04./05.12.2016 – Rhön-Grabfeld: Allein der Name verspricht Spannung

So ist das eben, wenn die Pläne durcheinandergewürfelt werden. Eigentlich wollte ich Sonntagabend, direkt nach der Arbeit, nach München fahren. Aber niemand hat mit dem Wetter gerechnet. Da Norman sich entschloss, in der Nacht lieber auf dem Brauneck rumzuspringen, anstatt mir die Tür aufzumachen, konnte ich nachgrübeln, was ich stattdessen unternehme. Ganz zuhause bleiben? Nää. Ausschlafen und erst am Montag runterfahren? Nee! Rumjammern? Um Himmels Willen! Eine schier unfassbare Idee kam mir dann in den Sinn: Die klare Nacht selber nutzen! Was Norman kann, kann ich schon lange.


Der geneigte Kenner stellt beim Blick auf eine topografische Deutschlandkarte fest, dass die Rhön ein Mittelgebirge im Dreiländereck Thüringen – Bayern – Hessen ist. Und quasi fast auf dem Weg von Bernburg nach München liegend. Okay, ein klitzekleiner Schlenker nach Westen… wollen wir mal nicht so kleinlich sein. Ich lauerte ohnehin schon länger auf eine Gelegenheit, dort mal zu beobachten – und an diesem Sonntagabend präsentierte sich mir die Gelegenheit auf einem blankpolierten Silbertablett. Idealer geht’s doch gar nicht.


Nach so einem 8h-Tag ist man allerdings nicht mehr so ganz taufrisch und bevor ich auch nur an den Aufbau denken konnte, standen noch 3h und 250km Anfahrt an. Mein Überleben in der Pampa war gesichert durch 0,5l Automatenkaffee vom Rasthof Plötzetal und eine Tüte „Nussvariation“ vom Stiefpapa. Und warme Decken lagen im Auto. Ich war bereit für alles, komme was wolle. Gegen ¾ 7 machte ich mich auf den Weg, der aufgrund einer langen Umleitung und dichtem Nebel auf der A 38 und A 71 weniger angenehm war, als erhofft. Wie hab ich mich doch darauf gefreut, mal wieder auf ungewohnten Autobahnen unterwegs zu sein! Neue Abfahrten, neue Hinweisschilder, neue Kurven! – Und dann wird’s durch Nebel getrübt. Ich hatte sogar gefürchtet, dass die Rhön auch betroffen ist, aber ab Arnstadt endete die Suppe und ich konnte einen dunklen Himmel aus den Fenstern sehen. Auch ein wunderschöner Monduntergang von der Talbrücke Altwipfergrund ging her, als die schmale Sichel wie in Zeitraffer hinter den Lichtern eines fernen Dorfes vom Horizont verschluckt wurde. Die Temperaturen machten allerdings weniger Freude: -8°C waren es stellenweise. Der CD-Spieler zeigte sich davon unbeeindruckt, denn er stieg plötzlich aus und müllte mir die Info „Audiosystem wegen Überhitzung deaktiviert“ aufs Display. Ich musste lachen – das hatte ich ja noch nie gehabt.


Mit überhitztem Audiosystem und alternativem Radiogeplärre fuhr ich also von der Autobahn ab und enterte die dunklen Einöden der Rhön. Alois wies mir zuverlässig den Weg durch das tiefe Schwarz. „Das ist ja echt dunkel wie ein Kuharsch hier.“ Mein Zielgebiet, ein berühmter Feldweg, war sofort gefunden. Links und rechts erstreckten sich die weiten Ebenen und Matten des NSG „Lange Rhön“, über mir die winterliche Milchstraße und vor meinen Reifen die angepeilte Straßenbucht. Es folgte um 22:00 Uhr die Einweihung des neuen Beobachtungsplatzes „Parktasche“.

Der Kälte (-7°C) musste natürlich ordnungsgemäß begegnet werden und ich zog mir zuallererst warme Sachen an und trank einen kleinen Becher Kaffee. Hey, gar nicht so schlecht, was wir für teuer Geld an die Leute verhökern. Beim Aussteigen fiel mir sofort die absolute Ruhe auf. Kein Straßenlärm, keine Stadtgeräusche, keine raschelnden Blätter… Nicht mal die Tiere waren nennenswert aktiv, abgesehen von einem fernen Uhu zeitweise. Und das Feld nach Süden hin war durch einen Wildzaun abgegrenzt. Also: Keine Gefahr durch lästige Viecher – ich fühlte mich sofort, von der ersten Minute an, pudelwohl. Das Gras neben der Asphaltstraße war von dickem Reif überzogen, das beim Betreten laut knirschte und im Licht silbern glitzerte. Auf den weitläufigen Matten im Norden waren viele schwarze Flecke versprenkelt zu sehen – einzelne Büsche und Bäumchen; beinahe mit Heide-Charakter und tagsüber unheimlich schön. Im Westen stach der rotleuchtende Sender des Heidelsteins wie ein schlanker Finger dominant am Horizont. Das war das einzige direkte Licht hier. Entlang der Horizonte gab es zwar kleinere Herde der Lichtverschmutzung, allerdings nicht nennenswert störend. Bloß Ostheim im Osten hatte ‘ne größere Glocke wegen der Adventsbeleuchtung.


Parallel zum Aufbauen des Dobson schoss ich Bilder mit meiner sogenannten „Astrokamera“. Bei der Kälte allerdings drohte der Akku alsbald die Hufe hochzureißen, sodass Sparen angesagt war. Ich konnte irgendwie nicht fassen, tatsächlich wieder hier zu sein! Es war so surreal… Tolle Bedingungen herrschten: Nahezu Windstille, Trockenheit (höchstens 50% LF), keine Wolken, gute Transparenz. Die Wintermilchstraße lief matt schimmernd am Orion vorbei und runter gen Horizont. Lediglich das Seeing war nicht sonderlich doll, was sich aber im Laufe der Nacht noch ändern würde.


So, genug geschwafelt. Ich schlug den Atlas auf und suchte nach einem ersten Ziel, was ich im Walfisch fand. NGC 1055 stand schon länger auf dem Zettel, weil ihr Staubband vergleichsweise leicht zugänglich war. Insgesamt linsenförmig und O-W-liegend, wurde die Galaxie von einem dunklen, recht breiten, aber dezenten Streifen durchtrennt. Nördlich davon schimmerte der Rest – sehr auffällig sogar. 1055 stand außerdem in einem attraktiven Umfeld mit hellen Sternen. Tolles Einstiegsobjekt!

Es war schweinekalt. Was soll das nur noch werden hier? Nach einem kurzen Blick auf die knallende M 77 schwenkte ich rüber zu NGC 1141/2, auch bekannt als Arp 118. Ein nettes Pärchen. Der westliche Galaxienball war rundlich und heller. 1142 hingegen machte einen auf asymmetrisch. Der Kernbereich war nach Osten versetzt, während nach Westen, zur Nachbarin hin, ein schwächerer Rest abging.

Anschließend folgte der Besuch bei einem weitläufigen Trio in Cetus. NGC 936 zeigte sich als großer, runder und markanter Nebel mit einem hellen Kernbereich. Der Balken in O-W-Ausrichtung war sichtbar, aber nicht sonderlich einfach und recht dezent daherkommend. Östlich befand sich NGC 941 und bildete einen starken Kontrast dazu: Die Galaxie war deutlich schwächer und zeigte keine Details; blieb nur eine homogene, oval-kastenartige Fläche. Keine Variationen in Helligkeit oder Struktur. Wiederum östlich davon tauchte mit NGC 955 eine auffällige, kleine, N-S-stehende Edge-On-Galaxie auf, die mir bei dem Trio am besten gefiel. In der Mitte war sie etwas bauchiger und lief zu den Enden spitz aus.


Schon erwähnt, dass es scheißkalt war? Ich musste was für meinen Wärmehaushalt tun und kippte den nächsten Becher Kaffee hinter. Herrlich… Der ging runter wie Öl. Außerdem noch ‘nen weiteren Wollpulli drunter, der helle grüne Funken schlug. Es war knochentrocken. Am Auto gelehnt schaute ich zum Orion und hatte eine spontane Eingebung – Barnard’s Loop könnte man doch mal probieren. Zwar empfiehlt sich dafür der Einsatz von H-Beta, aber mit 2x O[III] klappts vielleicht ebenfalls. TeleVue und Astronomik in trauter Zweisamkeit vor die Augen gehalten (sieht tagsüber bestimmt voll witzig aus), und es funktionierte tatsächlich. So, wie es z.B. von Mathias im Treff gezeigt wurde, sah ich es nicht. Also kein weitläufiger Bogen. Aber eine schwache Aufhellung undefinierbarer Form in der Gegend von M 78 war tatsächlich auszumachen. Mit geeigneterer Hardware wäre sicher noch mehr drin gewesen, aber so war ich es auch schonmal zufrieden. Dann drehte ich mich mit meiner Behelfsbrille nach Norden um und schaute zum horizontnahen Deneb, wo der Nordamerikanebel wie eine Leuchtreklame aus dem Himmel knallte. Wow! So richtig mit Kontur. Das ist ja noch viel cooler als im Fernglas. 


Nach diesem naked-eye-Spaß machte ich mit NGC 800 weiter, südlich von Alpha Pis. Es handelt sich dabei um ein nahes Duo, was im Atlas aber nicht ersichtlich ist. Dort ist nur NGC 800 vermerkt, die sogar die schwächere Komponente darstellt. NGC 799, gleich nördlich von ihr, besaß einen deutlich kräftigeren Kernbereich, war etwas größer und nicht so diffus. Ansonsten zeigte das Duo keine weiteren Details, allerdings waren mehrere schwache Feldsterne in der Umgebung, was ganz nett aussah.

Im Kopf des Walfisch (wenns denn der Kopf ist?) hatte ich NGC 997 mit einem Pfeil versehen, inkl. der Notiz „evtl Balken im N“. Die kleine runde Kuller stand nordöstlich von einem markanten Feldstern und hatte einen hellen, fast stellaren Kern in der Mitte. Von einem Balken war jedoch weit und breit nichts zu sehen. Gemeint war damit eigentlich ein kleiner Sprenkel, irgendein PGC-Krümel, der unmittelbar nördlich ansetzte, aber den konnte ich halt nicht sehen. Im gleichen Gesichtsfeld, nördlich von 997, tauchte aber wenigstens noch der fade Hauch von NGC 998 auf.


Mit den geplanten Cetus-Zielen soweit durch, schwenkte ich hinauf in die Dreiecks-Gegend, die schon ziemlich weit im Westen stand. Die Galaxie UGC 1281 war hochinteressant: Ein blasser, langer, strukturloser Streak in NO-SW-Ausrichtung. Sie sah aus wie ein Geist, der vor dem Hintergrund schwebte. Bei indirektem Sehen wuchs sie enorm in die Länge und wirkte zeitweise sogar recht scharf. Klasse Teil!

Auf weitere Galaxieneskapaden hatte ich keinen Bock mehr. Es ist doch Winter, da macht man andere Sachen. Sternhaufen oder Reflektionsnebel. Und einem eben solchen widmete ich mich nun. Dem King aller Reflektionsnebel, dem Boss, dem Obermotz: M 78. So richtig erwärmen konnte ich mich bislang nicht für das Objekt, wusste nun aber auch, warum: Ich hab mich nie richtig eingelassen. Erst nach und nach erschloss sich mir der Detailreichtum dieser schönen Nebellandschaft.

Mein Zeitgefühl hatte sich schon lange verabschiedet. Keine Ahnung, wie spät es war; den Datumswechsel hatte ich nur abgeschätzt. Nach M 78 hatten sich dann auch meine Finger verabschiedet. Es war einfach nur sowas von verdammt scheißkalt. Beim Blick aufs Autodisplay kamen mir beinah die Tränen: -9°C. Durch die Trockenheit und Windstille war das aber gut auszuhalten. Nicht mal die Scheiben froren zu. Ich joggte ein bisschen hin und her, woraufhin sofort die Schmerzen in den Gliedmaßen einsetzten. Es ist immer so herrlich, wenn die Wärme wieder zurückströmt.


Im nördlichen Orion, auf der Verbindungslinie Beteigeuze – Meissa, stand der nächste Reflektierte: vdB 37. Erst nach längerer Zeit schälte sich eine sehr schwache, flächige Aufhellung rings um den auffallend rötlichen Ausgangsstern heraus. Wirkte irgendwie sogar etwas flockig, war aber trotzdem kein sehr einfaches Objekt.


Und noch einer, weils so schön ist: NGC 2163, weiter südlich im Orion. Der stand schon lange aufm Zettel. „Klein, aber hell“, notierte ich mir und konzentrierte mich lieber aufs Zeichnen. Schon ein interessantes Ding. In der Mitte ein heller Stern, von dem nach Norden und Süden zwei fächerförmige Auswürfe abgingen, wodurch sich insgesamt eine schmetterlingsförmige Gestalt ergab. Der Nordteil war dabei heller und zeigte deutliche „Schlieren“ dort, wo er in den Hintergrund überging. Nach Süden lief es schmaler und, nun ja, etwas „unspektakulärer“ aus.

Der letzte warme Becher Kaffee wurde vernichtet und ich betrauerte die leere Thermosflasche. -7°C sagte das Auto. Es wird wärmer, juhu! Der Beginn eines epischen Temperaturanstiegs, der vermutlich mit der leichten Brise zusammenhing, die nun einsetzte. Der Wind brannte dennoch wie ein eisiges Feuer im Gesicht. „Scheiß die Wand an!“ Na, egal. Das verzerrte Bellen eines weit entfernten Fuchses unterbrach die sonstige Totenstille. Ah, Totenstille, Grabfeld – da schließt sich der Kreis!


Nicht weit von Hubbles Veränderlichen steht der Asterismus Streicher 54. Im Atlas sah der interessant aus, weil er eine Handvoll markanter Sterne umfasste, die schon mit bloßem Auge als breiter Klumpen sichtbar waren. Nett! Diese vier hellen Sterne bildeten eine langgezogene Raute und dominierten den Anblick. Eine nennenswerte Konzentration weiterer, schwächerer Mitglieder war allerdings nicht festzustellen, was auch der Grund war, weshalb ich die ansonsten hübsche Konstellation nicht zeichnete. Wo soll man denn da aufhören und die Grenzen ziehen? Der Asterismus war, inkl. des Gesprenkels im Inneren, schon bei 56x locker aufgelöst.


Es folgte vdB 65 im Fuhrmann. Der Nebel war nicht schwierig und eigentlich ziemlich auffällig, aber man konnte ihn leicht mit einem okularbedingten Hof verwechseln. Nachdem ich Vergleiche mit ähnlich hellen Sternen vornahm, war ich mir aber sicher, dass das kein Hof war, sondern der Reflektionsnebel. Er erschien sogar länglich und hauptsächlich nördlich am Stern anzusitzen.

Es war 02:00 Uhr und der Löwe hatte seinen Arsch im Osten komplett über den Horizont gequält. Ansonsten dominierten die strahlenden Sternbilder des Winters. Die Milchstraße lief tief hinunter und verlor sich erst unterhalb von Sirius. Apropos Sirius: Der funkelte kaum. Das Seeing hatte sich massiv verbessert und verdiente absolut das Prädikat „gut“. Ich machte ein paar Aufnahmen mit der Kamera, deren eisigen Akku ich zuvor in der Hosentasche aufbewahrte, damit er warm blieb. Die Kapazität stieg dadurch von 4% auf 16%, sank nach dem Einschalten aber wieder rapide. Nachdem ich mir beim Festhalten des Auslösers für die Bulb-Funktion mal wieder die Finger abfror, war ich nicht unglücklich, als sich die Kamera endgültig in den Winterschlaf verabschiedete. Dass es mit mir selber auch langsam bergab ging, merkte ich beim Rumjoggen: Das Rascheln meiner Jacke hörte sich an wie ein musizierendes Radio, sodass ich kurz stehenblieb, um zu ergründen, wo diese komische Musik plötzlich herkam.

Ich stellte fest, dass der Perseus schon weit in den Westen gewandert war, obwohl ich dort noch ein Must-See hatte – NGC 1023. Eine knallig helle Linse, fast genau O-W-liegend. Für die Begleiterin, 1023A, musste ich mir nicht die Augen verrenken – der schwache Nebel war problemlos und sofort als Aufhellung am Ostende des Hauptkörpers sichtbar. Huch, das ist ja einfach. Sogar die ovale, „reinragende“ Gestalt ging her. 1023 selber war auch nett. Das ovale Zentralgebiet zeigte sich deutlich heller als der Rest, der weit nach Osten und Westen auslief. Zu beiden Seiten des Zentrums war je ein Vordergrundstern sichtbar.

Was für ein Himmel! Das Zodiakalband war im Bereich des Goldenen Tores der Ekliptik besonders gut zu verfolgen, ehe es in die Wintermilchstraße mündete. Grenzgröße habe ich nicht exakt ermittelt, doch wenn ich den Himmel mit anderen Situationen vergleiche, werden es um die 6,7mag gewesen sein, eher noch etwas mehr. Ein Eisbär stapfte vorbei. Während der Radiomusik quasselten nun mehrere Moderatoren durcheinander. Was für Vollidioten. Ich ärgere mich sowieso immer, wenn ein guter Song läuft und die Moderatoren plötzlich dazwischenquaken. Und jetzt sinds gleich Mehrere… Unfassbar.


Ich blieb im Perseus und schwenkte zu M 34, der mit seinen vielen hellen Sternen beinahe provozierend wirkte. Das war allerdings nicht das Hauptziel – sondern Abell 4 unmittelbar daneben. Bei 130x und O[III]-Einsatz war der PN überraschend easy. Sofort schälte sich ein kleines rundes Scheibchen heraus, dessen Ost- und Westflanke heller daherkamen. Aber kein Zentralstern im Inneren, und die benachbarte schwache Edge-On zeigte sich ebenfalls nicht. Ist auf Fotos aber trotzdem ein nettes Duo.

Der Wind frischte weiter auf und pfiff laut am geöffneten Kofferraum vorbei. Mir war am Körper irgendwie etwas wärmer als sonst zuvor und beim Blick ins Auto war ich überrascht: Laut Armaturenbrett hat es sich auf sagenhafte -4°C erwärmt, doch dieses laue Lüftchen trieb mir immer noch den Gefrierbrand ins Gesicht. Grundgütiger. Außerdem hüpften die schwarzen Büsche auf den Matten im Norden ständig hin und her, und neben dem Asphaltweg leuchteten immer wieder so komische Punkte auf. Ich musste daran denken, wie zwei Begleiter aus dem Ötztal berichteten, dass sie nachts allein auf dem Gletscher hockten und beide (!) an derselben Stelle grüne leuchtende Punkte sahen, mehrere Sekunden lang. Ach, und… Kam der Heidelstein-Sender näher?


Summasummarum: Ich war absolut im Arsch und scheißmüde. Ein letztes Objekt sollte aber noch hergehen und ich blieb in der Einhorn-Karte hängen. NGC 2346... Kenn ich den? Sieht nicht so aus. Die einzige Notiz dazu, „helles Ding“, zeugte nicht gerade von meinem Schreibtalent; den Rest meiner Energie konzentrierte ich auf den Bleistift.


Bevor ich noch mehr halluzinierte, die Radiostimmen in meinem Kopf immer lauter wurden und der Heidelstein mir gänzlich auf die Pelle rückte, brach ich die Aktion ab. Jammerschade, denn es war erst kurz vor 03:00 Uhr, aber das hatte einfach keinen Sinn mehr. Game over. Während des Abbauens und Einpackens warf ich wehmütige Blicke an den schönen Himmel. Ins Auto hinein schaute ich hingegen nur ungern, denn es sah aus wie ein Schlachtfeld. Ich brachte noch eine grobe Grundordnung hinein, damit ich nicht die völlige Krise bekam, bevor ich mich dann vom Acker machte. Die Heizung kam zum Glück schnell auf Touren. Vorsichtig und langsam steuerte ich zurück zur Hochrhönstraße und hatte sogar noch eine knappe Begegnung mit drei verschreckten Rehen, die vor mir über die Straße sprangen.


Die Nacht wollte ich auf dem Parkplatz bei der Thüringer Hütte verbringen. Der schwierigste Teil der Unternehmung stand nun bevor: Schlafen. Klar, schlafen kann ich überall, wenn ich nur müde genug bin, aber bei -8°C, die dort auf dem Parkplatz herrschten, wird das eine eher unruhige Nacht. Es soll ja Leute geben, die sich bei -10°C mit Aldi-Schlafsack in den Schnee packen und pennen. Denen glaube ich kein Wort. Dann doch lieber das 5-Sterne-Hotel „Berlingo“, one night in the mountains with all acoomodations! Ich ringelte mich auf dem Sitz ein, vergrub mich vollständig unter den beiden Decken und harrte der Dinge, die da kommen mögen. Das erste Einschlummern ging schnell, wurde aber ebenso schnell unterbrochen, weil ich meinen Deckenpanzer noch nicht komplett hermetisch abgeriegelt hatte. Es folgten mehrere umständliche Optimierungen der Schlafposition und endloses Deckengeschiebe, um die undichten Stellen zu eliminieren, ehe ich wieder in den lückigen Schlaf fiel. Am schlimmsten waren die Füße, die, trotz Polarschuhe, zu Eisklumpen mutierten. Aber: Ich konnte schlafen und stand zwischenzeitlich hinter der Kasse. Meine Mutti betreibt nun ebenfalls eine Autobahn-Raststätte, bei der ich am Wochenende ein bisschen aushelfe. Meine Kolleginnen von Plötzetal waren zu Besuch, um sich alles mal anzugucken.

Im nächsten Moment, kurz vor Sieme, war ich wieder wach und sah, dass draußen die Dämmerung eingesetzt hatte, und nickte wieder ein. Bis zum klingelnden Wecker um 07:30 Uhr. Ich fühlte mich erstaunlich erholt und freute mich über den bunten, glasklaren Osthimmel und der Sicht auf die flachen, fernen Bergketten. Nach kurzer Packerei brach ich mit der Nikon auf und wander-joggte wieder zurück zum Beobachtungsplatz. Die Bewegung tat unendlich gut; die Füße wurden warm und im Oberstübchen herrschte wieder halbwegs klares, geregeltes Denken. Die Landschaft ringsum war brutal schön; die heideartigen Matten mit ihren vereinzelten Büschen warteten nur darauf, von der Sonne beschienen zu werden.

Bevor ich zur Parktasche kam, schlug ich einen Weg nach Süden ein, der die leichte Anhöhe hinaufstieg. Gerade rechtzeitig: Oben angekommen hatte sich schon der tiefrote Rand der Sonne hochgeschoben, der sich im weiteren Verlauf lustig verformte. Ich stand dort, neben dem Solitärbaum, und fühlte mich wie im falschen Film. Dieser Sonnenaufgang war wie aus dem perfekten Bilderbuch. Die Umgebung tat ihr Übriges; wusste gar nicht, was ich zuerst und als nächstes fotografieren sollte. Das goldene Licht ließ die Matten in kräftigem Orange leuchten, während sich darüber ein ungetrübter, tiefblauer Morgenhimmel erstreckte... Poah.

Ich latschte wieder hinunter und machte noch den Abstecher zur Parktasche. So sah das also bei Sonnenlicht aus. Es war schon eine superschöne Gegend und einer der reizvollsten Plätze, an denen ich meinen Dobson je aufgestellt habe. Ich genoss noch kurz den herrlichen Rundumblick, ehe ich zur Thüringer Hütte zurückmarschierte.

Um halb 9 war ich wieder am Parkplatz angekommen und bereitete mich für die Abreise vor. Es standen bis München nochmal 350km und 3,5h Fahrt auf dem Plan, denen ich mit tiefstem Grausen entgegensah. Zum Grausen war auch mein Spiegelbild. Der Zombie mit den Augenringen. Manche Schauspieler gehen zum Maskenbildner und zahlen viel Geld, um so auszusehen. Wehmütig startete ich den Motor, machte mich auf die Socken und fragte mich, wann sich wohl die nächste Gelegenheit für die Rhön bietet. Eigentlich müsste man hierbleiben, ‘nen schönen, ausgiebigen Wandertag einlegen und das weitläufige Wegenetz erkunden, aber meine Pläne waren andere… Obwohl die sich ja durchaus ändern können, wie eingangs gesagt, und wenn man Glück hat, kommt da sogar was richtig Gutes bei raus.

 


Ein Bericht von AKE

München, 05.12.2016

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