...


Als Ronald sagte: „Könn' wir loslegen!“, ging ein jeder zu seiner Gerätschaft und begann mit dem Programm. Ich hatte, als Einstieg, das Objekt auf dem Plan, mit welchem die letzte Beobachtungsnacht endete: Der Offene Haufen
Turner 8. Schon im 32er-Okular fiel der starke Unterschied zum Flachland auf: Diese P-förmige Gruppe lag inmitten eines deutlich sternärmeren Gebietes, einem rundlichen Dunkelnebel mit unklaren Übergängen in den Hintergrund. Bei 200x zählte ich 13 Haufenmitglieder - im Fläming waren es nur 9.

Von dort aus ging der Schwenk gen Osten, wo sich Turner 1 befand. In der Übersicht zeigte sich eine schwache, relativ große Sternwolke in einem reichen Feld, weswegen sie kaum auffiel. Auch bei höheren Vergrößerungen änderte sich nichts an diesem Eindruck und ein Haufencharakter war nicht zu erkennen. Bei 200x zählte ich etwa 11 Sterne in dieser länglichen Wolke. Enttäuschung.


Bei der Recherche zuhause stieß ich zufällig auf einen Haufen namens „
Feibelmann 1“, der sich bei 34 Cygni befinden sollte. Die Beobachtung versah ich mit einem Fragezeichen, da mir bei dem Stern kein Haufen auffiel. Möglicherweise war eine lockere, unauffällige, dreieckige Formation nördlich davon gemeint? - Ja!


Nun ja, ein kleiner närrischer Haufenreigen zum Einstieg. Die erste Herausforderung stellte der Wolf-Rayet-Nebel
WR 134 dar; mein erstes Objekt dieser Klasse. Nachdem die markante Sternformation gefunden war, die sehr beim Aufsuchen half, wurde der OIII-Filter zwischengeschaltet, was den Nebel jedoch nicht viel einfacher machte. Von dem gesamten Bogen, den der Nebel eigentlich beschreibt, war nur der breitere Streifen westlich der auffälligen Sternkette zu sehen, wenn auch schwierig. Ronald, der kurz vorbeischneite, bestätigte dies. Blickweise ließ sich auch der nördliche Knick ausmachen, doch möglicherweise war es Einbildung.

Als ich die Zeichnung begonnen hatte, fragte Costa, ob er mal schnell zum Trafohäuschen gehen, und somit den Bewegungsmelder des Flutscheinwerfers aktivieren dürfe. Grund: „Ich hab da was vergessen.“ Seine Trittleiter stand noch dort, weil sie vorher das Fenster mit einer Decke abgehängt hatten. Mhh, jaa, ganz kleinen Moment noch bitte... 22:50 Uhr erstrahlte dann der gesamte Platz in gleißendem Licht, was ich für eine kleine Pause nutzte und zu Uwe hinunterpilgerte, um mir einen Becher Kaffee und Nusskekse zu gönnen. Die Transparenz war recht mau, was am Dunst und den noch vorhandenen Zirren lag. Die Milchstraße wollte nicht so recht in den Tritt kommen. Im Süden stand der Schütze, ungewohnt hoch, und tief überm Horizont hob sich das Licht von Italien. Aber was solls - immer noch besser als daheim!


Wieder zurückgekehrt, imitierte Martin Gollum und ich widmete mich meinem Mini-Projekt „Rings um NGC 6940“. Viele Objekte der letzten Nächte hatte ich nur aus diesem Grunde ausgewählt, und auch NGC 7013 fiel darunter. Eine helle, ovale (1:2) Galaxie mit einem schwachen, stellaren Kern in Nord-Süd-Ausrichtung. Ein Vordergrundstern zeigte sich westlich des Zentralgebietes. Mir schien, als sei das Südende etwas spitzer als die gegenüberliegende Seite.


Knapp 3° südwestlich meines Lieblingshaufens war NGC 6921 zu finden, der erst bei 129-facher Vergrößerung auftauchte. Eine überraschend kleine und schwache Galaxie mit rund-länglicher, kompakter Gestalt. Ihr Zentrum war nur mäßig hell. Bei 200x jedoch bot das Objekt einen besseren Anblick, denn sie schien leicht gemottelt. Ob es ein Vordergrundstern, oder gar Strukturen waren, ließ sich nicht erkennen.


Das nächste Objekt, der PN He 1-6, steht 2,5° westlich davon und liegt in einer markanten Sternformation. Ich war positiv überrascht... Ein schwacher, aber absolut eindeutiger, runder Nebel, der indirekt dauerhaft zu halten war. Doch mehr als eine homogene, detaillose Scheibe ging sich nicht aus.

Nun war es Mitternacht. Es herrschte eine göttliche Ruhe, denn jedermann war konzentriert bei der Sache und niemand sprach. Über die östlichen Berghänge kletterte gerade Aldebaran hinauf, während die Plejaden schon wesentlich länger zu sehen waren. Der Wind war vollständig abgeflaut und die Zirrusbewölkung hatte sich aufgelöst, aber obwohl die Bedingungen besser wurden, fehlte die Transparenz. Auch das Seeing war nicht ideal. Die Temperaturen waren angenehm; allerdings hatte sich auf dem Sitzkissen, das am Boden lag, eine ganz feine Glitzerschicht gebildet. Das SQM-L gab einen gemittelten Wert von 21,5 mag/arcsec² aus. Uwe kam mit der Nussstangen-Box an, von denen ich mir einige bunkerte, und es wurde festgestellt, dass im Wassermann der Gegenschein zu sehen war. Die Nacht war also eigentlich schon recht brauchbar...

Nach dem super-duper-PN-Erfolg suchte ich noch so ein Ding auf: Jones 1 oberhalb des Herbstvierecks. Ein sehr helles, sehr einfaches Objekt. Wow! Mit OIII-Filter waren zwei Bögen zu erkennen, die gesamtheitlich einen runden Ring suggerierten, doch das Ostende war unterbrochen und dunkel; ebenso das Innenleben des PN. Ein westlicher Rand sichtbar, aber weniger kräftig. Ohne OIII zeigten sich 2 oder 3 Vordergrundsterne in und an der vermeintlichen Scheibe. Der nördliche Bogen erschien mir geringfügig heller, breiter und schärfer begrenzt. Toll!

00:40 Uhr, zeigte der Chronometer. 3°C nur noch, und kurzzeitig kam es mir sehr kalt vor. Die Himmelsbedingungen hatten sich beachtlich gemausert! Auch der SQM-Wert von 21,6 bestätigte die Verbesserung. Nun schien die Milchstraße hell und strukturiert, bis sie in den Berghang eintauchte. Ich merkte mehr denn je, wie sehr ich diesen Platz liebe. Ronald hatte es anfangs gut beschrieben, als er ihn mit einem „Balkon“ verglich. Ich fühlte mich einfach nur sauwohl. Irgendwo wurde ein Komet gesucht, und Martin schimpfte, weil er vergessen hatte, auf „Start“ zu drücken.


Gut gut, weiter gehts... Ich begab mich nun in jenes Zielgebiet, welches ich bis zur Morgendämmerung nicht mehr verlassen sollte. 3° südlich der berühmten NGC 891 befindet sich das Galaxienpärchen
UGC 1813 und UGC 1810, oder ums kurz zu machen: Arp 273. Bei 200x zeigten sich zwei dichte, auffällige Nebel. Der nördliche von beiden (1810) war wesentlich heller, größer und breiter als sein Compagnon; zudem auch flankiert von 2 oder 3 Vordergrundsternchen. In der Westhälfte schien ein Helligkeitspeak zu sein. UGC 1813 war dagegen kompakt und schwach. Beide Galaxien waren länglich geformt und standen etwa parallel zueinander. Ronald war zwischenzeitlich am Okular und ließ sich später zu einer Nachbeobachtung an seinem 20-Zöller inspirieren, wo Arp 273 freilich besser daherkam.

Von dort aus ging es 2° in nördliche Richtung. Die 13,9-mag-Galaxie UGC 1840, die bei einem sehr auffälligen Sterngrüppchen stand, zeigte sich als problemloses Nebelchen mit hellem Kern, aber sehr diffus und „formlos“. Sie lief sanft in den Hintergrund aus.


Meine Aufgabe für diese Nacht war es, die große Galaxiengruppe von NGC 891 auseinanderzunehmen, die, laut CNebulaX, mit Abell 347 bezeichnet wird. Gut, dass eine detaillierte Aufsuchkarte mit von der Partie war... Zunächst besah ich NGC 898: Langgestreckt und dünn, N-S-stehend, Achsenverhältnis 1:4. Bei 200x zeigte sich das Zentralgebiet als ebenfalls länglich, sodass keine mittige Aufwölbung erkennbar war, und nur selten schien ein Kern herauszublinken.

Bei PGC 9108 mit einer Helligkeit von 14,9 mag war ich mir zunächst unsicher, denn ich konnte den Anblick nicht ganz mit der Karte übereinbringen. Ich sah ein kleines Sternpaar. Vom einen der beiden stand ein kleiner, länglicher Nebel in Südrichtung ab.

PGC 9042, die sehr nah bei NGC 891 liegt, war schwer, aber eindeutig. Dieses diffuse und konturlose Nebelchen (15,7 mag) war bei indirektem Sehen gut erkennbar, aber ich tat mich schwer, die Form zu bestimmen. Noch kritischer war, trotz gleicher Helligkeit, PGC 9151, die nur kurz hervorsprang und ein Grenzobjekt darstellte.

Direkt nebeneinander lagen NGC 909 und NGC 906, die sich Costa und Ronald während einer Pause kurz anschauten. Erstgenannte zeigte sich als kleiner, runder Knäuel, der diffus auslief und einen stellaren, schwachen Kern besaß. NGC 906 schien größer und leicht oval, aber noch diffuser und weniger kondensiert. Zu einem spitzen Dreieck wurden das Pärchen durch NGC 914 ergänzt, die eine ähnliche Größe wie 906 aufwies. Oval geformt, 1:2, nahezu homogen, kein Kern, Zentralgebiet kaum heller.


Es war nun 02:15 Uhr. Im Osten ging der nördliche Teil des Orion auf - stets ein erhabener Anblick! Ich brauchte eine kleine Auszeit und wanderte den Hang hinunter, um Kaffee und Nusskekse zu schlauchen. Uwe, der hier den einsamen Vorposten unserer Beobachtungstruppe bildete, beschäftigte sich mit seinen Kometen und freute sich über die Bedingungen. Auch den Gegenschein konnte er festhalten.

Die Zielregion von Abell 347 war zwar herausgewandert, aber schnell wieder eingestellt, sodass es gleich weiterging. Meine Güte, was für ein dichtes Gewimmel... NGC 911 stellte sich als runde, detaillose Galaxie mit einem hellen Zentralgebiet heraus.

Die nächsten fünf Objekte (NGC 910, PGC 9203, UGC 1866, NGC 912 und 913) waren allesamt in einem Gesichtsfeld zu sehen, und da meine rote Lampe langsam den Geist aufgab (oh, oh!!), verlor ich nicht viele Worte und beschränkte mich auf die Zeichnung.

Nun war es bereits 03:00 Uhr und ich konnte nicht mehr gescheit schreiben oder zeichnen, denn nach wenigen Sekunden dimmte sich die rote Lampe auf Null herunter. Ach, verdammt, wieso denn ausgerechnet jetzt?


UGC 1858 war ein schweres Teil. Wenn man sie erstmal gefunden hatte, war sie gut machbar, doch diese 15,4-mag-Galaxie kam sehr zart und diffus daher; homogen, strukturlos und rundlich.

PGC 9307 wirkte wie ein PN. Es zeigte sich ein rundes, homogenes Scheibchen, verhältnismäßig groß für eine PGC-Galaxie, bei einem Sterndreieck. Nett!

Kontinuierlich arbeitete ich mich in den Ostteil des Galaxienhaufens vor, obwohl ich langsam keine Lust mehr auf diese Flusen hatte. PGC 9196 (15,6 mag) war ein winziges kompaktes Teil, das aber dauerhaft zu halten war weil die zentrale Region markant hell und stellar daherkam.

Ich hatte die Schn... voll und verfluchte die Batterie. So kann ich nicht arbeiten. Und nachdem ich Abell 347 auch noch völlig aus dem Okular verlor, entschied ich, die restlichen Mitglieder auf die nächste Nacht zu verschieben und beschloss die letzten dunklen Momente mit ein paar Standard-Sachen. Abgesehen davon wurde ich langsam müde, stand planlos rum und bestaunte das nun sehr deutliche Zodiakalband und dessen Kreuzung mit der Milchstraße. Was für eine Transparenz. Das Zodiakallicht begann ebenfalls im Osten hinaufzuragen. Jupiter stand mittendrin; ein grelles Leuchtfeuer in den Zwillingen.


Neben M 42 und den Reflexionsnebeln in den Plejaden begab ich mich noch auf die Suche nach IC 1619, einer irregulären Galaxie in den Fischen, von der Martin schon seit einer ganzen Weile schwärmte. Allerdings konnte ich sie nicht erkennen, obwohl das Feld stimmte. Nebenan hatten Costa und Ronald ihr Equipment abgebaut und machten sich kurz vor 04:00 Uhr vom Acker, sodass wir nur noch zu dritt auf dem Platz waren. Ich selber strich dann auch endgültig die Segel und kramte meine Sachen zusammen, unterhielt mich mit Martin und schaute unten bei Uwe vorbei. Er konnte ISON tatsächlich erwischen, obwohl der Komet tief am Osthorizont stand und vom Zodiakallicht beeinträchtigt wurde. Auf dem Kameradisplay war er sehr auffällig und mit einem netten Schweif zu sehen. Toll!


Vor der Abfahrt geriet ich allerdings in ziemlichen Stress, da ich das Auto zurücksetzen wollte, um mein 100 m entferntes Teleskop einzuladen, doch der Motor schaffte die Steigung nicht und ging nach 2 Metern wieder aus. Ich fluchte. Er ließ sich partout nicht hinaufmanövrieren, was bedeutete, dass ich die Spiegelkiste bis hinunter tragen musste. Oh, wie brannten mir im Anschluss die Arme...



Es war 05:15 Uhr, als wir alles verstaut hatten und die Rückreise nach Zwieselstein antraten. Durch das stressbedingte Adrenalin bereitete mir die Müdigkeit jedenfalls keine Probleme. Sirius funkelte ungewohnt hoch über den Gipfeln und blinkte munter vor sich hin. Die Bergwelt wurde langsam in ein mattes Dämmerlicht getaucht, doch die Einheimischen schliefen noch alle, denn uns kam kein einziges Auto entgegen. Typisch und bezeichnend für die einsamen, einzigartigen Nächte auf unserem Tiefenbachgletscher...

Ein Beobachtungsbericht von AKE

Zwieselstein, 05.09.2013

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