16.09.2012 - Postalpine Depressionen

Nachdem sich das angekündigte gute Beobachtungswetter der vorigen Nacht als Rohrkrepierer herausstellte, waren die Voraussagen für Sonntag schon am Nachmittag eindeutig: Eine milde Herbstsonne schien und läutete die Abenddämmerung ein. Ich war ein wenig gram, denn obwohl die "Blaue Tonne" schon am Donnerstag ins Haus flatterte, konnte ich sie noch nicht mitnehmen. Die Spinne des Fangspiegels war an zwei Streben gebrochen. Ärgerlich! Schließlich hatte ich für dieses Wochenende das große First Light geplant, und nun musste der Vierzehnzöller mit. Oh Gott, nur 35 cm, wie soll man das bloß aushalten? Okay, jedes Teleskop verdient ein würdiges "Last Light" und dieses hat mich doch durch ein paar schöne Beobachtungsstunden begleitet.

Gegen 19:15 Uhr erreichten wir, pünktlich zum Sonnenuntergang, unseren Platz bei Schweinitz. Thomas P. und Martin sollten später auch zu uns stoßen. Doch zunächst einmal genoss ich die ruhige, irgendwie besondere Stimmung, die dort herrschte und kletterte einen kleinen Erdwall hinauf. Es lagen einige große Steinplatten und Weidenkorbreste in den Büschen herum und das spinnennetzbesetzte Gras stand hoch; die Grillen zirpten ringsum und aus dem Dorf drang das übliche Hundegeheul und -gebell. Ich hatte das Gefühl, auf die Reste einer verfallenen Zivilisation gestoßen zu sein: Wo einst große Burgen und Mauern standen, mächtige Könige regierten und die Frauen mit Körben regen Handel betrieben, sind nur noch Ruinen übrig.


Oh, ich glaube, ich hab zu viel "Herr der Ringe" gelesen.

Wie dem auch sei. Der Aufbau des Teleskopes ging rasch von der Hand und schnell war alles ausgepackt, was des Astronomenherz begehrt. Zeitvertreib mit Photoshooting.

Lustigerweise kam ein Wagen aus dem gesperrten Waldgebiet gefahren, wo Unbefugte nichts verloren haben. Thomas ulkte: "Steht er da, oder will er schießen?" Als der Fahrer den Schlagbaum geschlossen hatte, fuhr er zu uns, hielt an und fragte, was wir denn schießen wollen. Erinnerungen an die grimmigen Jäger aus dem letzten Jahr wurden wach, doch dieser Mensch war freundlicher. Auf unsere Antwort hin ("Sterne!") wünschte er uns viel Erfolg und verschwand.


Obwohl es schon viel früher dunkel wurde, dauerte es seine Zeit, bis die Sterne sichtbar wurden. Ich saß gelangweilt im Auto und gammelte rum, während die Fotografen mit ihrer Technik zugange waren. Die Bedingungen waren nicht ideal, das sah man schon durch die leicht beschlagene Windschutzscheibe. Hohe Luftfeuchte, gen Horizont etwas diesig, aber echt gutes Seeing. "Ich hab' das Gefühl, nach den Alpen ist alles sinnlos", rief ich. Zwar flockte die Milchstraße aus, aber es fehlte die Brillanz. Der Fahrplan für die kommende Nacht stand grob fest. Als es gegen 21:10 Uhr dunkel genug war, sprang ich vom Sitz und startete mit...


...
NGC 188, einem uralten Offenen Haufen im Cepheus und nicht weit vom Polarstern entfernt. Im 32er zeigte er sich überraschend großflächig und zackig geformt; außerdem sehr reich und aus vielen, vielen schwachen Sternen bestehend. Es deutete sich eine Zweiteilung in der Mitte an. Die Bestätigung im 20er: Ich sah zwei symmetrisch gespiegelte Dreiecke, wovon das südlichere mehr Mitglieder besaß. Die beiden hellsten Haufenmitglieder befanden sich jeweils an den spitzesten Ecken der Dreiecke - nettes Detail! Der Haufen war aufgelöst, aber unzählbar. Ich schätzte auf 40 - 45 überwiegend schwache Sterne. Ich wechselte zum geliehenen 14er Okular. Wow!! Klasse Anblick. Viele zarte Punkte, die zwar aufgelöst waren, aber doch schien sie ein ganz blasser Schleier zu umgeben. Zwischen beiden Dreiecken tauchte eine kleine Sternbrücke auf, die sie miteinander verband.


Während der Vollmondphase bereitete ich zuhause das nächste Beobachtungsprojekt vor, das eigentlich für den 16-Zöller bestimmt war. Leider konnte ich nicht abwarten. Ich wollte die Haufen des King-Kataloges abgrasen, die zwar allesamt keine Kracher sind, aber vielleicht nette Herausforderungen und Überraschungen.
Jeder Deutsche fängt ordnungsgemäß am Anfang an:
King 1 befindet sich in der Cassiopeia, unweit des Haufentrios um NGC 133, 146 und King 14 (den ich schon kenne). Dank der neu ausgedruckten, super-detaillierten Karten machte der Starhop total Spaß, denn man konnte Teleskopanblick und Karte angenehm miteinander abgleichen. So gelang das Auffinden dieses Häufchens, das im 14er sehr schwach daherkam. Zwischen zwei helleren Sternen war eine zarte, runde, gepunktete Wolke erkennbar. Bei indirektem Sehen sprangen undefiniert Einzelsterne hervor, doch King 1 war nicht aufzulösen. Gen Westen sah ich einen länglichen Auswuchs.


Ordnungsgemäß ging es weiter mit
King 2, den man nördlich vom Pacman-Nebel findet. Mein Urteil: "ach du Kacke!" Echt grenzwertig. An besagter Stelle war nur blickweise ein konturloser, ovaler Nebel sichtbar, der ohne Vorkenntnisse absolut nicht auffiel und im Feld unterging. Bei indirektem Sehen war jedoch eine deutliche Konzentration zur Mitte hin zu erkennen und im Zentrum fielen ein oder zwei Einzelsterne auf. Ich wollte aufs 9er wechseln, doch dies war angelaufen und unbrauchbar; so steckte ich es zum Aufwärmen in die Jackentasche, wo sich noch einige Keks-Krümel aus den Alpen befanden...


King 3 ist in den Quellen unter der Bezeichnung eher selten zu finden, aber CNebulaX zeigt ihn an der Stelle von NGC 609. Der Starhop von Epsilon Cas über NGC 637 bis zum Ziel ging gut, aber der Haufen war ebenfalls keine Ausgeburt an Helligkeit. "Wird ja immer besser", denn auf den ersten Blick war nichts erkennbar. Erst nach etwas Warten tauchte eine fade, runde Wolke auf, die ausgedehnter und insgesamt heller war als King 2, aber mangels Einzelsterne nicht auffiel. Leichte Helligkeitszunahme zur Mitte hin; erinnert an eine runde Galaxie. Die südliche Hälfte wirkte zerfleddert. Außerdem standen zwei einzelne Sterne am südlichen Haufenrand - gehören die dazu? Bei 178x offenbarte sich King 3 als perfekt runder Nebel, in dessen südlicher Hälfte zarte Sprenkel herausblitzen. Irgendwie... gefiel mir das Objekt.


Blick auf den Chronometer: 22:10 Uhr. Der Himmel wirkte traurig und verschleiert im Vergleich zum Hochgebirge. Die Luft war wie eine Hundenase: Kühl und feucht. Bereits jetzt kälter als all die Gletschernächte. Ich goss mir einen Schluck Kaffee in die Tasse und ging ein paar Schritte umher. Um ehrlich zu sein, kam überhaupt keine richtige Motivation auf und die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Die Plejaden waren am Osthimmel aufgestiegen, aber kein Vergleich zur nächtlichen Bergwelt! Noch immer zirpten ein paar muntere Grillen im Gras, doch ansonsten war es herrlich ruhig. Thomas: "Die gucken alle 'Tatort'." Er begann bereits einzupacken und machte sich für die Abfahrt bereit.


King 4, zwischen h&chi und Maffei 1 gelegen, stimmte mich etwas fröhlicher. "Den mag ich, der ist leicht." Der Haufen fiel im 14er sogleich auf und präsentierte sich länglich-dreieckig und aufgelöst in schwache Einzelsterne. Die bauchige Westkante war besonders markant, denn sie wurde von den helleren Mitgliedern gebildet. Die Form erinnerte mich an eine Zipfelmütze. Ich schätzte 20 - 25 Sterne, die eng und dicht beieinander standen. Ein toller Haufen!!


Anschließend überblätterte ich einige King-Einträge, bis ich auf den nächsten stieß, der in der Cassiopeia lag.
King 13 suchte ich lange. Anblick im 14er: "Na super". Der Haufen war recht schwach und lose. Er lag eingebettet im Inneren eines kleines Kastens, dessen formgebende Sterne weitaus heller waren als die von King 13. Der Haufencharakter war nur schwer zu erahnen, aber bei indirektem Sehen tauchten viele weitere schwache Sterne auf, sodass King 13 reicher als erwartet schien. Aufgelöst in viele Einzelsterne. Sie waren aber lose und versprengt; es zeigten sich keine Muster oder Ketten.


Da das arbeitende Volk früh aufstehen musste, sollte die Nacht sowieso nicht allzu lange dauern. Und gegen 23:00 Uhr visierte ich mein letztes Ziel an, von dem ich neulich erst las und kurzerhand einen Ausdruck erstellte, um es in den Fahrplan aufzunehmen. Minkowski 1-64 in der Leier. Es ist selten, so einen exotischen Namen dabeizuhaben, und obendrein noch einen Planetarischen Nebel. Ein letzter Gruß an den Sommerhimmel! Oh, ich war erstaunt, dass das Objekt im 14er auch ohne Filtereinsatz problemlos auftauchte. Ein dauerhaft haltbarer, ovaliger Nebel. Ebenso bei 178x und OIII. Klein und oval. Die Westkante schien markanter, aber Helligkeitsdetails waren kaum zu bestimmen und verschwammen stets.


Ach, irgendwie hatte ich keine Lust mehr... Im Westen war der Horizont aufgehellt. In den Alpen nennt man das "Restdämmerung", doch hier war es leider nur das Streulicht von Magdeburg. Die Milchstraße versank im Maisfeld, doch dort, wo sie eigentlich am hellsten sein sollte, blich sie einfach aus. Das Papier war klamm und wellte sich, mangels Jacke war mir kühl, richtig auf dem Damm war ich auch nicht und zudem überkam mich zusehends die Müdigkeit. Also baute ich ab und kurz nach Mitternacht sausten wir los.




Ein Beobachtungsbericht von AKE

Schönebeck, 17.09.2012

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